Der deutsche Mittelstand besteht zumindest teilweise aus Idealisten. Anders als in den sprichwörtlichen USA der unbegrenzten Möglichkeiten, wo jeder Schuljunge mit einem selbstgezimmerten Rülpswasserstand Millionär werden kann, haben hierzulande die Behörden ein Auge darauf, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen.
Vom November 2006 ist über das blaue Mädchen die Geschichte einer aufstrebenden Indie-Kneipe überliefert, die zum Bier ein bissel Musik machen wollte. In Auszügen:
Die Wirtin Gabi vom Vempire in Landshut, an deren Integrität und bestem Willen es so wenig Grund zu zweifeln gibt wie an ihrem Engagement, klagt:
Wir zahlen GEMA – doch es heißt, wenn wir mit Veranstaltungen werben, z. B. “anläßlich seines Todestages ein Johnny Cash Special”, oder “Mittelalter- und Deutschrock mit DJ Gabi” oder “DJ Zappa scheuert Euch die Gehirne blank”, dann wäre für jeden GEMA-pflichtigen Song (und das sind in dem Fall alle) extra bezahlt werden, und das, obwohl wir wie gesagt unseren Tarif für Hintergrundmusik vom Datenträger bereits entrichten.
Bei einer kleinen Kneipe, in der maximal 100 Leute Platz haben, ist das ziemlich happig.
Bei Live-Events muss erst ein Antrag gestellt und danach für jeden GEMA-pflichtigen Song extra bezahlt werden. Zudem, wenn man Eintritt verlangt, nochmal eine Abgabe an die GEMA. Da bleibt für die Musiker und für den Veranstalter so gut wie nichts mehr übrig – wie soll man denn dann noch heimische Bands fördern?
Falk von FALK kennt sich aus und erklärt aus Erfahrung mit einem privaten Webradio den Sachverhalt so, dass es auch die verstehen, die Musik und nicht Jura treiben wollen:
Also – egal wie widersinnig es erscheint, es macht für die GEMA einen Unterschied, ob da Musik nur als schmückendes Beiwerk (Gaststätte) oder als Hauptgrund läuft (Discoveranstaltung). Und bitte das Wort Disco nicht mit Club verwechseln. Und danach berechnet sich der Tarif.
Livemusik ist nochmal ein völlig anderer Tarif ;)
Die Berechnung nach Quadratmetern ist eben auch ein Status quo, den man so hinnehmen muss. Aus Sicht der GEMA: kleinerer Raum = weniger Leute und umgedreht. Nachvollziehbar.
Zu deiner Vermutung, wenn du singst: Dann muss man das trotzdem der GEMA melden. Allerdings fällt in diesem Falle keine Vergütung an (es sei denn, nachfolgend ist noch eine Discoveranstaltung *g*) Bei Tonträgern ist dieser Nachweis schon wieder schwieriger bis nicht möglich, da die gesetzlich verankerte, so genannte GEMA-Vermutung davon ausgeht, dass die GEMA für alle Titel, die weltweit erschienen sind, kassieren darf. Solang da kein anderes Abrechnungssystem eingeführt ist, zahlt man trotz GEMA-freier Musik diese Pauschalen.
Die Unterscheidung zwischen Original und Kopie im gewerblichen Umfeld ist weder witzig noch albern oder sonstwas. Denn eine Kopie für gewerbliche Zwecke muss nun mal vergütet werden. An dem Punkt würd ich auch niemals diskutieren, dieses Privileg hat entweder der Urheber (oder sein Label) oder man erkauft es sich mit der Zahlung dieser Gebühr.
Aber ich glaub du merkst grad, wie unglaublich komplex das Thema ist, oder?
Noch fit? Dann hören wir noch einmal, wie es Gabi vom Vempire ein paar Tage später erging:
Kurz nach meinem ersten und letzten Eintrag hier hatte ich “zufälligerweise” einen Tag später die GEMA in der Kneipe. Unsere Kneipe ist grad mal 50 qm groß (was die GEMA-Leute auch gleich via Infrarot-Ping ausmachten).
Am Anfang, als wir die Kneipe übernahmen, hatte der Vorgänger seinen A… nicht hoch gekriegt, um die Kneipe namentlich bei der GEMA zu umschreiben, und ich hab mich halt dann selbst drum gekümmert: “Musikkneipe mit Datenträger” hab ich angekreuzt. Jetzt kamen die und erklärten uns, dass wir eine “Erlebnisgastronomie” haben, obwohl bei uns gegessen und Kaffee getrunken wird und die Leute hauptsächlich zum Ratschen kommen. Tja, aber auflegen “DJ Abend mit der Wirtin” oder “DJ Abend mit dem Wirt”, das geht da nicht bei dem Tarif. Jetzt dürfen wir großzügigerweise den ca. 4-fachen Tarif bezahlen (da “Erlebnisgastro”) und es ist uns somit großzügigerweise erlaubt, laut zu spielen und auch DJ-Abende zu machen. Nur – tanzen darf niemand. Sag mal ‘nem Punk, dass er nicht ausflippen darf, wenn er will.
Nu ja – Pech wegen den Konzerten. Wir wollten 1-mal monatlich ein Konzert machen. Dafür muss man natürlich extra zahlen: weiter ca. 650 € im Jahr. Klasse. Leider hat das Ordnungsamt der Stadt das noch nicht genehmigt.
Letztendlich kann ich nur sagen, die GEMA-Außendienstler waren sehr hilfsbereit (das mein ich ehrlich), haben halt ihren Job gemacht und es war ihnen offensichtlich peinlich.
Die ganze Geschichte steht etwas ausführlicher, aber wie man solche bürokratischen Wüstenritte kennt, immer noch nicht erschöpfend beim blauen Mädchen, das sich abschließend nur fragen konnte:
Warum seid ihr jetzt Erlebnisgastronomie? Sind die Gäste zu schön? Oder die Deko?
Was tut man da sinnvollerweise? Think big? Eintritt verlangen, Kohle scheffeln, Förderungen einsacken, bis es sich rentiert?
Vielleicht ist das eine Lösung. Aber keine, die der ursprünglichen Idee dient. Die Leute wollten eine gemütliche Kneipe, kein Flaggschiffprojekt.
KMU bedeutet: kleine und mittlere Unternehmen. Sich einen Rülpswasserstand zimmern mag kleine Jungs in Amerika weiterbringen. Und bei uns? Think medium könnte helfen.
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