Eine neue Seuche ist auf dem Vormarsch. Das Geschmäcklerische.

Klinik (wissenschaftlicher Ausdruck für Symptomatik, evidente Krankheitssymptome):

Kurzatmigkeit ("Wir brauchen binnen kürzester Zeit ein neues Logo, denn der Branchenkatalog wird im November gedruckt".)

Hyperventilation (Überall anfragen, auch Billigheimer inklusive Blümchendesigner und Konzeptions-Trottel)

Herzrhythmusstörungen ("Unser Unternehmen soll umgebaut werden, aber wir wissen nicht, in welche Richtung.")

Diffuse Magenbeschwerden (Der veranschlagte Preis – höher als geplant, da echt Schwerarbeit – zu dem als Ergebnis wirren Briefing schmeckt nicht und verursacht Kneifen unterm Solar Plexus)

Depression und Flucht aufs Seidenkissen, Beantragung von Hausbesuchen ("Wer das Haus besichtigt, kann sich doch irgendwie ein besseres Bild vom Unternehmen machen.")

Endstadium Katatonie. Starre. Mangelnder  Mut zur Unterscheidung. ("Eigentlich ist ein Weinblatt (eine Reblaus, oder weitere ausgelutschte Allerweltssymbole nach Belieben einsetzen, etc.) doch recht schön, wenn man es gefällig umsetzt." Ursprünglich geplant war aber ein hoher Wiedererkennungswert, der von anderen unterscheidet.

Geschmack ist, wenn man Stil und Uniqueness hat.
Gechmäcklerisch sein ist: keinen Geschmack haben. Dafür Ängstlichkeit. Nach verstaubt-modischer Gefälligkeit schielen und möglichst keine inhaltlichen Aussagen treffen.

Wer Geschmack hat und sicher ist, fällt auf. Gelegentlich sogar spektakulär, aber immer angenehm. Wer geschmäcklerisch ist, fällt nicht auf. Er ist und bleibt Durchschnitt.

Krankheitsentstehung/Ursachen:
Erreger unbekannt. Es wird eine genetische, aber auch gesellschaftliche Disposition diskutiert, die den Ausbruch des sich ständig wandelnden Virus fördert.

Analyse:
Mängel in der Medienkompetenz, der musischen und kulturellen Ausbildung von Aisthesis (Wahrnehmung) und folgerichtigem logischem, aber auch prozessualem Denken seitens der Schulen und der Elternhäuser stehen als Hauptkatalysator des Geschmäcklerischen im Vordergrund

Früherkennung:
Signa Minima: Unsicherheit.

Therapie:
Keine. Besteht derzeit nur in der teueren* Linderung der Symptome.
Da fast alle befallen sind, fällt die Krankheit nicht weiter mehr auf.

* Gut zureden, beraten, gut zureden,  beraten, gut zureden, beraten, gut zureden, beraten, gut zureden, beraten, gut zureden, vorexerzieren, zeigen, belegen, vorexerzieren, zeigen, belegen, vorexerzieren, zeigen, belegen, vorexerzieren, zeigen, belegen, wieder gut zureden,  beraten, gut zureden, beraten, gut zureden, mit viel List Entscheidungen herbeiführen. Rechnung stellen.

* So. Da ist, was es so teuer macht: der unglaubliche Energie- und Missionierungsaufwand, unzählige Telefonate, Besuche, Präsentationen beim bestehenden Kunden. Damit etwas herauskommt, dessen man sich als Designer und als Kunde halbwegs nicht schämen muss. Betriebswirtschaftliche Anmerkung: Irgendwo muss sich der Aufwand in der Rechnung wiederfinden. Aber manche Kunden glauben, wir machen das so aus Spass, weil wir so gerne reden. Liebe Kunden, ihr könntet es preiswerter haben.

Vroni Gräbel

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