Aller paar Jahre passiert’s: Da tritt ein Lied in die Welt, das unfehlbar glücklich macht, das funktioniert körperlich. Zuletzt war das Jimmy von Moriarty, das war 2007. Die nächsten paar Weihnachten können kommen, das Lied des Jahres 2011 und wahrscheinlich auch 2012 und ’13 wurde am vergangenen 31. Januar im entkernten Great Northern Hotel in Newcastle, NSW, Australien aufgenommen: In My Mind von Amanda Palmer, in der Sammlung Amanda Palmer Goes Down Under.

Es wird guten Gewissens empfohlen, das Video im Vollbild (die vier Pfeilchen im Video rechts unten) und auf voller Lautstärke laufen zu lassen: Es gibt keine Schockeffekte, etwa dass die Dame plötzlich fürchterlich zu kreischen anfinge oder mit blutfarbenen Flüssigkeiten umherzuspritzen. Alles jugendfrei und bürogeeignet, und wird trotzdem keinen Moment langweilig. Im Gegenteil, es ist eher zu kurz: Die Melodie ist dreiteilig, was bedeutet: mit obligatorischem B-Teil, und ruckzuck schon wieder vorbei, bevor man das Muster richtig verstanden hat. Ganz im Ernst: Es ist eine höllisch einnehmende, dabei höllisch anspruchsvolle Melodie, die man sich nicht beim ersten Mal auswendig merkt. Ein Dreiertakt, das sind sowieso immer die besseren.

Wer Amanda Palmer beobachtet, hat sie in jüngerer Vergangenheit als die hübschere Hälfte der Dresden Dolls bemerkt, danach als persönlichen Kumpel unseres Hausheiligen Neil Gaiman, der ihr wie einst der Exfee Tori Amos Inspiration und Texte liefert, danach als Verfechterin der Ukulele, auf der man angeblich nicht mal schlecht spielen kann, wenn man es versucht. Letzteres trifft zu, wenn man die vier Saiten dieses unterschätzten Spielzeuginstruments so beneidenswert hertzgenau stimmen kann wie sie und im begleitenden Gesang sofort die richtigen Töne trifft.

Das hat sie eine Zeitlang geübt (siehe die Sammlung Amanda Palmer Performs The Popular Hits Of Radiohead On Her Magical Ukulele, Anspieltipp: Creep), und jetzt findet auf In My Mind die Ukulele zu ihrer wahren Bestimmung: als Hauptstimme, mit der sie sich selbst begleiten kann, unterstützt von einer “erwachsenen” Band, die im Lauf des Strophen immer noch mitwächst. Fürs Schlagzeug war übrigens Brian Viglione zuständig, so gesehen ist es glatt ein Lied der alten Dresden Dolls.

Im Video inszeniert sie sich durchaus mädchenhaft, ohne sich der Peinlichkeit einer totaaal witzigverrückten Amélie-Replik auszusetzen. Vielmehr passt das insofern zum Text, als er von einer Art weiterführendem Erwachsenwerden handelt. Nennen wir es ruhig Altern; die Frau ist Jahrgang 1976 und hat mehr hinter sich als ich oder Sie oder du da hinten. In einem Genre, das andere als Ausdruck für Unverständnis, Verlassenheit und Todessehnsucht gebrauchen, hat hier eine tolle Frau zu sich selbst gefunden und freut sich geradezu darauf, wie ihr Leben weitergehen kann. Das ist doch auch mal schön zu hören.

Ferner zeigt sie sich in einer offensiven Unrasiertheit, namentlich unter den Achseln. In Amerika ist das für manche Menschen ekelhaft, für andere “nur” ein Statement, eins contra Schönheitswahn, pro Lässigkeit und Hippietum. In der Stilmixtur zusammen mit Punk, Gothic, Cheesecake und Cabaret dürfte diese Erscheinung tatsächlich einzigartig dastehen. Die nächste, die so auftritt, muss sich Epigonentum nachsagen lassen. Schon wieder passend: Die Message heißt eher “Be yourself” als “Be Amanda Palmer”.

So ergreifend wie sie wird das ohnehin nicht so schnell jemand hinkriegen. Achten Sie mal auf den so konzentrierten wie geübten Pinselstrich, mit dem sie sich die Augenbrauen aufmalt: Ist das souverän? ist das so zielsicher wie der Sound? ist das Könnerschaft?

Und vor allem achten Sie auf das entwaffnende “Fuck yes” im Fade-out: verspielt und stolz, fröhlich und trotzig, ohne aggressiv zu werden. Das aufmüpfige Grinsen, mit dem sie von dem Hotelzimmertisch herunter, den sie minutenlang erklommen hat, eine englische Entsprechung zu “Na aber hallo” sagt, macht das Lied aus. Selbst das drastische Wort ist berechtigt, das drückt eine herzvergnügte Selbstsicherheit aus. Sie ist beides: das rausgewachsene barfüßige Mädchen in Schlabberunterwäsche wie die burschikos-burlesque Diva, das ist kein Widerspruch, das ist eine Vervollständigung. Es war offenbar schwierig, dahin zu kommen, darum stolpert sie anfangs in ihren mondänen Fishnets noch suchend auf dem Schutthaufen herum, aber “fuck yes”, es hat sich doch gelohnt. Diese Art von Fröhlichkeit ist mir zuletzt in einem sehr alten fränkischen Schlumperlied aufgefallen: “I bin fidel (fidel, fidel) mi leckst am Orsch, bis dass der Deifl holt mei arme Seel.” Und nein, das ist ebenfalls kein Widerspruch.

Sie werden mitsingen wollen. Oder wenigstens verstehen, oder wozu red ich mich hier fusslig. Gut, das beschrieben zu haben, sonst schau ich das Ding heute Nacht noch fünfundzwanzigmal an. Deshalb folgt hier die weltweit erste korrigierte Textwiedergabe. One-two-three, one-two-three, one-two-three:

In My Mind
Amanda Palmer, from: Amanda Palmer Goes Down Under, 2011.

In my mind, in a future five years from now,
I’m 120 pounds, and I never get hungover.
Because I will be the picture of discipline,
never minding what state I’m in,
and I will be someone I admire.
   And it’s funny how I imagined that I would be that person now,
   but it does not seem to have happened,
   maybe I’ve just forgotten how to see
   that I’m not exactly the person that I thought I’d be.

And in my mind, in the faraway here and now,
I’ve become in-control somehow,
and I never lose my wallet.
Because I will be the picture of discipline,
never fucking up anything,
and I’ll be a good defensive driver.
   And it’s funny how I imagined that I’d be that person now,
   but it does not seem to have happened,
   maybe I’ve just forgotten how to see
   that I’ll never be the person that I thought I’d be.

And in my mind, when I am old I am beautiful,
planting tulips and vegetables, which I will mindfully watch over.
Not like me now, I’m so busy with everything,
that I don’t look at anything, but I’m sure I’ll look when I am older.
   And it’s funny how I imagined that I could be that person now,
   but that’s not what I want, but that’s what I wanted,
   and I’d be giving up somehow.
   How strange to see
   that I don’t want to be the person that I want to be.

And in my mind, I imagine so many things,
things that aren’t really happening.
And when they put me in the ground, I’ll start pounding the lid,
saying I haven’t finished yet, I still have a tattoo to get,
that says: I’m living in the moment.
   And it’s funny how I imagined that I could win this winless fight.
   But maybe it isn’t all that funny,
   but I’ve been fighting all my life.
   But maybe I have to think it’s funny,
   if I wanna live before I die,
   and maybe it’s funniest of all, to think I’ll die before I actually see
   that I am exactly the person that I want to be.
   Fuck yes: I’m exactly the person that I want to be.