Update zu Kommt ein Germanist in den Musikladen:

Seit 16 Jahren sind wir jetzt in dieser Wohnung, die Fensterrahmen wahscheinlich schon seit 160.

“Wann bauen wir neue Fenster ein?” fragt Vroni.

“Was für Fenster?” frag ich.

“Neue”, sagt sie, “aber alte. Hölzerne. Mit den Leisten im rechten Winkel aufeinander, nicht den Erdölschrott auf 45 Grad.”

Fachmännisch untersuche ich die Fensterrahmen in ihrer Beziehung zum Mauerwerk (Germanisten können alles) und trete vor Vroni, um mein Resultat zu verkünden.

“Geht nicht,” sag ich.

“Gibt’s nicht”, sagt sie.

Fortan mailt sie mir in stündlichen Abständen Münchner Angebote zu Heimwerkerkursen für Einsteiger. Die meisten davon äußern sich im Tonfall von Ernährungsberatern, die zu vermitteln suchen, dass veggie total lecker schmecken kann, wenn man nur etc., und Trockengelegten, die sich und anderen einreden müssen, dass sie auch ohne Alkohol Spaß haben können.

Leider bin ich aus Franken, da darf Arbeit keinen Spaß machen. Arbeit muss so scheiße wie möglich sein, sonst hilft sie nichts. Umso erstaunter bin ich, wie fundamental unbekannt das Angebot von Obi ist: Die halten tatsächlich in ihren paar verbliebenen Filialen Praxiskurse ab (“Eines der angenehmen Dinge am Heimwerken rund um Haus, Garten und Hobby ist doch, dass es immer etwas Neues zu entdecken gibt und dass sich die eigenen Fertigkeiten immer noch weiter entwickeln lassen. Auf diese Weise wird es nicht nur niemals langweilig, die Steigerung des eigenen Know-hows erhöht auch das Einsatzpotenzial stetig.” etc.).

So fundamental unbekannt sind die OBI Praxiskurse (nur echt ohne Bindestrich), dass ihr Ruhm noch nicht einmal bis zum Informationsstand der Filiale tief im Westend gedrungen ist. Die fast motivierte Mitarbeiterin lernt sogar langwierig ihre Vorgesetzten telefonisch kennen, bis sie mir sagen kann: “Ja, da zahlen Sie halt zehn Euro und dann kommen Sie halt dann vorbei.”

Mein Praxiskurs für Einsteiger heißt: Türen- und Fenstereinbau. Ich bin der einzige Teilnehmer. Der Dozent (sagt man bei Praxiskursen “Dozent”?) ist ein sonniger Ossi und bedankt sich, dass ich so zahlreich erschienen bin. Er hat schon mal angefangen, weil ihm keiner gesagt hat, dass jemand teilnimmt. Zum Beweis zeige ich ihm meinen kopierten Kassenzettel vom Informationsstand.

“Normalerweise kommen so zehn, zwölf”, lügt mein Dozent marktwirtschaftlich orientiert. “Wir hatten hier sogar schon Kurse, da waren dreißig.”

Er ist ein ganz Netter, daher glaube ich ihm. “Um Gottes willen”, sag ich, “bei welchem Thema kommen denn dreißig?”

“Och, das war …” Eigentlich wollte ich ihn nicht in die Verlegenheit bringen, sich von einer Sekunde auf die nächste die erfolgreichen Themen auszudenken, auf die eine bestimmt irgendwo existierende Marketingabteilung in Jahren nicht kommt. “Das war Heimwerken für Anfänger. Mehr so allgemein.”

Der Mann ist richtig gut. Nur ganz kurz doziere ich meinerseits darüber, dass es eigentlich viel einfacher ist, vom Besonderen auf das Allgemeine zu schließen (Induktion) als umgekehrt (Deduktion), wenngleich nach Aristoteles wissenschaftlich nicht ganz so zulässig, darum hab ich mich extra für das Nischenthema angemeldet. “Außerdem”, schließe ich, “hab ich erstens ein Germanistikstudium und zweitens eine Eigentumswohnung.”

“Das ist natürlich eine ungünstige Mischung”, grinst er immer noch sonnig. Der Mann wird immer besser, jedem Germanisten wurde schon mal aus weit geringerem Anlass übers Maul gefahren.

Im weiteren Verlauf bauen wir zu zweit eine Plastiktür in eine Art Galgengestell ein, das mein Dozent zuvor auf eine Palette gezimmert hat. Ich lerne, wie herum man sich vor eine Tür stellen muss, um zu benennen, ob sie gemäß der Deutschen Industrienorm links- oder rechtsanschlagend ist, dass man die Spreizdinger, deren man drei braucht, bei Obi kaufen und nach dem dreiviertelstündigen Gebrauch gleich wieder bei Ebay verkaufen soll, ja nicht andersrum, und dass der Fugenschaum bei Obi im absperrbaren Glasschrank steht, weil er krebserregender sein soll als eine Zigarette, aber nicht ganz so krebserregend wie zwei Jahre Urlaub in Tschernobyl, und wenn er getrocknet ist, gar nicht mehr.

In der Dreiviertelstunde, die der Fugenschaum trocknen muss, lerne ich das Fenster. Die werden mit der Scheibe geliefert. Kein Wunder, sind ja auch Obi-Plastikfenster.

“Ich brauch alte”, wende ich ein.

“Einbauen tut man doch neue”, wendet er ein.

“Schon”, wende ich ein, “aber hölzerne. Mit den Leisten im rechten Winkel aufeinander, nicht den Erdölschrott auf 45 Grad.” Gelernt ist gelernt.

Er kratzt ausführlich seine Igelfrisur. “Da fragen Sie besser mal innem Obi aufm platten Land”, fällt ihm dann ein, “dem in Pasing oder Parsberg oder so. Für die Bauernhöfe haben die ein ganz anderes Angebot.”

Wir einigen uns, dass ich nicht weitersage, dass Pasing selbst vom Westend aus gesehen schon als plattes Land durchgeht, und er lobt meine sauberen, punktgenau gesetzten Bohrlöcher sogar dann noch, nachdem er sie angeschaut hat, was mir daheim noch nie passiert ist.

Fragen vorbeiflanierender Kundschaft wimmelt er routiniert mit dem Hinweis ab, dass er sich schon auskennt, aber aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht beraten darf, weil er nicht von Obi ist.

“Sind Sie nicht?” frag ich.

“Nö, bin ich nicht. Das is so eine Art Event-Agentur für die Kurse bei Obi.”

“Ach, wie Jochen Schweizer. Jochen Schweizer für Arme.”

“Ja, genau! Wie Jochen Schweizer für so arme Schweine, die alles allein machen müssen.”

Ich bin sicher, er meint es freundlich.

Am Schluss bewundern wir stolz unsere Tür und unser Fenster, die wir erfolgreich und richtig gerade vorne und hinten in ein Galgengestell eingepasst haben. “Rekordzeit”, freut sich mein Dozent.

“Ganz anders als mit dreißig Leuten”, sag ich.

Um das OBI Angebot zu vollständigen, schickt mich mein Dozent zu dem Kollegen mit dem Vollbart, der sich mit der Verrechnung meines Kassenzettels auskennen soll. Das Angebot lautet nämlich, dass ich erst zehn Euro für den Kurs zahle, aber hinterher einen Obi-Gutschein über zwanzig Euro wieder rauskriege.

Die fast motivierte Mitarbeiterin am Informationsstand verbirgt inzwischen schon sehr geschickt ihren Schrecken darüber, was ich schon wieder von ihr wollen könnte. Der Kollege mit dem Vollbart wirkt beruhigend auf sie ein, dass sie einfach einen Gutschein über zwanzig Euro ausstellen soll.

“Über zwanzig? Für einen Kassenzettel über zehn?”

“Genau.”

“Dann kann er ja hundertmal teilnehmen und hat sich am Schluss das ganze Haus zusammengespart!”

Langsam gefällt sie mir.

“Das ganze Haus nicht”, sag ich, “aber einen Handwerker schon.”

Stolz fahre ich mit dem 62 nach Hause, denn wenn man der Folklore den Glauben schenkt, den Germanisten ihr entgegenbringen, kriegt man nach erfolgreichem Handwerkern von seiner Frau eine Woche lang aus lauter Bewunderung und Dankbarkeit jeden Tag einen geblasen.

“Mit Schlucken, oder?” begrüße ich Vroni beim Reinkommen.

“Gleich für den nächsten Kurs angemeldet?” begrüßt sie mich.

“Wieso?” frag ich.

“Lernen ist ein kontinuierlicher Prozess”, sagt sie. “Oder kannst du jetzt alles?”

“Na ja, alles

“Ob du dich schon für den nächsten Kurs angemeldet hast!”

“Geht nicht,” sag ich.

“Gibt’s nicht”, sagt sie.

Soundtrack: Bach: Erbarme dich, aus: Matthäus-Passion, 1727. Mit singender Säge, was sonst.