Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Kategorie: Reisen (Seite 2 von 3)

In dich hoff ich ganz festiklich

Zur gestrigen Mariä Empfängnis muss ich doch endlich mal die Hausmadonnen feierlich unters Volk werfen, die ich kurz nach Mariä Lichtmess, also vergangenen Februar zu Nürnberg eingefangen hab. Da war mir nicht klar, dass die schon ziemlich flächendeckend dokumentiert sind. Nächstes Mal geh ich halt mehr auf die Details, die sind stellenweise richtig vogelwild.

Die Bilder sind frühmorgens gemacht, so früh es eben im Februar schon so hell wird, kurz bevor ich zu meinen Eltern, lang sollen sie leben, Richtung Lauf weiter musste, und sind allesamt um den Obstmarkt herum einsehbar. Der Text stammt ebenfalls aus Nürnberg und aus der gleichen Zeit wie die Mariä. Die Musik ist auch wieder mit Hans Sachs, aber, nun ja, neuzeitlich.

Hausmadonna Nürnberg, Februar 2016

——— Hans Sachs:

Das liet Maria zart

verendert und cristlich corrigirt.

1524.

1.

Hausmadonna Nürnberg, Februar 2016O Jesu zart, götlicher art,
ein ros on alle doren,
Du hast aus macht herwider bracht
das vor lang was verloren
Durch Adams fal; dir wart die wal
von got vatter versprochen;
auf das nit würt gerochen
mein sünt und schult, erwarbstu hult;
wan kein trost ist, wa du nit bist
barmherzikeit erwerben;
wer dich nit hat und dein genat,
der muß ewiklich sterben.

2.

Hausmadonna Nürnberg, Februar 2016O Criste milt, du hast gestilt
der altvätter verlangen,
Die jar und tag in we und klag
die vorhell het umfangen,
Senlicher not ruften: “o got,
zureiß des himels pfarten
und send uns, des wir warten,
den messiem, der uns abnem
die senlich pein.” das ist durch dein
vilfaltig blutverreren
ganz abgestelt, darum dich zelt
all welt Cristum den heren.

3.

Hausmadonna Nürnberg, Februar 2016O Jesu rein, du bist allein
der sünder trost auf erden;
Darum dich hat der ewig rat
erwelet, mensch zu werden;
Uns all zu heil darum urteil,
am jüngsten tag wirst richten,
die dir glauben, mit nichten.
o werte frucht, all mein zuflucht
han ich zu dir; ich glaub, hast mir
erworben ewig leben;
in dich hoff ich ganz festiklich,
weil du mir gnad tust geben.

4.

Hausmadonna Nürnberg, Februar 2016O Criste groß, du edle ros,
gütig an allen enden,
Wie gar gütlich, her, hast du mich
wider zu dir lan wenden
Mit deinem wort! mein sel leit mort
bei den falschen profeten,
die mich verfüret heten:
auf mancherlei ir gleisnerei,
auf werk ich hoft und meinet oft,
genad mir zu erwerben;
verliße dich; o her! nit rich
mein unwissent verderben.

5.

Hausmadonna Nürnberg, Februar 2016O Jesu fein, dein wort gibt schein,
licht, klar als der karfunkel.
Es hilft aus pein den armen dein,
die sitzen in der dunkel;
Kein ru noch rast haben sie fast
wol in der menschen lere;
reich in dein wort, mit gere
hilf in darvan auf rechte ban
und sie selb tröst, seit du erlöst
hast alle welt gemeine,
das sie in dich hoffen einig,
nit in ir werk unreine.

6.

Hausmadonna Nürnberg, Februar 2016O Criste wert, so dein wort kert
von mir und sich derscheite,
So kum zu mir, beschütz mich schir,
auf das mich nit verleite
Die menschenler, die gleißet ser,
wer kan ir list erkennen?
sie tut sich heilig nennen,
ist doch entwicht und lebet nicht;
allein dein wort, das ist der hort,
darin das leben iste;
da speis mich mit (entzeuch mirs nit!)
zu ewiklicher friste!

7.

O Jesu Crist, war got du bist;
in dir ist kein gebrechen.
Es ist kein man, der mag und kan
dein glori groß aussprechen;
Dein hohes lob schwebt ewig ob,
dir ist als übergeben
was ie gewan das leben,
all creatur. o könig pur,
wens darzu kumt, das mein mut stumt,
leiblich den tot muß leiden,
dan hilf du mir, das ich mit gir
in deim wort müg abscheiden.

Hausmadonna Nürnberg, Februar 2016

Für den langen Winterabend: Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, 1868, Bayreuth 1943 unter Wilhelm Furtwängler:

Meide das Oktoberfest

Endlich hat man eine Ahnung davon, warum jeden September das Oktoberfest ausbrechen muss: Da scheinen die Chinesen Schulferien zu haben.

Natürlich nicht alle gleichzeitig, es gibt ja nicht nur Chinesen. Das geistige Lexikon des Halbwissens, das uns allen innewohnt, kennt auch noch Indochinesen, Philippinen, Japaner, Koreaner, Nordkoreaner, Südvietnamesen, Vietnamesen, Laosser, Hongkonger, Mandarinen, Maharanis, Kantonesen, Uiguren, Kirgisen, Nepalesen, Tibetaner, Taiwanesen, Thailänder, Mailänder, Malayen, Tamilen, Bengalen, Bangladeschis, Kambodschaner, Siamesen, Singapurer, Seidenstraßen, Seitenstraßen, Birmesen, Burmesen, Hindi, Hindus, Ganges, Singhalesen, Sikhs, Parias, Pandas, Papayas, Koriander, Yetis, Mongos und Fidschis. Oder so ähnlich.

Alle konnte man in den vergangenen Wochen auf dem Marienplatz treffen — außer den Nordkoreanern, die man exklusiv in Nordkorea treffen kann — bis sie auf die Theresienwiese gelassen werden. Wenn man nicht gerade Chinese ist, so ist der Marienplatz zu meiden (das war der Touristentipp des Jahres). Ich war nur da, weil am 6. September 2016 vor 230 Jahren im Huthaus Breiter, Kaufingerstraße 23–26, tatsächlich mal Goethe übernachtet hat und ich mal gucken wollte, ob die Frauenkirche immer noch so ein stinklangweiliger Backsteinhaufen ist wie vor 15 Jahren.

In Andacht versunken betrachte ich die einwandfrei geweißelten Wände der Kirche, da redet aus Hüfthöhe eine quengelige Stimme zu mir: “Toilet? Toilet?”

Es ist ein Chinese, soviel Menschenkenntnis gewinnt man schon in einem Studentenjob als Nachtportier im Hotel. Nur echte Chinesen haben diesen dauerhaft entsetzten Blick, auf halber Strecke zwischen Verblüffung und Verzweiflung, wo um Buddhas willen und unter was für steindummen, kreuzhässlichen und böswilligen Langnasen sie ihr ungnädiges Schicksal da ausgesetzt hat. Hinter Samarkand wird’s halt immer recht exotisch für die.

“Toilet?” frage ich zu dem ratlosen Gast in München Premium-Wahrzeichen Nummer 1 hinunter, “it’s not even Oktoberfest yet.”

“No matter”, sagt er, “no time. Toilet?”

Die umliegenden Gaststätten sehen es nicht gerne, wenn die Touristen immer nur zum Pinkeln reinkommen und dann den Kloschüsseln mit Unverstand und Vandalismus begegnen, weil in ihrer Heimat das Klo ein Loch im Boden ist. Wenn das aber so eilig ist, denke ich — und weise mit ausgestrecktem Arm auf den Beichtstuhl.

Der Chinese trippelt zm Beichtstuhl und öffnet die linke Tür. “This toilet?” fragt er.

“Other toilet”, sag ich, “middlere door.”

Er schlüpft in die mittlere Tür. Nach Sekunden schaut er noch verzweifelter heraus: “Hooo! Door not close!”

“Of course not”, sag ich, “it’s catholic.”

Das scheint ihn zu beruhigen. Diesmal bleibt die Tür länger geschlossen.

In Andacht versunken überlege ich, ob es Kirchenlieder gibt, die zugleich aufs Oktoberfest passen. Bei Luther müsste einiges zu holen sein, aber die sind bestimmt alle evangelisch.

Nach fünf Minuten steht der Chinese wieder neben mir, den Gipfel der Verzweiflung ins Gesicht gemalt: “Hooo! Toilet no paper!”

Wortlos und mit ausgestrecktem Arm weise ich aufs Weihwasserbecken.

Langsam scheint ihm etwas zu dämmern. “Yúchun, choulòu, èyì cháng bízi”, sagt er.

“Shùn Mìníhei píjiu jié”, sag ich.

Soundtrack: Coconami: Isarmärchen, live 2011:

Schäftlarn von hinten

Raben Grünwalder Brücke

Rosa hatte aber kaum von seinem Vorhaben gehört, als sie sogleich mit aller Heftigkeit den Gedanken ergriff mitzureisen. “Das laß ich wohl bleiben”, sagte Leontin, “da schnüre ich noch heut mein Bündel und reit euch ganz allein davon. Ich will eben als ein Verzweifelter weit in die Welt hinaus, will mich, wie Don Quijote, im Gebirge auf den Kopf stellen und einmal recht verrückt sein, und da fällt’s euch gerade ein, hinter mir dreinzuzotteln, als reisten wir nach Karlsbad oder Pyrmont, um mich jedesmal fein natürlich wieder auf die Beine zu bringen und zurechtzurücken. Kommt mir doch jetzt meine ganze Reise vor, wie eine Armee, wo man vorn blitzende Schwerter und wehende Fahnen, hinterdrein aber einen langen Schwanz von Wagen und Weibern sieht, die auf alten Stühlen, Betten und anderm Hausgerät sitzen und plaudern, kochen, handeln und zanken, als wäre da vorn eben alles nichts, daß einem alle Lust zur Courage vergeht. Wahrhaftig, wenn du mitziehst, meine weltliche Rosa, so lasse ich das ganze herrliche, tausendfarbige Rad meiner Reisevorsätze fallen, wie der Pfau, wenn er seine prosaischen Füße besieht.” – Rosa, die kein Wort von allem verstanden hatte, was ihr Bruder gesagt, ließ sich nichts ausreden, sondern beharrte ruhig und fest bei ihrem Entschlusse, denn sie gefiel sich schon im voraus zu sehr als Amazone zu Pferde und freute sich auf neue Spektakel.

Eichendorff: Ahnung und Gegenwart, 1815.

Fahrt oben und lasst euch vom Auto totfahren. Das ist dann sicherer.

Werden Sie Mitglied.Isartalverein e. V.

Wegweise Kloster Schäftlarn

Kloster Schäftlarn von hinten

Tympanon Kloster Schäftlarn, Beichtstuhl

Buidln: Sejwa gmacht, die Isar lang an der Greawoider Seitn; derfa’S nehma, wann’S meng und dazuasong, wo Se’s herham.

Ein Festessen für die Leber

If you are lucky enough to have lived in Paris as a young man, then wherever you go for the rest of your life, it stays with you, for Paris is a moveable feast.

Ernest Hemingway, 1964.

Was kann man eigentlich noch aktiv unternehmen, um Flüchtlingen zu helfen? — Je nun, in München wäre das laut dem offiziellen Stadtportal: zielgenau spenden, ehrenamtlich Flüchtlinge empfangen, Mitarbeiterin und Mitarbeiter in vielen Bereichen werden oder Ärztin oder Arzt sein — also praktisch nichts, was sich mit einem geregelten Tagesablauf vereinbaren ließe.

Außer aktiv etwas gegen denselben Terrorismus unternehmen, vor dem diese gebeutelten Menschen geflohen sind und der schneller als sie in den bislang als sicher eingestuften Einwanderungsländern angekommen ist, weil er weder zu Fuß durch die Schluchten des Balkan noch im Schlauchboot übers Mittelmeer musste, alsda wäre:

2 + 2 – 2 + 2 = 7 (BWL für Spätromantiker)

“Der Wolf wieder”, sagt Vroni, “mit seinen Kinder- und Hausmärchen. Was hast’n wieder für einen Schauerkram aufgetrieben?”

“Und was für einen”, sag ich, Die beiden Wanderer. Das willst du gar nicht kennen.”

Das sicherste Mittel. “Lies mal vor”, sagt Vroni.

Die beiden Wanderer nach der siebten Auflage letzter Hand 1857. Den Anfang lass ich mal weg.

Johann Gottfried Seume, Spaziergang nach Syrakus. Titelblatt der Erstausgabe, gezeichnet von Johann Christian Reinhart, 1803Als sie eine Zeitlang gewandert waren, kamen sie an einen großen Wald, durch welchen der Weg nach der Königsstadt gieng. Es führten aber zwei Fußsteige hindurch, davon war der eine sieben Tage lang, der andere nur zwei Tage, aber niemand von ihnen wußte, welcher der kürzere Weg war. Die zwei Wanderer setzten sich unter einen Eichenbaum und rathschlagten wie sie sich vorsehen und für wie viel Tage sie Brot mitnehmen wollten. Der Schuster sagte “man muß weiter denken als man geht, ich will für sieben Tage Brot mit nehmen.” “Was,” sagte der Schneider, “für sieben Tage Brot auf dem Rücken schleppen wie ein Lastthier und sich nicht umschauen? ich halte mich an Gott und kehre mich an nichts. Das Geld, das ich in der Tasche habe, das ist im Sommer so gut als im Winter, aber das Brot wird in der heißen Zeit trocken und obendrein schimmelig. Mein Rock geht auch nicht länger als auf die Knöchel. Warum sollen wir den richtigen Weg nicht finden? Für zwei Tage Brot und damit gut.” Es kaufte sich also ein jeder sein Brot, und dann giengen sie auf gut Glück in den Wald hinein.

In dem Wald war es so still wie in einer Kirche. Kein Wind wehte, kein Bach rauschte, kein Vogel sang, und durch die dichtbelaubten Äste drang kein Sonnenstrahl. Der Schuster sprach kein Wort, ihn drückte das schwere Brot auf dem Rücken, daß ihm der Schweiß über sein verdrießliches und finsteres Gesicht herabfloß. Der Schneider aber war ganz munter, sprang daher, pfiff auf einem Blatt oder sang ein Liedchen, und dachte “Gott im Himmel muß sich freuen daß ich so lustig bin.” Zwei Tage gieng das so fort, aber als am dritten Tag der Wald kein Ende nehmen wollte, und der Schneider sein Brot aufgegessen hatte, so fiel ihm das Herz doch eine Elle tiefer herab: indessen verlor er nicht den Muth, sondern verließ sich auf Gott und auf sein Glück. Den dritten Tag legte er sich Abends hungrig unter einen Baum und stieg den andern Morgen hungrig wieder auf. So gieng es auch den vierten Tag, und wenn der Schuster sich auf einen umgestürzten Baum setzte, und seine Mahlzeit verzehrte, so blieb dem Schneider nichts als das Zusehen. Bat er um ein Stückchen Brot, so lachte der andere höhnisch und sagte “du bist immer so lustig gewesen, da kannst du auch einmal versuchen wies thut wenn man unlustig ist: die Vögel, die Morgens zu früh singen, die stößt Abends der Habicht,” kurz, er war ohne Barmherzigkeit. Aber am fünften Morgen konnte der arme Schneider nicht mehr aufstehen und vor Mattigkeit kaum ein Wort herausbringen; die Backen waren ihm weiß und die Augen roth. Da sagte der Schuster zu ihm “ich will dir heute ein Stück Brot geben, aber dafür will ich dir dein rechtes Auge ausstechen.” Der unglückliche Schneider, der doch gerne sein Leben erhalten wollte, konnte sich nicht anders helfen: er weinte noch einmal mit beiden Augen und hielt sie dann hin, und der Schuster, der ein Herz von Stein hatte, stach ihm mit einem scharfen Messer das rechte Auge aus. Dem Schneider kam in den Sinn was ihm sonst seine Mutter gesagt hatte, wenn er in der Speisekammer genascht hatte “essen so viel man mag, und leiden was man muß.” Als er sein theuer bezahltes Brot verzehrt hatte, machte er sich wieder auf die Beine, vergaß sein Unglück und tröstete sich damit daß er mit einem Auge noch immer genug sehen könnte. Aber am sechsten Tag meldete sich der Hunger aufs neue und zehrte ihm fast das Herz auf. Er fiel Abends bei einem Baum nieder, und am siebenten Morgen konnte er sich vor Mattigkeit nicht erheben, und der Tod saß ihm im Nacken. Da sagte der Schuster “ich will Barmherzigkeit ausüben und dir nochmals Brot geben; umsonst bekommst du es nicht, ich steche dir dafür das andere Auge noch aus.” Da erkannte der Schneider sein leichtsinniges Leben, bat den lieben Gott um Verzeihung und sprach “thue was du mußt, ich will leiden was ich muß; aber bedenke daß unser Herrgott nicht jeden Augenblick richtet und daß eine andere Stunde kommt, wo die böse That vergolten wird, die du an mir verübst und die ich nicht an dir verdient habe. Ich habe in guten Tagen mit dir getheilt was ich hatte. Mein Handwerk ist der Art daß Stich muß Stich vertreiben. Wenn ich keine Augen mehr habe, und nicht mehr nähen kann, so muß ich betteln gehen. Laß mich nur, wenn ich blind bin, hier nicht allein liegen, sonst muß ich verschmachten.” Der Schuster aber, der Gott aus seinem Herzen vertrieben hatte, nahm das Messer und stach ihm noch das linke Auge aus. Dann gab er ihm ein Stück Brot zu essen, reichte ihm einen Stock und führte ihn hinter sich her.

Noch weiter?”

“Wolf!” gruselt sich Vroni, “das ist ja fürchterlich!”

“Gelle? Hätte heut nicht mal eine Jugendfreigabe.”

“Aber echt mal. Wieso hat nicht jeder einfach für vier Tage Brot gekauft?”

“Wieso jetzt für vier?”

“Weil du genausowenig rechnen kannst wie dein tapferes Schneiderlein.”

“??”

“Na, denk doch mal nach. Sie haben zwei Möglichkeiten. Eine davon ist möglicherweise falsch. Und wann finden sie heraus, ob sie falsch war?”

“Du meinst …”

“Nach zwei Tagen, genau. Und was unternehmen sie dann?”

“Besser machen?”

“Kluger Wolf. Und dazu müssen sie die gleichen zwei Tage wieder zurück. Macht vier. Wenn sie wieder da sind?”

“Kaufen sie Brot für sieben Tage?”

“Quatsch, du BWL-Genie! Sie kaufen nochmal Brot für zwei Tage und nehmen den anderen Weg.”

“Ah, logisch.”

“Die Chance, dass sie falsch laufen, beträgt grade mal fünfzig Prozent. Ganz gut für eine Lebensentscheidung, find ich. Und selbst wenn sie ihren zweiten Versuch nutzen müssen, brauchen sie insgesamt immer noch Brot für sechs Tage, nicht für sieben.”

“Genial.”

“Märchenhaft genial. Wie geht deine Schauergeschichte überhaupt weiter?”

“Moment, da haben wir die Anmerkungen der Brüder Grimm selber, in der dritten Auflage 1856. Die stehen im dritten Band der großen Reclam-Ausgabe:

Georg Friedrich Kersting, Caspar David Friedrich auf der Wanderung ins Riesengebirge, 18. Juli 1810Nach einer Erzählung aus dem Holsteinischen, die besser und vollständiger ist als die in den früheren Ausgaben unter dem Titel die Krähen sich befindet und einer Überlieferung aus dem Meklenburgischen folgte. Bei Pauli in Schimpf und Ernst Cap. 464 eine einfache Darstellung. Ein Diener wird von seinem Herrn an einen Baum gebunden: böse Geister, die sich Nachts da versammeln, sprechen daß ein Kraut welches unter dem Baum wächst, das Gesicht wieder gebe. Nachdem er sich geheilt hat, macht er damit eines reichen Mannes Tochter wieder sehend und erhält sie mit großen Gütern zur Ehe. Sein voriger Herr will sich auch solchen Reichthum verschaffen, geht zum Baum, wo ihm des Nachts die Geister die Augen ausstechen. In der Braunschweiger Sammlung (S. 168–180) mit dem unsrigen übereinstimmender, aber schlecht erneuert. Krähen die, auf dem Baume sitzend, von Augen aushacken sprechen, auch in Helwigs jüdischen Legenden Nr. 23, hier, indem sie dem Blinden sagen was er thun soll, gleichen sie den Vögeln die dem Sigurd guten Rath geben (s. Fafnismâl und Anmerk. zu Str. 32). Der frischgefallene Thau der das Gesicht wieder gibt, ist das Reine, das alles heilt, der Speichel, womit der Herr dem Blinden das Gesicht wieder gibt, und das unschuldige Kinder- oder Jungfrauenblut, wodurch die Miselsüchtigen genesen; vergl. Altd. Wälder 2, 208 und armer Heinrich S. 175 ff. In der Braunschweiger Sammlung kommt das Märchen S. 168–180 vor, in dem Büchlein für die Jugend S. 252–263. Bei Pröhle Märchen für die Jugend Nr. 1. Dänisch bei Molbech Nr. 6 mit eigenthümlichen und guten Abweichungen. Norwegisch bei Asbjörnsen Bd. 2. Böhmisch bei Gerle Bd. 1, Nr. 7 St. Walburgis Nachttraum oder die drei Gesellen. Ungarisch bei Gaal (Nr. 8) die dankbaren Thiere, bei Mailath die Brüder (Nr. 8), bei Stier die drei Thiere S. 65. Serbisch mit einer eigenthümlichen Einleitung bei Wuk Nr. 16. Im Heftpeiger des persischen Dichters Nisami kommt eine offenbar verwandte Erzählung vor, welche Hammer in der Geschichte der schönen Redekünste Persiens (Wien 1818) S. 116. 117 aus der Handschrift bekannt gemacht hat. Chair wird von einem treulosen Reisegefährten Scheer, den er für seinen Freund hält, erst seines Vorraths an Wasser, dann auch seiner Augen beraubt und mishandelt. So bleibt er liegen, bis ein schönes kurdisches Mädchen ihn findet, verpflegt und heilt. Der Jüngling heilt die Tochter des Wesirs und Sultans und läßt sichs wohlgehen, bis er eines Tages seinem alten Gefährten begegnet, dem er verzeiht, der aber von einem Kurden getödtet wird.

Der Schneider bleibt auf einem Galgenberg unter zwei Gehängten liegen. Die unterhalten sich, und er kriegt mit, dass er sich mit dem Tau, der von ihnen ins Gras tropft, die Augenhöhlen waschen muss, damit er wieder sieht. Das macht er, freut sich und kämpft sich zur Königsstadt durch, hilft unterwegs ein paar Tieren, kriegt von jedem einen Wunsch frei und wird am gleichen Tag Hofschneider wie der Schuster, der nicht mehr sein Kumpel ist …”

“… denk ich mir …”

“… Hofschuster wird. Unterwegs hat er übrigens vier Tieren geholfen, nicht wie üblich dreien.”

“Kommt da die Vierzahl rein, die sie bei ihrer Lebensmittelplanung vernachlässigt haben?”

“Glaub ich jetzt nicht. So buchhalterisch geht’s nicht. Ist doch bloß ein Märchen.”

“Eben, mein Lieber, eben. In denen geht’s normalerweise gerecht zu. Dass der Schneider mit Hilfe seiner dankbaren Tiere alles schafft und die Königstochter und das halbe Reich kriegt, setz ich voraus. Was wird aus dem Schuster, dem Kameradenschwein?”

“Der

Moritz von Schwind, Abschied im Morgengrauen, 1859mußte die Schuhe machen, in welchen das Schneiderlein auf dem Hochzeitfest tanzte, hernach ward ihm befohlen die Stadt auf immer zu verlassen. Der Weg nach dem Wald führte ihn zu dem Galgen. Von Zorn, Wuth und der Hitze des Tages ermüdet, warf er sich nieder. Als er die Augen zumachte und schlafen wollte, stürzten die beiden Krähen von den Köpfen der Gehenkten mit lautem Geschrei herab und hackten ihm die Augen aus. Unsinnig rannte er in den Wald und muß darin verschmachtet sein, denn es hat ihn niemand wieder gesehen oder etwas von ihm gehört.

Glücklich damit?”

“Joh, das geht okay. Ist ein langes Märchen, oder?”

“Ziemlich, und richtig detailverliebt ausgeschrieben – also schon aus der Werkstatt von Wilhelm, nicht Jacob Grimm. Da braucht’s Brot für sieben Tage.”

“Für vier bitte. ‘Das Brot wird in der heißen Zeit trocken und obendrein schimmelig.’ Und Zwiebeln fehlen.”

“Ist doch bloß ein Märchen.”

“Eben, mein Lieber, eben.”

“Geh ja schon.”

Bilder: Johann Christian Reinhart: Titelblatt der Erstausgabe Johann Gottfried Seume: Spaziergang nach Syrakus, 1803;
Georg Friedrich Kersting: Caspar David Friedrich auf der Wanderung ins Riesengebirge, 18. Juli 1810;
Moritz von Schwind: Abschied im Morgengrauen, 1859.

Jetzt zugreifen

In Frankfurt tobt schon wieder die Buchmesse. Leider wird auch diesmal allenthalben die Frage erhoben, wer das alles lesen soll.

Bis Sonntag will die Messeleitung einen orientalischen Flüchtling benennen, der das alles lesen soll, danach kann er wenigstens Deutsch. Als Favoriten werden alle gehandelt, die leichtsinnig genug waren, sich mit einer kostenlosen Eintrittskarte bei “Angeboten und Veranstaltungen, die sich mit den Themen Flucht, Integration und Bildung auseinandersetzen“, blicken zu lassen.

In den Weinanbaugebieten zwischen Kalifornien und Georgien tobt schon wieder die Weinlese. Falls endlich mal jemand die Frage erhebt, wer das alles saufen soll, melde ich mich auf diesem Wege freiwillig.

Wannst aufd Wiesn, sagt er, wuist kemma, sagt er

Vielleicht ist ja doch nicht alles schlecht an der Wiesn. Der Kollege und München-Nachbar Ralf hat den so heroischen wie selbstlosen Versuch unternommen, dem Oktoberfest einige schöne Seiten abzugewinnen. Dazu musste er auch früh genug aufstehen.

Was der Bub zu nachtschlafender Zeit am Sonntagvormittag von der Aufstellung zum Umzug der Trachten und Schützenvereine mitgebracht hat, hab ich in professionellen Reportagen schon langweiliger gesehen.

Was ich ihm dauernd sag: Ralfster, sag ich, du kannst Leut. Du scheust dich nicht, welche anzureden, und wenn du’s schon candid machen musst, können sie’s sogar hinterher merken und sich noch freuen, weil kein Mensch entwürdigt wird. Das ist aufmerksam hingeschaut und sauber erwischt; wenn Arte Fotoserien bringen würde, dann solche.

Seine eigene Wertschätzung für die unentwegten Trachtenvereinsmeier, die versuchen, dem Oktoberfest eine schöne Seite zu verleihen, drückt er aus:

Boarische Trachten, Böhmer Trachten, Woidler, Wischauer, polnische Girlies, Bruckmühler Burschen, Deandl aus Kolbermoor. Die stellen sich für den Trachtenumzug zum ersten Sonntag des Oktoberfests auf. Kaum irgendwo findet einer so viel Habits und Aufmachungen. Nicht in Italien, nicht auf dem Balkan noch auf Bali. Manchmal ist München einmalig!

81 Bilder macht er uns zugänglich, der Ralf. Und wer weiß, wie viele er als Ausschuss betrachtet. Ich bringe beispielhaft 1, weil sonst der Beitrag wieder eine Ewigkeit lädt, aber die anderen 80 sind auch nicht grauslicher. Fragen, ob ich das darf, werd ich erst wieder hinterher, aber normalerweise ist der da nicht so. Außerdem kann er ja mit Leut.

Trachten und Schützenzug Oktoberfest 2015, 20. September 2015

Fun Facts über Schäftlarn

1. In der Bibel kommen keine Katzen vor. Deswegen kommen

2. in Kirchen nie Katzen vor. Unrein! Unrein!

3. In der Klosterkirche Schäftlarn, als ob sie dort das ganze Jahr über noch nicht genug agnostisch-freigeistige Hämmer krachen ließen, kommt eine Katze vor.

4. Dafür gibt’s in ganz Schäftlarn einschließlich Hohenschäftlarn keinen einzigen öffentlich zugänglichen Kühlschrank, der was taugt. Kein Supermarkt, bloß eine Bäckerei, die Adelholzener aus Plastikflaschen für 1,80 verkauft, aber immer noch Strom sparen muss. Zur Ehrenrettung dieses gottgesegneten Landstrichs will ich annehmen, dass die Wirtshäuser ihre Kühlschränke wenigstens auf 3 gedreht halten.

5. Ganz ohne ab und zu mal nach Schäftlarn zu latschen, geht’s halt doch nicht. Die neueste Motivation: Im Klosterbräustüberl haben sie inzwischen gelernt, was ein Schäufele ist. In Franken schlägt sogar jeder Wirt über die 11,90 € “bro Bozzion” die Hände über dem Kopf zusammen, aber das machen die eh dauernd, wenn sie was aus Bayern hören (und wenn sie das Diminutiv “Schäuferl” erleben müssen).

6. Katzen dürfen kein Schweinernes fressen. Denaturiertes schon, aber bevor das “Schäuferl” nicht richtig durch ist, lieber gar keins. Sonst Ende von Katze.

7. Wer mir sagen kann, wo genau in der Klosterkriche Schäftlarn die Katze vorkommt, ist auf ein Schäufele eingeladen. Vorausgesetzt, Sie wurden schon mal von mir eingeladen (oder Sie sind Hélène Grimaud oder so jemand), wo kommen wir denn da sonst hin.

Klosterkirche Schäftlarn, Sockel des Taufbeckens mit Katze

Buidl: Meins. Schenk ich Ihnen natürlich, wenn Sie immer fein dazusagen, wo’s her ist.

Eine der zehn besten Partys der Welt

Es ist eindeutig eine gewinnorientierte Werbung, keine Leistungsschau von und für Praktikanten. Normalerweise steckt man denen nämlich als erstes, dass der Text etwas anderes sagen soll als das Bild zeigt; siehe auch: “Neger vor Hütte” (Ausdruck von Erik Spiekermann, ca. 1950, als Menschen in der Pigmentierung bayerischer Restaurantaushilfsköche noch “Neger” hießen).

Die Münchner City-Lights halten das derzeit vorbildlich durch. Der Plakattext geht:

Gewinne mit Beck’s die Nacht deines Lebens.

Reise mit 3 Freunden zu einer der 10 besten Partys der Welt.
Einfach Gewinncode im Deckel checken.

Beck’s
Folge deinem inneren Kompass

Dagegen auf dem Bild hat dann offensichtlich ein ungewaschener jugendlicher Alkoholiker eine nackte Hütchenspielerbande zusammengetrommelt, damit er auf drei Freunde kommt, und steht mit ihnen in einem überschwemmten Keller umher. Social Awareness — kann man machen, ist aber selten an Münchner Bushaltestellen, wo man die Werbefläche ohne weiteres in Schwabinger Wohnfläche umrechnen kann. Vor allem mit diesem Zynismus, mit dem der soziale Härtefall nicht als Opfer dargestellt wird, sondern vielmehr seine Misere als “Nacht [s]eines Lebens” betrachtet.

Gewinne mit Beck's die Nacht deines Lebens, Plakat Sendlinger-Tor-Platz

Wenn das eine der zehn besten Partys der Welt ist, will ich lieber nicht die Top 100 sehen. Eine soziale Mission strahlt es nicht aus, sonst wären den aktuellen Bedürfnissen folgend eher Flüchtliche aus restaurantaushilfsköcheliefernden Ländern abgebildet, sondern allein durch seinen Premiumplatz am Sendlinger Tor schon die ganze Verzweiflung einer hohen Gewinnorientierung. Dann wird es wohl so ein Hipster-Ding sein: ein- bis dreifach gebrochene Ironie und so.

Demnach sind wir jetzt von Firmenseite gewarnt: So kann’s gehen, wenn man Beck’s kauft. Das Gute ist, dass man fürs gleiche Geld schon einen Kasten Bier haben kann.

Bild: Meins, schenk ich Ihnen aber.

Gedenkens güt’ger Gestank

In Bayreuth müssen sie sich gar nicht mehr eingekriegt haben vor lauter Feiern. Jedenfalls hätte sich genau letzte Woche ein Besuch da oben rentiert, weil man, wenn man denn schon mal hin muss, gleich zwei Sachen mitnehmen konnte:

  1. 150 Jahre “Tristan und isolde”,
  2. die Blüte der Titanwurz.

In Punkt 1, dem “Tristan”, wie wir Wagnerianer, Brahmsianer und Indie-Indianer sagen, geht’s gleich im zweiten Takt, also praktisch ab der ersten Sekunde, los mit dem Tristan-Akkord, der dann die restlichen — für eine Wagner-Oper eher straff gehaltenen — vier Stunden gar nicht mehr aufhört.

Weil man sich bei Richard Wagner über viel beschweren kann, nur nicht über einen Mangel an kuriosen Einfällen, heißt so eine Erscheinung Leitmotiv, und nach den bisherigen 150 Jahren ist noch nicht einmal die Diskussion darüber beendet, in welcher Tonart das Ding überhaupt steht. Und der Organist in den “Buddenbrooks”, er hieß Pfühl, musste nur 25 Takte aus dem Klavierauszug des “Tristan” in einer häuslichen Übungsstunde probeweise anklimpern, um “mit allen Anzeichen des äußersten Ekels” (Thomas Mann, Wagnerianer, a.a.O.) zu urteilen:

Das ist keine Musik … glauben Sie mir doch … ich habe mir immer eingebildet, ein wenig von Musik zu verstehen! Dies ist das Chaos! Dies ist Demagogie, Blasphemie und Wahnwitz! Dies ist ein parfümierter Qualm, in dem es blitzt! Dies ist das Ende aller Moral in der Kunst!

Heutigentags hätte man Herrn Pfühl (der später im Roman sinnloserweise doch noch zum Wagnerianer umschwenkt) derweil zu Punkt 2 in den Ökologisch-Botanischen Garten der Universität Bayreuth schicken sollen, da hätte er ihn erlebt, seinen parfümierten Qualm. Dort hat am 6. Juni zum ersten Mal in den weltweit erhaltenen Aufzeichnungen die Titanwurz, immerhin die größte Blume der Welt, zum zweiten Mal innerhalb zehn Monaten geblüht, leider ausnahmsweise am 6. Juni 2015 a wengla kleiner als am 1. August 2014: heuer nur mit einem Durchmesser von 2,03 Meter.

Weil die Botaniker 1878, als einer von ihnen, er hieß Odoardo Beccari, auf Sumatra so eine Wurz entdeckt hat, so wenig der kuriosen Einfälle ermangelten wie Richard Wagner 13 Jahre vorher, heißt sie wissenschaftlich Amorphophallus titanum, und so riecht sie auch. Der Duft wird von seinen Liebhabern, Befürwortern und Förderern beschrieben, “als sei eine Biotonne mit Fleischabfällen darin in der Sonne geparkt und sehr, sehr lange nicht geleert worden” bis “wie eine tote Maus, die man tagelang nicht findet”. Und das in einem absichtlich schlecht gelüfteten Tropengewächshaus. Wahrscheinlich hat wegen der Titanwurz “Aasgeruch” seine eigene Weiterleitung in Wikipedia (zu “Aas” nämlich).

Ähnlich wie beim Tristan-Akkord innerhalb des “Tristan” ist das kein Manko des sympathischen Aronstabgewächses, sondern muss so sein, um bei der kurzen Blütezeit besonders fiese Insekten anzulocken, die sich nicht zu schade sind, diese Ungurken zu befruchten und, ohne Dank zu erwarten, ihr Fortbestehen zu sichern. Letzten Samstag im Botanischen Garten hat’s allerdings nur für 4500 Besucher gereicht.

Pickelhart, die Bayreuther. Wer bei “Tristan”-Stellen wie “Vergessens güt’ger Trank, dich trink ich sonder Wank!” eineinhalb Jahrhunderte ernst bleiben kann, wird wohl noch zwei Tage lang Titanwurz schnuppern können.

Nächster Halt Völuspa

Man nennt mich einen Narren. Wird Gott, wenn er mich einst zu sich ruft, mich ebenso nennen?

Ludwig römisch Zwo

Auf den Spuren König Ludwig II.

Welche Bauten ließ Märchenprinz König Ludwig II. errichten? Wo hielt er sich in München am liebsten auf? Und wo findet man auch heute noch Denkmäler, die an den Regenten erinnern? Auf der Tour König Ludwig II. in München entdecken geht es kreuz und quer durch die Isarmetropole. Vom Hofgarten, wo der kleine Ludwig spielte, führt die Tour bis zu seiner letzten Ruhestätte in St. Michael. Dazwischen liegen Museen, Schlösser, Parkanlagen, Friedhöfe und Denkmäler — Orte in München, die auch heute noch im Glanz des Monarchen erstrahlen. Alles was man dafür braucht ist ein gültiges MVG Ticket. Wann es wohin geht, entscheidet jeder selbst.

König-Ludwig-Denkmal Bogenhausen, Maximiliansanlagen… und wann er wo welches Satzzeichen unterbringt, offenbar auch, o liberalitas Bavarica. Die MVG, die sich ansonsten eher bitten lässt, einen überhaupt irgendwo hinzutragen, gestaltet gelegentlich sogar Stadttouren, die man mit Hilfe seiner selbst bewältigen kann. Unter seinen MVG Freizeittipps schlägt er einen neuen König-Ludwig-Weg vor, der sich allein deswegen nicht durchsetzen wird, weil man ihn nicht hintereinander weg abklappern kann. Im zugehörigen Folder, der gerne zurzeit mal gratis ausliegt, kann man die notorischen Ludwigsorte so trickreich verbinden, wie man will, es ergibt weder eine Linie noch einen Rundkurs. Macht aber nix, ist ja für Leute aus dem MVG-Bereich, die können öfter los.

Was die Tour verschweigt: In München gibt es aktuell gerade mal zwei Denkmäler für König Ludwig II., den Märchenkönig, den Kini, den erfolgreichsten Touristenakquisiteur für Gesamtbayern noch vor seinem Namensvetter Ganghofer. Eins steht auf dem schon länger eingeführten König-Ludwig-Weg über der Isar (Blick verbaut) zwischen Bogenhausen und den Maximiliansanlagen, vom anderen ist nur noch der Kopf übrig, aber sie arbeiten schon wieder dran.

Was einem angesichts des Tourenfolders erst richtig auffällt: Die Schönheitengalerie von König Ludwig Römisch Eins, erst unlängst an dieser Stelle angenehm aufgefallen, verstand unter Schönheit noch die Schönheit von Frauen. Die Schönheitengalerie von seinem fraglichen Enkel Römisch Zwei, ebenfalls in Schloss Nymphenburg im Marstallmuseum nebendran, versteht darunter die Schönheit seiner eigenen Lieblingspferde.

Besonders gruselig daran: Der märchenkönigliche Leibapfelschimmel hieß Völuspa. Das bedeutet: Weissagung der Seherin. Der Prachtgaul wurde vom beauftragten Maler Friedrich Wilhelm Pfeiffer am Würmsee, heute: Starnberger See in der Nähe von Schloss Berg dargestellt. Das ist dort, wo Ludwig II. am Pfingstsonntag 1886 erschossen wurde, aber nix Genaues weiß man nie.

Der Vorteil ist: Wenn man nur die Münchner Ludwig-II.-Denkmäler mitnehmen will, hat man eine schön thematisch vollständige Stadtbesichtigung unternommen, zu der man sich mit dem MVG ziemlich eindeutig von A nach B auf den Weg machen kann. Oder andersrum.

Willhalm Veronika, Ein Denkmal für König Ludwig II., Stadtportal München 2009

Buidln: Selbergemacht, März 2014;
Willhalm Veronika: Ein Denkmal für König Ludwig II., 2009.
Soundtrack: Bally Prell: Isarmärchen, ca. 1953.

Nymphenburg von hinten

Bei “Nymphenburg” denkt man ja immer automatisch ans Schloss. Selbst wenn einer in München wohnt, ist der Versailles-Aufguss so prominent, dass man gern vergisst, dass so ein bayerischer König nicht gleich einen ganzen Stadtteil bewohnt haben wird.

Maria-Ward-Straße, Nymphenburg

Im Schloss selber ist eigentlich nur die Schönheitengalerie relevant, eine Art begehbares Fotoalbum von der Stärke eines alten Analogfilms: 36 Bilder. Außenrum gibt’s verdammt viel Park, sogar ziemlich schönen, und dann noch die gar nicht mal so ärmliche Stadt, die so einen König am Leben und Laufen hält.

Maria-Ward-Straße, Nymphenburg

Durch die Schloss Nymphenburger Periphierie gibt’s keine Führungen für die Japaner; schade eigentlich. Selbst mein eigenes Leben hört sich gleich interessanter an, wenn ich erzähl, dass ich in Wirklichkeit in dem Spalt unter der Sofalehne wohn. Das Leben bietet nichts Wesentliches, was man von dort aus nicht so gut wie irgendwo anders tun könnte (wenn man Zugang zu einem Klo hat), und ich bin noch nicht mal mit Regierungsaufgaben molestiert, eher im Gegenteil.

Maria-Ward-Straße, Nymphenburg

Dafür grenzt mein Sofa nicht an den Botanischen Garten.

Maria-Ward-Straße, Nymphenburg

Bavarian Gothic

Update zu Peregrini Bavarici:

Als ich noch in Nürnberg gewohnt hab, wusste ich gar nicht richtig zu schätzen, dass es da eine … nun ja: quicklebendige Gothic-Szene geben sollte. Mich entschuldigt einzig, dass ich das gar nicht gemerkt hab, und einfach so unter den schwarzgewandeten Bleichgesichtern meine Nervengifte zu mir nahm.

Das ist überhaupt das Schöne an den Gruftis: Es sind die Dickbrettbohrer unter den Subkulturen. Immer mit Edgar Allan Poe und Samuel Beckett befasst, immer ein besinnliches Liedchen auf den schwarz abgesetzten Lippen, stets im Bewusstsein der Vergänglichkeit aller Existenz. Und mit Schwarz ist man sowieso immer und überall angezogen.

Als ich nach Bayern ausgewandert bin, waren die Leute nicht mehr so schwarz, jedenfalls nicht äußerlich. Mit der Vergänglichkeit haben sie’s aber hallo:

Memento-mori-Fensterladen in Lenggries

Memento-mori-Fensterladen in Lenggries

Am Grabe streut man frische Blumen,
Warum im Leben nicht?
Warum so sparsam mit der Liebe,
Bis das Herze bricht!

Den Toten freuen keine Blumen,
Im Grabe fühlt man keinen Schmerz.
Würd’ man im Leben mehr Liebe schenken,
So lebte länger manches Herz.

Mir sagt ja die Unverfrorenheit zu, mit der die Oberländer Goten auf dem linken Fensterrahmen schnauzig und unterkühlt die Chevy-Chase-Strophe in die Memento-mori-Lyrik tragen und ohne falsche Scheu vor genug Senkungen pro Vers “Herz” auf “Schmerz” reimen — und vor allem das lebensbejahende “Im Grabe fühlt man keinen Schmerz”. Amen, Brüder!

Beinhaus St. Jakobus d. Ä., Lenggries

Buidln: Lenggries, glei wo ma einekimmt, und Sankt Jakobus der Ältere, “der Dom im Isartal”, ebenda.
Danke an Ralf für die Kamera, weil bei meiner die Akkus runter waren (soviel zur Vergänglichkeit)!

Mia san mia – und Kaiser simma eh.
Was das Maldöschen auf Gleis 1 mit der Landesausstellung Regensburg zu tun hat …

An was ich mich erinnere, war die extreme Dunkelheit im Dom und das gleißende Licht draußen. Die gute, aber viel zu kurze Führung und wie laut es in einem Dom sein kann, wenn mehrere Führungen auf einmal stattfinden. Man durfte innen nichts fotografieren und die Madonna mit dem Distelfink in der Kapelle am Kreuzgang wäre eine Sünde (also ein unerlaubtes Foto) wert gewesen.

Dabei sind wir eigentlich nur nach Regensburg, um mein metallenes Maldöschen aus dem Gleis 1 zu fischen, das dort am vorigen Wochenende beim Umsteigen in Regensburg aus seinem Rucksack fallend verloren ging.

Genauer: Das Maldöschen war meins. Und ich greinte, dass er es so lässig in eine äußere Rucksacktasche gestopft hatte, musste ja. Bekam ich einen erneuten Samstag in Regenburg geschenkt. Wir gleich auf Gleis 1 mein Einbein-Stativ (Manfrotto) ausgefahren und mit Klebeband unten an der Spitze präpariert, zwei nichtsnutzige Sonnenbrillen und mein Döschen aus dem Schotterbett gefischt. Gleich warense da, die Bahnbeamten: “Was machen Sie denn da?”

Waren wir aber schon fertig, hehe. Wir: “Nix!”

Und wenn man schon einmal da ist in diesem Regensburg, dann ab zum Ludwig, damit es sich rentiert. Hört sich an wie eine Kneipe, ist aber ein stock-eigensinniger Bayer wie er im Buche steht.
Ludwig der Bayer: Wir sind Kaiser!
Bild: Junggesellinnenabschiede unten, und alter Sack oben.

Wo Ludwig sich einst mit der Obrigkeit, den Päpsten, anlegte, sitzen heute ganze Regierungen samt ihrem Volk die Probleme aus und wenden sich Schabernack und Kostümparties zu.

Aus dem Besucherbuch 25.05.2014: “Lieber Ludwig, wir bitten für Deine Entlassung aus dem Fegefeuer.”

Junggesellinnenabschied im Schatten des Doms
Man sucht an diesem Tag lieber den Schatten.

Figur mit Löwe an der Fassade des Regensburger Doms Figur mit Löwin an der Fassade des Regensburger Doms
Wüstentieren wie Löwe und Löwin ist das schon lange ziemlich wurscht.

Schattiger Innenhof mit Platane des Café Prock Regensburg
Kluge Wölfe retten sich in einen schattigen Hinterhof.

Wolf im Innenhof des Café Prock beim Eiskaffee

 

Es gibt frischen Beerenkuchen (Erdbeere, rote Johannisbeere, scharze Johannisbeere) und jede Menge Sahne
Tortenporn: Kühle, frische Beerentorte (Erdbeere, rote Johannisbeeren, Heidelbeeren) mit saftiger Mohnunterlage und Sahneberg.

Vertreter der Regensburger Hofspatzen
Vertreter der Regensburger Hofspatzen warten auf Krümel.

Sonnendurchglühter Fuchsengang, Regensburg
Der Fuchsengang in Regensburg präsentierte sich sogar noch beim Heimgehen um 18:00 als sonnendurchglühte, menschenleere Gasse. Diese verdammte Hitze! Aber die Dose ist wieder da, das ist das Wichtigste … . Lieber Ludwig magst ruhig sein.

 

95 Jahre Gefreiter a. D. Josef Schwejk

Heute vor hundert Jahren: Da war grade Julikrise. Haben ja unter ihren Pickelhauben irgendwie die Zeit rumbringen müssen, nachdem sie am 28. Juni den Franz Ferdinand in seinem Automobil erschlagen und am 28. Juli Serbien richtig den Krieg erklärt haben.

Das hat sich dann hingezogen bis 1918. Der Salon-Eisenbahnwaggon in Compiègne, in dem sie den Waffenstillstand unterschrieben haben, steht da noch auf einer Waldlichtung. Sollte erst nur 36 Tage dauern, der Stillstand, danach hat sie’s schon selber genervt.

Der Waggon wird bestimmt bis heute aller Monate von einer kittelschürzigen femme de menage mal nass durchgewischt. “Krieg is nur für reiche Lajte”, sagt Schwejk, und am Schluss im Kelch: “An diesen Krieg werd’ ich noch wochenlang denken.”

Wenigstens sind wir die Gedenkfeiern schon gewöhnt, wenn am nächsten achten Mai der Zweite Große Krieg siebzig Jahre aus ist, und dann darf gern endlich Ruhe sein mit dem Kriegsgetümmel. Am besten für immer und überall.

Sackl Zement

In manchen traditionell geprägten bayerischen Gebieten wird ja immer noch der Osterbrauch hochgehalten, einander zum Besten zu haben; wahrscheinlich ein schlecht sublimiertes Balzritual, wenn die Dirndln zuschauen. Darum hat mich auch ein “Gebetomat” am leicht vom Schuss gelegenen Romanplatz (Tram 16 bis Endstation, nur die 17 traut sich bis nach Obemenzing) nicht weiter gewundert. Und schau an: Christkönig hat eine Ausstattung, die in der Hauptsache auf Beton basiert, aber eine sichtlich quicklebendige Gemeinde. Und die Dinger gibt’s wirklich.

Gucktrack: Otto Waalkes: Tomatobrotomat aus: Otto Show — nicht eruierbar, aus welcher. Weiß jemand Rat?

Top 5 Party-Facts über München

5.: In München hat seit 1498 keine Syphilis-Epidemie stattgefunden.

4.: In der Bogenhausener Wohnung vom Adolf ist heute die Polizei drin.

3.: Der einzige, der jemals die alte Marketing-Coach-Legende mit den Kosmetikartikeln auf dem öffentlichen Klo für voll genommen hat, ist der Allacher Schuhmair in der Ludwigsfelder Straße.

2.: Das Neuperlacher Einkaufszentrum Pep hat den einzigen Kaufland Münchens, einen Starbucks mit integriertem Theater und die größte freitragende Glaskuppel Deutschlands.

1.: Isar-Athen ist die nördlichste Stadt Italiens.

Florida

Buidl: Das Le Florida am Eck Kurfürsten- und Georgenstraße, selber gemacht. Schenk ich Ihnen vorsichtshalber, bevor mir einer copyrightlich was will. Dann muss es bloß noch jemand geschenkt wollen.

Stopp und renn

Feinkost M. Stopp, Sailerstraße

Dabei ist doch so klar, warum solche Läden praktisch ausgestorben sind: weil man sich durch solche Straßen nicht alleine traut. Milbertshofen hat immer noch den Ruf des kleinen Hasenbergls, da muss nicht erst die Dunkelheit einbrechen, damit einen jede alleinstehende Frau verdächtigt, man will ihr was. In leichten Fällen hilft es, die Straßenseite zu wechseln; wenn der Ladenschluss droht: rennen.

Aber sie tun schon was: Schmetterlinge draufmalen.

Feinkost M. Stopp, Sailerstraße

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