Freitag! Logbuch

Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

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Auch Einstein hat nicht immer Recht

Das Glück ist eine fiese Fee

Der Kater bloggt übers Glück.

“Die besten Dinge im Leben sind nicht die, die man für Geld bekommt.”
Albert Einstein, Theoretischer Physiker (1879-1955)

Oh doch, lieber Albert.

Aus Sicht einer Katze sind ein Schälchen Milch und ein warmer Platz am Kaminfeuer unbezahlbar und heutzutage fast noch mehr Glück als sonst. Möge dieses öde materielle Glück mich Kater zusammen mit meinem Bruder und meinem Personal noch länger begleiten. Dass wir satt & zufrieden lesen und Musik hören können, statt uns in kaltem Gemäuer mit knurrenden Magen einrollen zu müssen.

Persönlich erstellt mit KI, möge die Kreativität mit mir sein

Wer hätte daher gedacht, dass ich nach mehreren Lottopleiten nochmal den Stift zücke. Es rappelte in meinen Krallen, es war stärker als ich. Nach einer Ladung Creative Juice mit Milch legte ich los und ich hoffe jetzt auf eine gnädige Glücksfee. Mich hinter den Kamin gerollt, wartend. Amen.

 


Gruß
Der Kater

Dumme Tage gibt es genug

Heute feiern wir die Weisheit

Der Kater bloggt.

Dumme Gedanken hat jeder, aber der Weise verschweigt sie. Wilhelm Busch

Magische Nacht unter Sternen

Heute ist Feiertag in Bayern. Die Heiligen drei Könige, die einem neu geborenen Kind kostbare illegale Substanzen überreichten, sind wieder da und knuten die Christbäume aus dem Fenster.

Dabei waren sie ehedem gar keine Könige, sondern Weise. Magier, vielleicht Mathematiker, Astronomen, wissenschaftliche Elite. Sie folgten einer Sternenkonstellation und dem Kometen, der eine bedeutende Zeitenwende anzeigen sollte. Es ist auch nicht geklärt, ob es wirklich drei waren – es gibt sehr frühe Darstellungen mal mit zweien, mal mit fünfen.

Wollen wir an diesem Tag der Weisheit und der demutsvollen Suche nach Erkenntnis huldigen. Sie sind heute ein knappes Gut in der Welt.

 

Gruß
Der Kater

 

Es ist die Zeit, wo die Erinnerung an die Stelle der Hoffnung tritt

Es ist eigentlich eine böse Zeit! Das Lachen ist teuer geworden in der Welt, Stirnrunzeln und Seufzen gar wohlfeil. Auf der Ferne liegen blutig dunkel die Donnerwolken des Krieges, und über die Nähe haben Krankheit, Hunger und Not ihren unheimlichen Schleier gelegt; – es ist eine böse Zeit!

Wilhelm Raabe: Die Chronik der Sperlingsgasse, 1857, Anfang.

Das war vor 165 Jahren, der erwähnte Krieg der Krimkrieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich nebst Verbündeten, 1853 bis 1856; die erwähnte Krankheit war die Cholera, in Indien schon als dritte Pandemie über 14 Jahre. Ich referiere das nur, und dazu genüge der erste Satz aus einem Romanerstling, der als eher zu leichtfertig verschrien ist. Uns Nachgeborenen droht ja ein ganz anderes Szenario. Gott, falls wir noch einen haben, steh uns bei.

In diesem Sinne.

Soundtrack: Georg Friedrich Händel: Music for the Royal Fireworks (HWV 351), 1749,
unter Richard Egarr im hr-Sendesaal Frankfurt, 8. Oktober 2021:

Gulugulu!

Was wenige über mich wissen: Ich sammle Bilder von Enten, die sich rasieren.

Mein immerhin viertes Exponat in fünf Jahrzehnten ist das schönste: aus Romano Scarpa mit Rodolfo Cimino: Der letzte Gulu-Gulu, 1960, in: LTB Lustiges Taschenbuch 79: Dagobert Duck auf Taler-Safari, 1982, als Carl Barks den Griffel noch nicht auf immer hingelegt hatte, aber die Lustigen Taschenbücher noch lustig waren.

Dagobert Duck rasiert sich, Romano Scarpa mit Rodolfo Cimino, Der letzte Gulu-Gulu, Dagobert Duck auf Taler-Safari, LTB 79, 1982

Die anderen drei Exponate sind gesammelt und dort ausgewiesen als “Mother Goose Shaving“, der Ausarbeitung nach aber entgegen der Kategorisierung keine Gänse, sondern eher zweimal die Wildform der Stockente (Anas platyrhynchos) und eine Pekingente (Anas platyrhynchos domestica).

Fürs Leben nehmen wir mit: Wir unterscheiden Kochenten und Guckenten, wobei sich die Kochenten zum Verzehr eignen und daher Weihnachtsbräche aufs schärfste missbilligen; die Guckenten sind “nur” schön und daher im Vorteil.

Das ist ja gerade der Kick an den Enten: Mäuse, im Hause Walt Disney ebenfalls gern bei human konnotierten Tätigkeiten abgebildet, Mäuse, bevor man sie ins Wasser schubst, würde man aus dokumentarischen Gründen durchaus in seiner einschlägigen Sammlung mitbeherbergen; aber wegen ihrer bekannt haarigen Oberfläche wäre man bei Muroidea nicht ganz so überrascht über eine Rasur.

Als berufliche Nickeligkeit wollen wir meinen Widerwillen gegen die Inkonsistenz in der Schreibung werten: Schreibt sich ein Gulu-Gulu jetzt Gulu-Gulu oder Gulugulu? Man weiß so wenig.

Soundtrack: Lauren Bacall (sowas wird heute ja gar nicht mehr gebaut) in ihrem Filmdebut:
Musik und am Klavier: Hoagy Carmichael Text: Johnny Mercer: How Little We Know,
aus: To Have and Have Not, 1944:

Zur Wertschätzung von Frau Frang

Update zu Fuck Yes
und To all those who have lived and died alone:

Fast wäre Vilde Frang Bassistin geworden. Doch das Auto war zu klein

Das Cover ihres Debütalbums zeigt Vilde Frang in einer grünlich schimmernden Waldszene. Auch in natura wirkt die 24-Jährige ein bisschen wie eine nordische Elfe: der helle Teint, das gewellte Haar, das bis auf die Hüfte fließt, die dunklen Augen. Und ihr Spiel hat ebenfalls einen zarten, zerbrechlichen, transparenten Klang, der an Fabelwesen denken lässt.

Oda Tischewski: Mit der Geige Brücken bauen, concerti, 23. Januar 2012.

Ihr ungebändigtes Haar und das perfekte Oval ihres Gesichts verleihen Vilde Frang eine gewisse Feenhaftigkeit, das ist bis heute so.

Verena Fischer-Zernin: Vilde Frang ist halb Wunderkind, halb Weltstar,
Hamburger Abendblatt, 14. Juni 2016.

Mal was Schönes: In letzter Zeit fällt, wenn man ihr genug hinterherspürt, die junge Frau Vilde Frang aus dem Norwegischen auf.

Ihr Opus entsteht seit 2009, bislang neun CDs stark, und ähnelt in Auswahl und Qualität dem der bekannten, in jeder Hinsicht vergleichbaren Hilary Hahn, aber machen wir uns nix vor: Kein Mensch hat jemals der einen oder der anderen verstärkt zugehört, bloß weil sie so viel toller geigt als jemand anders. Wenn man dann noch Epiphanien wie Patricia Kopatchinskaja, Lisa Batiashvili, Janine Jansen, Julia Fischer, Isabelle Faust und wie sie alle heißen dazuvergleicht, wird es allerhand mit Optik zu tun haben.

Bei allem Sympathievorschuss für den Menschenschlag des herausgewachsenen Nordmannmädchens Frang finde ich aber schon, dass deren CD-Mixe anständig kuratiert sind: nicht irgendwas zusammengepappt, bloß weil es (nicht) zusammenpasst, sondern wenigstens mit dem Versuch einer Dramaturgie. Genauer und selbsterschlossener wird’s unsereiner ohne Musikstudium nie haben können; man muss die Leute vielleicht doch erst gesehen haben, bevor man ihnen zuhören will. Und das sagt noch einer, der sehenden Auges (sic) Sviatoslav Richter und Wanda Landowska (beide am Tastenmöbel) ganz ordentlich findet. Die Frangsche hat immerhin in bisherigen Karriere meine alten Lieblinge des Tschaikowskischen Violinkonzerts D-dur opus 35 und die Sinfonia Concertante von Mozart an neues Licht gehoben, mich für Paganini interessiert und kann den alten Geigenmuckel vom Erlkönig von Ernst, vulgo Grand Caprice für Violine allein opus 26, “Der Erlkönig”, so vernehmlich schneller und sauberer als die Hahn, dass es auch unsereins hört.

Wie Frau Frangs Line-ups auf ihren neun CDs beschaffen sind, kann man mit einer gewissen bürgerlichen Bildung gerade noch einordnen; ein Werturteil über die eine oder andere Interpretation traue ich mir weit weniger zu, ich kann ja nicht mal die Goldberg-Variationen mitpfeifen. Mit der Frang kann man sich immerhin bildlich vorstellen, ein Bier an der Theke einzuschnaufen, welche Qualität bei Hahn oder Batiashvili schon langsam ihre Grenze findet.

Und dann das: Wer bitteschön bezahlt mir – oder auch bloß sich selber – Vilde Frang am 29. März 2023 in der Isarphilharmonie, mutmaßlicher Stehplatz hinterm Pfosten mit mit Meet and Greet bei der Garderobiere ab 44,50, wünschbare Tickets 95 bis 110 Öcken? Ach, ist ja wurscht, die wissen eh heut schon, was die Frontlady in einem halben Jahr vorzufiedeln hat, und dann sind es Elgar und Prokofjew mit einem gewissen City of Birmingham Symphony Orchestra, das man vielleicht gehört haben muss oder vielleicht nicht, und für die zweimal Eintritt krieg ich das Gesamtwerk von Elgar und dem Protokopf gleich mehrmals raus. Oder alle neun CDs von Vilde Frang, falls heute noch jemand dergleichen gegen Geld erwirbt.

Frau Frang selbst ist ein grundlegend mädchenhafter borealer Jeanstyp junonischer Statur, was in diesem Fall endlich mal kein Euphemismus für “zu fett” ist. So begünstigt muss man von der Schöpfung nämlich erst mal sein, um grüne Schlauchkleider ohne Verlust der Menschenwürde vorzuführen:

Vilde Frang live mit Michail Lifits:
Gabriel Fauré: Sonate für Violine und Klavier Nr. 1 A-Dur, opus 13:

Bonus Track: der alte Geigenmuckel vom Erlkönig von Ernst,
vulgo Grand Caprice für Violine allein opus 26, “Der Erlkönig”:

Tiny Wee Hours

Das Beste vom Tag sind ja die Stunden zwischen 4 und 7 Uhr. Manchmal schon ab 3, in stillen Gegenden auch bis 8 Uhr, aber es ist immer diese aus dem Kalender gefallene Zeit, in der die Welt bei sich ist. Da haben die Lumpereien der Nacht schon aufgehört und die des Tages noch nicht angefangen, und man muss es sich immer ein bisschen verdienen, das mitzuerleben, egal ob man schon oder noch auf ist.

Außer man ist Bäcker oder Fernfahrer, logisch. Gestern war ich ein Blässhuhn. Auf meinem nächtlichen Flug über die Stadt hab ich mich inmitten einer Horde Fulica atra niedergelassen; ihr Wachposten ließ mich gewähren und schüttelte kaum überrascht sein störrisches Gefieder.

“Warum haben wir Wachposten?” fragte ich, “sind wir im Krieg?”

“Nicht so laut”, flüsterte der Posten, “du meinst, ob wir gegen jemanden kämpfen, so wie die Senkrechten?”

“Ja, blöd, wie die sind”, beeilte ich mich.

Der Posten schielte misstrauisch herüber. “Keine Ahnung, wie tief eine Tierart sinken muss, um gruppenweise gegen ihresgleichen vorzugehen”, sagte er, “Aber momentan pass ich auf Falken und Füchse und Wiesel auf.”

Ein friedliebendes Volk, immerhin. Also fasste ich mir das Herz zuzugegeben: “Du musst mir nachsehen, ich bin gar kein Blässhuhn.”

“Ach, nicht?”

“Meistens muss ich als Mensch unterwegs sein, ich flieg heute zum ersten Mal. Ich lern bloß was dazu. Nachtsicht und so.”

“Erstaunlich”, sagte der Posten, “sonst probieren’s die Menschen immer zuerst als Schwäne. Dann mal los, du bist dran”, und ließ mich als Wachposten stehen.

Sag ich ja, dass man sich die Uhrzeit verdienen muss.

Soundtrack: Sandy Denny für Fairport Convention: Fotheringay,
aus: What We Did On Our Holidays, 1968:

Sternstunden der Autorenfotografie

Was wenige über mich wissen: Ich sammle Bilder von bedeutenden Menschen, die gephotobombt wurden. Die Bilder, nicht die Menschen. Obwohl … – Chronologisch:

  1. Barbara Niggl Radloff, André Maurois im Münchner Hofgarten, Schlafender auf Parkbank im Hintergrund, undatiert, vor 1962, via Münchner Stadtmuseum

    Barbara Niggl Radloff: André Maurois im Münchner Hofgarten, Schlafender auf Parkbank im Hintergrund (undatiert, vor 1962), via Münchner Stadtmuseum.

  2. Sepp Dreissinger,  Thomas Bernhard in Wien, 1988, via Ansichtssache, Thomas Bernhard – Das führt alles zu nix, Der Standard, 3. Februar 2011

    Sepp Dreissinger: Thomas Bernhard in Wien, 1988, via Ansichtssache: Thomas Bernhard – Das führt alles zu nix, Der Standard, 3. Februar 2011.

Vroni meint: “Kann man doch photoshoppen.”

Soundtrack: Led Zeppelin: Nobody’s Fault But Mine, aus: Presence, 1975 (übrigens in den Münchner Musicland Studios aufgenommen, wo heute das Arabella Sheraton Hotel drin ist),
zusammengekochte Version von Jimmy Page & Robert Plant mit dem Egyptian Ensemble und dem London Metropolitan Orchestra: live 1994:

Vom Manul

Der gute Rat der Woche: Wenn alles andere versagt: nach “Manul” googeln, vorzugsweise nach den Bildern. Dankt mir halt irgendwann später mal.

“Eine steinalte, also überaus haltbare und kaum mehr zu verbessernde Lebensform”, sagt Vroni.

“Und putzig dazu”, sag ich.

“Pelzbacksteine”, sagt Vroni, “mit Pfote an jedem Eck und Bart außenrum.”

“Sehr treffend”, sag ich, “und bloß nicht anfassen.”

“Was dir im Fall von Backsteinen besonders leicht fallen sollte.”

“Das ist jetzt schnell gegangen, bis es gegen mich losgeht.”

“Tja, Wolf. Hätt ich was mit Kasachen, Tadschiken, Kirgisen und Mongolen sagen sollen?”

“Auch wieder wahr”, sag ich.

Soundtrack: Bugotak: Nothing Else Matters, aus: Coverlar, 2006:

Bonus Track: vom Manul:

Felicitas entschlängelt

Wo doch gerade die Maxvorstadt mal so ein Eck war, wo man genau gewusst hat, wo man hintreten und wie man sich benehmen soll, damit eine Münchner Gemütlichkeit aufkommt. Inzwischen weiß man ja gar nicht mehr, ob es einem vor einem Übermaß an Information grausen soll …

Aushang Schlange entlaufen, Schellingstraße 12.Oktober 2022

Schlange entlaufen –
2000 Euro Finderlohn!

Am 7. Oktober ist mir leider bei offenem Fenster meine Kobra Felicitas entlaufen, oder man sollte wohl besser “entschlängelt” sagen oder so etwas. Die Kobra gehört zwar zu den gifigsten Schlangen der Welt, ist aber eher schwerfällig und greift auch nicht an, wenn man sie nicht provoziert. Dennoch rate ich ausdrücklich davon ab, sie ohne geeignete Ausrüstung oder Kenntnisse einfach selbst zu fangen. Wenn Sie Felicitas sehen, bitte schreiben Sie mir umgehend eine Mail, ich werde dann so bald wie möglich kommen. Sie sucht bei der Kälte sicher vor allem warme Orte wie Kofferräume, Lastenräder oder auch Kinderwägen …

Vielen Dank für die Mithilfe!

— oder vor zu wenig.

Aushang iPhone gefunden, Barer Straße, 12. Oktober 2022

iPhone gefunden

Buidln: alle zwei im Abstand von keinen fünf Minuten aufgenommen,
Schellingstraße, Barer Straße, 12. Oktober 2022. Schenk i Eahna.

Soundtrack: Nick Shoulders: Snakes & Waterfalls,
aus: Lonely Like Me, 2018:

AppLass

Zweite Woche krank:
Vermutlich existiert mein
Sterbebildchen schon.

“Müssen die heute nicht biometrisch sein?”

“Wozu sollten sie?”

“Weiß nicht. Weil Petrus auf kontaktlosen Self-Check-in umgestellt hat vielleicht?”

“Das könnte dir so passen. Keine App, kein Ableben, gell?”

“Heißt das, ich muss dich noch so lange aushalten, bis du dich zu einem Smartphone bequemst?”

“Hauptsache, du verwendest nicht mein Passbild.”

“Dass ich so durchschaubar bin.”

Soundtrack: Fury in the Slaughterhouse:
aus: When I’m Dead and Gone, aus: Mono, 1993:

Version 2:

Herzkartoffel auf Schlauchzwiebelquarkspiegel

Herzkartoffel, 28. September 2022

“Es gibt Essen”, sagt Vroni.

“O ja, kein Zweifel”, sag ich, “grad gestern hab ich mal eins gesehen, war gar nicht so schlecht.”

“Wolfwolfwolf.”

Buidl: Vroni, 22. September 2022.

Kartoffel: festkochend, Lidl, 2,5 kg 1,89 €.

Soundtrack: Janis Joplin Big Brother and the Holding Company:
Piece of My heart, aus: Big Brother & the Holding Company, 1967,
live in der Jahrhunderthalle, Frankfurt am Main, 12. April 1969:

Spending my Produktionsmittel

Wenn man jedoch sich nicht verdutzen läßt, sondern frägt, was denn eigentlich die Ideen seien, als deren Vermögen die Vernunft bestimmt wird; so erhält man gewöhnlich, als Erklärung derselben, einen hochtrabenden, hohlen, konfusen Wortkram, in eingeschachtelten Perioden von solcher Länge, dass der Leser, wenn er nicht schon in der Mitte derselben eingeschlafen ist, sich am Ende mehr im Zustande der Betäubung, als in dem der erhaltenen Belehrung befindet, oder auch wohl gar auf den Verdacht geräth, es möchten ungefähr so etwas wie Chimären gemeint sein.

Arthur Schopenhauer:
Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde,
5. Zweite Klasse der Objekte für das Subjekt, § 34: Ideen, 1813.

Wenn man einen Jüngling absichtlich verdummen und zu allem Denken völlig unfähig machen will, so gibt es kein probateres Mittel, als das fleißige Studium Hegelscher Originalwerke: Denn diese monströsen Zusammenfügungen von Worten, die sich aufheben und widersprechen, so dass der Geist irgend etwas dabei zu denken vergeblich sich abmartert, bis er endlich ermattet zusammensinkt, vernichten in ihm allmählich die Fähigkeit zum Denken so gänzlich, dass von da an hohle leere Floskeln ihm für Gedanken gelten. – Wenn einmal ein Vormund besorgen sollte, sein Mündel könnte für seine Pläne zu klug werden, so ließe sich durch ein fleißiges Studium der Hegelschem Philosophie diesem Unglück vorbeugen.

Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde II.
Falsche Propheten: Hegel, Marx und die Folgen, 1958.

Mit Schopenhauer ist es nicht viel anders als mit Hegel, Marx, Popper und Luhmann: Man wacht immer erst bei den Redundanzen auf. Oder wie der nicht zu unterschätzende Philosoph Per Gessle es ausdrückte: Don’t Bore Us, Get to the Chorus! (1995).

Liedersingen bei Stromausfall

Seit der finanziell begründeten, politisch allerdings hochwillkommenen Aussetzung der Schulbildung gehen ja nur noch die letzten Zuckungen der Kinderbücher und ein paar Regionalkrimis. Mal nach den Koryphäen schauen.

Zum Beispiel Robert Habeck: Kleine Helden, große Abenteuer (Band 2): Neue Vorlesegeschichten, Edel Kids Books – ein Verlag der Edel Verlagsgruppe, Hamburg 2021, vierfarbig illustriert durch die Ehefrau von dem “Autor” (Verlagsbeschreibung) Habeck, Andrea Paluch

Auf dem Stand vom 15. September 2022 Kundenbewertungen zu 80 % mit 1 von 5 Sternen. In der Verlagswerbung hab ich nach

Auch in diesem neuen Band mit Vorlesegeschichten vom Erfolgsgespann Robert Habeck und Andrea Paluch wird der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Jede der Geschichten hat einen besonderen Twist: Die kleine Susanna entdeckt mit ihrer Freundin die Geheimnisse der Zeit, und Emily erfährt aus erster Hand, wie aufregend ein nächtlicher Stromausfall sein kann.

zu lesen aufgehört. Schade um die Zeit, normalerweise hätt ich schon nach dem Numerus-Fehler abgebrochen.

Es kann aber sein, dass der Seewolf auf dem PR-Bild, das hoffentlich kein zweitverwertetes vom frühen Achim Reichel ist, schon zu beschäftigt mit Ministerämtern war; den Effekt kennt man ja von Goethe nach der Italienreise. Soviel zum Kinderbuch.

Also Gegenprobe beim literarischen Erstling, dem Regionalkrimi: Hauke Haiens Tod, S. Fischer, Frankfurt am Main 2001: Die 1-Stern-Rezensionen stehen nur auf 3 %, das meiste sind die 5-sternigen, 38 %:

Der Deich bricht. Bei einer Jahrhundertsturmflut an der friesischen Nordseeküste kommt es zur Katastrophe.

Na gut, war ein Versuch.

Soundtrack: Laura Gibson: La Grande, aus: La Grande, 2012:

When we’ve covered our hands in the bone-white clay,
And we’ve shaken the dust from every boot and spur,
We have counted our days in planks and rails,
We have kept our spirits in the dancing halls:

Oh, I’ll be no more.

Jesus Christus, ja ja

Altötting leuchtet. Der frühe Städtetourist schaut dem Kapellplatz beim Aufwachen zu, der Himmel darüber hat vor lauter Freude über das allgemeine Wiederauferstehen in seinem Weiß-Blau sogar die weißen Wölkchen vergessen, bis auf ein einziges Schäfchen. Die Devotionalieneinzelhändler um die Gnadenkapelle herum entzünden an ihren Auslageständen mindestens vier Sorten Weihrauch, damit auch der weltlich orientierteste Pilger gleich erschnuppert, wo er hingeraten ist. Riecht gar nicht schlecht, nach Frühmesse, Gratis-Mitbenutzung legaler Psychedelika und Ausräuchern aller Sünden.

Ich verlaufe mich in den historischen Gässchen ums Zentrum. Man geht hier nie lange verloren, an jeder Ecke wartet eine Kirche, die man schon seit dem Bahnhof (Bahnhof des Jahres 2020!) von den Wegweisern beim Vornamen kennt. Die meisten davon sind schon fleißig befasst mit ihrem wochentäglichen Gottesdienstprogramm. Jede Rosenkranzandacht findet genug Fans, die den Rosenkranz auswendig können, dass man ihr Gemurmel bis draußen hört.

Die Straßen und Kirchvorplätze gehören noch den Devotionalienhändlerinnen mit anscheinend heidnischen Hintergründen und mir leider etwas weltlich orientiertem Pilger. Ich betrachte die Auslagen aus geweihten und selbstständig zur Weihe vorzuführenden Kerzen, Repliken der allgegenwärtigen Schwarzen Madonna in allen Größen, Klosterlikören der weltoffensten Provenienz, kunsthandwerklichen Gegenständen ortsansässiger Hausfrauen und Nonnen, Pilgerbier als Sixpack in Bügelflaschen, erbaulichen Spruchweisheiten aller Weltreligionen, solange sie tief genug im allgemeingültig Vagen verharren, um dem römisch-katholischen Glauben nicht geradewegs zu widerspechen, und Grünen Skapulieren vom Unbefleckten Herzens Mariens. In der soeben ihre Pforten aufschließenden St.-Antonius-Buchhandlung erwäge ich den Kauf des dreibändigen Lexikons der Heiligen und Heiligenverehrung, Herder 2003, aber für den Verlagspreis hätte ich es wenigstens gesegnet haben wollen; siehe auch: avaritia; acedia.

Die jungische Sintiza im wehenden Leinenmantel mit dem schlaffen Einkaufsbeutel läuft mir schon die dritte Altstadtgasse lang in einigem Abstand hinterher.

“Spende bitte!” ruft sie mir von hinten zu, “Spende, bitte Spende!”

“Gehen Sie halt ein bissel näher an die Hausmauern”, sag ich, “die spenden Schatten.”

Sie versteht gut genug Deutsch. Ihr Abstand vergrößert sich.

“Ja, ja!” schreit sie mir hinterher, “ja, ja! Jesus Christus! Ja!”

Gut gegeben; ich grinse anerkennend in mich hinein, damit sie sich nicht ausgelacht fühlt. Woher kann sie denn auch wissen, dass Pilgernde meines Schlages in so sakraler Umgebung nicht ihren Herrgott feiern, der sich schließlich allüberall finden lässet, sondern Folklore gucken gehen.

Ich gehe in Kirchen unterschiedlicher Widmungen und Baustile mein Kreuzlein schlagen und vor allem ins seit Jugendtagen anvisierte Jerusalem-Panorama “Kreuzigung Christi”, das mich mein Tagesbudget Eintritt kostet (4,50 Euro), vergesse auch einen Abstecher ins drei Kilometer beiseite liegende Neuötting nicht, verzehre vor der dortigen Nikolauskirche zwei mitgebrachte Äpfel und ein Dextro Energen, weil Verschwendung keine geringere Sünde wäre denn Habsucht, und mache mich auf den Rückweg zum Bahnhof des Jahres 2020.

Der russisch geführte Supermarkt namens R·markt in der Bahnhofstraße hat regionale Äpfel für 99 Cent das Kilo, ich muss also rein, damit ich nicht mit noch leereren Händen heimkomme, als ich weggefahren bin. Es gibt auch Salzgurken aus kaukasischer Rezeptur und etwa fünfzig Kühlregalmeter sehr unterschiedlich gewürzter Speckseiten.

Auf der Straße wartet die jungische Sintiza im wehenden Leinenmantel mit dem prallvollen Einkaufsbeutel.

“Spende bitte!” sagt sie, “Spende, bitte Spende!”

“Ja, ja”, sag ich, “Jesus Christus.”

Sie erkennt mich. Leider haben wir alle vier Arme voll zu schleppen, darum lächeln wir nur und verneigen uns voreinander im tiefsten Respekt.

Altötting leuchtet.

Soundtrack: Vagabon featuring Courtney Barnett: Reason to Believe, 2021:

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