Die Stadt München ist uns lieb und teuer. Man sieht es an einem VIP-Oberbürgermeister, der zwar rot ist, eigenartig überakzentuiert wie ein Oberlehrer spricht, einen Schnurri trägt, aber demnächst Ministerpräsident werden will (Yes we can, auf bairisch: „Mia Ruaden könna des aa!“).
Man sieht es auch an den tollen, italienisch wirkenden Plätzen.
Nein, ich meine nicht den Gärtnerplatz der hochgeschoppten Sonnenbrillen, sondern den Odeonplatz und den Platz vor der Oper. Die haben was.
Man sieht es daran, dass in begehrten Vierteln wie dem Glockenbach, der Ludwigsvorstadt oder unserem isarnahen Dreimühlenviertel auch wirklich jeder hin will.
Zum Beispiel ans äußerste östliche Ende des Dreimühlenviertels, der Reifenstuelstraße, die an das Glasscherbenviertel des Schlachthofs grenzt.
Kaputte Bierflaschen auf den Radwegen der Thalkirchner Straße, mit Tequila-Schlieren vermischte Kotzfladen vom Los Bandidos auf dem Gehweg, viele Hundebomben. Wir hatten auch schon eine in die Doppel-Scheibe hineingehämmerten Krautskopf als Attraktion. Nachts grölende Jugendliche, vermutlich Berufsschüler aus Erding, die zuhause nicht grölen dürfen, weil man aus gutem Elternhaus stammt. Die Nazikneipe Burg Trauschnitz lag auch in der Nähe. Nein nicht von Erding, sondern in der Nähe des Dreimühlenviertels.
Erding ist ein ordentliches Städtchen, wo kämen wir da hin …
Ehemals war auch da: eine Villa Caribe gegenüber: eine angebliche „Musikkneipe“, die bis um 7 Uhr früh geöffnet hielt und wo sich ältliche Zuhältertypen, die wie Waffen- und Kokshändler im Nebenjob aussahen, zusammen mit ältlichen Bordsteinschwalben trafen. Die davor auf einem Bänkchen saßen und mit der Bierflasche in der Hand und verrucht-prolligem Aussehen das Münchner St. Pauli gaben.
Gut, die hat die Polizei jetzt ausgehoben nach einer Razzia. Das Caribe gibts nicht mehr. Denn ein wie Jean Reno von den “Purpurnen Flüssen” aussehender fescher, aber grimmer Kommisar hat Wochen vorher Zugang verlangt in unser Haus. Zwecks Observierung von gegenüber. Ich habe da zum ersten Mal in meinem Leben eine Polizeimarke der Kripo in echt gesehen, weil ich das Hascherl war, das ihm mit weichen Knien (So ein Mann, so ein Mann, zieht mich unwahrscheinlich an, dieser Wust, diese Kraft …) aufmachen durfte. Der Vronibär vom Lande in Kontakt mit dem internationalen Verbrechen …
Das Phänomen
Es hängen seit Jahren an Regenrohren und Straßenlampen immer wieder neue wunderschön gestaltete Handzettel. Von hoffnungsvollen jungen Pärchen oder Jungfamilien, die unbedingt hier wohnen wollen und auf sehr kreative Weise – oft mit selbstgemalten Bildern ihrer Süßen – ihr Begehr schildern.
Sie wollen unbedingt HIER wohnen und zahlen fast jeden Preis. Kopfkratz.
Die Immobilienfuzzies sind dann auch nicht blöd und preisen uns als In-Viertel an und neuerdings auch als verkehrsberuhigte 30er-Lage.
Es stimmt auch: Man darf nur noch mit 30 mit seinem schicken Mini die Katze überfahren.
Und muss jetzt aus Automaten mühselig Parkscheine ziehen für seine Rostlaube mit der Feinstaub-4-Plakette. Sonst nixe hier parken. Und eine hinterhältige Politesse, meist ist es jedoch ein Politesserich (immer da, wenn man denkt, sie sind nicht da), prüfen das akribisch. Es ist, was den Straßenlärm und die Parksituation selbst betrifft, um einiges ruhiger geworden hier, gottseidank. Vielen Dank nochmal an den feschen Kommissar. Und an die Stadt München, die das mit der Verkehrsberuhigung prima hingekriegt hat. No kidding und ich liebe den Ude dafür aufrichtig.
Italienische, weltoffene Lebensart der „Weltstadt mit Herz“
Es stimmt auch, dass wir das totale In-Viertel sind. Der Tatsache, dass es jetzt angeblich ein verkehrsberuhigtes Viertel erster geschäftsfördernder Immobilienklasse ist, muss jedoch dringend entgegnet werden mit dröhnenden Balkonparties. Ja wo kämen wir sonst hin? Und mindestens mit 2-3 mal in der Woche rücksichtslosem, lautstarkem Lärm im Innenhof wie in einer Kneipe. Entschuldigung: das ist selbstverständlich nur die kulturelle Pflege des Mediterranischen im Innenhof. Mediterranisch heißt: Wir gehen noch lange nicht ins Bett und sind laut wann wir wollen, auch wenn’s dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Präpotentes Dolce Vita, auch wenn Spießer ihre Ruhe fordern. Ohne Bier, viel Wein und Wodka geht da nix.
Jeder Sonnenbrillen-In-Fuzzie, dem es noch nicht reicht, 16 Stunden in seiner Werbeagentur zu fronen, wird hier nach seiner Afterwork-Party heimkehrend angeduselt sein natürliches Habitat finden.
Seine Erholung in der knappen Freizeit
Seine einzig wahre Wohnstatt. Er muss dringend hierher ziehen, unbedingt. So nah wird er wahrhaft italienischen Verhältnissen nie mehr sein (außer im chaotisch-prolligen Berlin vielleicht)! Um von seiner gehaltsverzehrenden Luxus-Maisonette-Wohnung aus nach unten blickend den lautstarken Wortbeiträgen angeschickerter prolliger Hofbewohner zu lauschen. Er muss als Marketeer ja Tag und Nacht wissen, wie das Volk so drauf ist.
Als Ambiente verkleidete Rücksichtslosigkeit
Jung v. Matt hat seinen Mitarbeitern für dieses hochexklusive Erlebnis der zoologischen Lebensnähe extra für teuer Geld das Durchschnitts-Wohnzimmer in die Agentur gebaut. Hier bei uns hat der wohnungssuchende Werber es für lau und mit der Akustik der Open-Air-Version. Ob er bei diesem nächtlichen Volks-Radau der gentrifizierten „Nichtspießer“ seine Werber-Nerven für den nächsten chaotischen Arbeitstag, ohne Burn-out zu kriegen, hier stählen kann? Wir wissen es nicht und wollen es auch nicht mehr wissen.
Ich wohne jetzt 10 Jahre hier und denke über Change nach. Mir jedenfalls wurde von Nachbarn gedroht, meine Scheiben einzuwerfen, weil ich verlangte, dass man leiser ist.
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