Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: September 2014

Hinauswachsen, abstauben und einschmelzen

In einer Zeit, als die Wanzen der NSA, die Telefone der Regierung und mein Fernseher noch dreierlei Geräte waren, wäre einem auch das verborgen geblieben: Soso, mein volksvertretender Bundespräsident Joachim Gauck wohnt gar nicht mehr in seinem Schloss, der hat jetzt bei Madame Tussaud’s, aber nur in deren Filiale bei Polen, unter seinesgleichen einen Stehplatz. Wer mal auf dem Oktoberfest war, kennt das Gefühl. Da muss man nicht seinen schönen Lebensabend mit dem Regieren verplempern und erreicht viel mehr Menschen als übers ZDF.

Herrn Gaucks Berliner Sitzplatz hat jetzt sein neu erstellter Avatar. Der repräsentiert viel billiger, passt besser zu Angela Merkels Wachsfigurenkabinett und muss sich überhaupt nicht mehr waschen.

Kann sein, dass ich da was verwechselt hab, aber das erklärte einiges.

Soundtrack: The Dresden Dolls: Coin-Operated Boy,
aus: The Dresden Dolls, 2004.

Es dürfen uns also nicht die Urtheile, nicht die Spöttereien Wunder nehmen

Neulich im Bus 58:

Wird demnächst in München nicht wieder diese Theresa-Kirmes auf der Oktoberwiese angezapft?

Der Tag wird kommen, an dem ich junge Frauen im Bus aus fadenscheinigen Gründen auf den Mund schmatz, und dann wird vor Schande mein Leben sich enden (vor allem, wenn meine Frau dabei ist). Hoffentlich ist dann wenigstens Theresa-Kirmes, da ist sowas normal. Zuzeiten soll man an den Lustbarkeiten der ansässigen Jugend maßvoll teilhaben.

Im Ernst: Sollte je ein ungnädiger Dämon glauben, mich zum Oktoberfest reiten zu müssen, werde ich hoffentlich schon am Eingang zurückgewiesen (daher “Wiesn”), und ich hab die Madame de Staël dabei:

Franken, Schwaben, und, vor der Errichtung der berühmten Akademie zu München, auch Baiern, galten für schwerfällige einförmige Länder, wo es keine Künste gab, die Musik ausgenommen; wenig Literatur; eine rauhe Betonung, der die Aussprache der lateinischen Töchtersprachen ungemein schwer wurde; keine Gesellschaft; große Zusammenkünfte, die mehr einer Feierlichkeit als einem geselligen Vergnügen glichen; eine kriechende Höflichkeit gegen eine ungeglättete Aristokratie; Herzensgüte, Biedersinn in allen Classen, aber eine lächelnde Steifheit, die mit aller Zwanglosigkeit alle Würde verscheucht. Es dürfen uns also nicht die Urtheile, nicht die Spöttereien Wunder nehmen, die man sich über die deutsche Langeweile erlaubt hat. In einem Lande, wo die Gesellschaft so gar nichts, und die Natur so wenig ist, können nur die Sitze der Literatur, die gelehrten Städte, anziehend seyn. […]

Das südliche Deutschland, in jeder Hinsicht gemäßigt, schleicht im eintönigen Wohlseyn dahin, und verbleibt in diesem Zustande, dem nachtheiligsten für die Thätigkeit im Handeln wie im Denken. Der lebhafteste Wunsch der Bewohner dieser ruhigen fruchtbaren Länderstrecke besteht darin, so fortzuleben, wie sie leben; und wozu führt dieser Wunsch, wenn er der einzige ist? Er reicht nicht einmal hin, dasjenige zu behalten, womit man sich begnügt.

Na gut, es funktioniert sogar mit alten Frauen, die nie im Bus 58 gefahren sind.

Die kommen alle immer wieder

Beim Wälzen des neuen Münchner Katalogs der Volkshochschule wird man noch ein, zwei Semester damit fremdeln, dass der abgemusterte Oberbürgermeister Christian Ude nicht mehr das Grußwort schreibt, sondern sein Genosse Dieter Reiter.

Der Ude kommt in der Volkshochschule trotzdem noch vor, diesmal im Dozentenverzeichnis (BG 6 E). Genauer: Er kommt wieder vor. Der Mann hatte nämlich, die Älteren entsinnen sich, ein Leben vor dem Oberbürgermeisteramt: 1969, noch als Student, leitete er an der Volkshochschule München den politischen Diskurs “Politik der Woche”. Darin ging es um die Nahost-Krise, Ostpolitik oder Rechtsradikalismus, eingebunden war ein Hearing mit dem Oberbürgermeister, seinerzeit Hans-Jochen Vogel, wenn er schon das Grußwort stiften durfte.

Udes damalige Einstellung zu Themen wie Nahost-Krise, Ostpolitik und Rechtsradikalismus sollte klar sein. 1969, das war die Zeit, in der man, um politisch satisfaktionsfähig zu sein, “Das Kapital” einmal durchgeackert haben musste. Das von Karl Marx, nicht das vom eigenen Vater, alle drei Bände mit Kommentar.

Leider zeigt sich, dass die Probleme, denen 1969 möglicherweise mit den Vorschlägen von Karl Marx beizukommen war, erst heute auftreten. Aber jetzt haben wir ja wieder den Ude — als ob man ihn je los gewesen wäre. Nach seiner letzten Lehrveranstaltung knüpft er da wieder an, wo er vor 45 Jahren aufgehört hat: bei einem politischen Diskurs namens “Politik der Woche”. Darin geht es um die Nahost-Krise, Ostpolitik und Rechtsradikalismus, eingebunden wird zweifellos ein Hearing mit dem Oberbürgermeister, dem Genossen Reiter, bekannt aus Grußwort und Kommunalwahl.

Ein “Kapital” von Marx gibt’s auch wieder in München und Freising, leider heißt er Reinhard und ist da der Erzbischof, und das “Kapital” ist ein “Plädoyer für den Menschen” von 2008. Für welchen Menschen, müsste man mal nachlesen, aber spielt das wirklich eine Rolle?

Herr, verzeih’ ihnen nicht, denn sie wissen sehr wohl, was sie tun.

DEM KATER SÎN BLOG: Hier spricht der Kater.

Trust and belief are two prime considerations. You must not allow yourself to be opinionated.

Only the gentle are ever really strong.

James Dean

Ex-BW-Ministerpräsident und Atomnutte Oettinger, die überhaupt nichts von Internet versteht, wird EU-Kommissar für das Internet.

Heiliger Strohsack. Das war diesmal jetzt wirklich kein Versehen. Deutlicher als mit dieser Lobbyistentrickser-Personalie kann man als digitaler Bürger nicht mehr übergebraten kriegen, dass das alles Absicht ist: Wir werden verarscht. Bei vollem Bewusstsein.

Baboon buttocks
Fotografie: Prakhar Amba from Agra, Gandhinagar

 

© 2024 Freitag! Logbuch

Theme von Anders NorénHoch ↑