Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: August 2014

Stilsicher

DEM KATER SÎN BLOG: Hier spricht der Kater.

Nur ein großer Geist wagt es, einfach im Stil zu sein.
Stendhal

Von Zeit zu Zeit lese ich Ferdinand Bardamus Ostblog (“Eine Art Tagebuch”)

Ich les’ den gern. Seit Jahren. Mir fallen diese kurzen, stilsicheren Aperçus immer wieder positiv auf. Oft melancholisch, manche berührend, die Fotos in einer strengen gehaltvollen Ästhetik.

Bei ihm stimmt das Postulat “Kurz!”. Bei vielen nicht, bei denen ist es nur die durchschaubare Maskierung von Schreibfaulheit, denn besser als deren kurze und trotz der Kürze immer noch plapperhaften Texte – verdammt, wie schaffen sie das – wäre, wenn sie gar nicht geschrieben hätten. Bardamus wenige Worte dagegen wirken mit Bedacht gesetzt. Nur selten geht ihm etwas durch.

Hier sein kleiner Artikel “Instinktsicher”

Ein Blogbeitrag, in dem er aus seiner stilvollen Melancholie (die ich genauso mag) heraustritt und etwas deutlicher wird.

Besser, ironischer und kürzer kann man das Problem mit diesen Spacken (Entschuldigung, der Kater ist im Gegensatz zum gesetzteren Bardamu bei solchen Herrschaften immer sehr direkt mit den Krallen) nicht abhandeln. Meisterhaft.

 

Druschba s Russalkaj (Zum Verständnis von Puschkin und Putin)

Elfenbeintürme stehen in Verruf.

Das ist falsch gedacht. Die Welt, jedes Land, jede Stadt, ja wahrscheinlich jedes Haus, braucht einen Elfenbeinturm. Nicht weil ich so ein krautsköpfiger Arbeitsverweigerer bin, sondern weil ein gut geführter Elfenbeinturm das ist, was jede kulturelle Gemeinschaft von einer Horde Graugänse unterscheidet.

Bei uns ist das so: In unseren Regalreihen wohnt seit Jahren eine Auswahlausgabe von Puschkin in vier Bänden. Sie könnte vollständiger sein, weil ich Herausgebern mehr misstraue als meiner eigenen Schmökerkompetenz, aber kaum schöner. Echt antiquarisch, handlich moppelig, bombenfest gebunden, außen schmuck verziert und innen hübsch gesetzt und illustriert — kein wunder wie beeindruckender materieller Wert, nur ein ganz und gar liebenswerter Block aus vier Büchern, von dem die Welt ein Stück besser wird: Jeder wie er kann.

Die Jahreszahl darin lautet 1950, die Ausgabe ist also vermutlich 1949 erschienen und geschah zu Alexander S. Puschkins 150. Geburtstag; dergleichen Vordatierung von Büchern ist bei Verlagen bis heute weithin üblich. Der Verlag heißt: Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau.

Moskau 1949, Deutschland 1949. Da war außerhalb der Köpfe und Eingeweide von Elfenbeintürmern der Stalingrader Kessel sehr viel präsenter als eine Moskauer Verlegerstube. Für die Jubiläumsausgabe zum runden Geburtstag des so ziemlich beliebtesten russischen Volksdichters — Russland hält sich Volksdichter! — wurden die ausgewählten Werke neu übersetzt, erschlossen und kommentiert. Das Inhaltsverzeichnis weist unterschiedliche Übersetzer aus, allesamt mit deutsch lautenden Namen, als Herausgeber zeichnet ein W. Neustadt. Um pünktlich 1949 fertig zu werden, müssen sie einige Jahre vorausgeplant und sich noch inmitten Kriegs- und Nachkriegswirren drangesetzt haben.

Sie haben richtig gehört: 1945 oder jedenfalls ziemlich knapp nach Weltkriegsende wurden in Moskau, der Hauptstadt des deutschen Hauptfeindes, deutsche Gelehrte einer orchideenhaften Fachrichtung beschäftigt, um einen Märchenerzähler und Gedichteschreiber zu feiern. In einer Stadt, die im Krieg ihrerseits wesentlichen Schaden an Menschenleben, Gebäuden und Volksseele genommen hatte, nicht zuletzt durch Schuld von deutschen Landsleuten — auf einem verdammten Trümmerhaufen. Und zwar noch bevor die mittelfreundlich regierte Besatzungszone im Feindesland ein mittelmäßig geliebter Vasallenstaat wurde. Wahrscheinlich um ein Zeichen des Friedens nicht wohlfeil auszusprechen, sondern über nicht absehbare schwere Jahre hinweg zu leben, in dem Bewusstsein, dass es so ja wohl nicht lange weitergehen kann.

Ist dergleichen vorstellbar? Nicht immer, nicht überall, nicht unter allen Umständen. Aber in unserer Puschkin-Ausgabe steht’s drin, in kyrillischem Russisch und in Deutsch und, so wörtlich, “printed in the Union of Soviet Socialist Republics”. Das ist nicht weniger denn, mit Verlaub: heldenmütig.

Wenn man heute von Russland hört, dann von Gospodin Vladimir Putin. Nein, ich verstehe nichts davon, was dieser Mann treibt, und wenn, dann treibt er es sicher nicht allein. Mir macht einfach Angst, was er mit einem der tollsten Länder der Welt anstellt, für das er verantwortlich ist, und mit einigen anderen, zu denen er — ebenfalls schon rein aus Verantwortung — freundschaftliche Verbundenheit pflegen sollte; wenn der Krieg auf deutschen Boden lappt, werde ich schon beizeiten davon erfahren. Ich verstehe nur, dass er mit den Palmenstränden der Krim und dem kältesten bewohnten Punkt der Erde, mit wahrlich nicht enden wollenden Ebenen und gerade mal so grob kartographierten Gebirgen, mit den Hirschkäfern der Taiga und den Tigern der Kamtschatka, mit dem stillen Don, Wolga, Dnjepr und Ob, lauter väterlich gewaltigen, erdteilbeherrschenden Strömen, die Mississippi und Amazonas, Rhein und Donau in nichts zurückstehen, mit Millionenstädten, die annähernd lückenlos aus Weltkulturerben bestehen, und so weiten Steppen, dass sie mehr als einmal durch bloßes Herumliegen ein angreifendes Resteuropa ausgehungert haben, mit Menschen, die sich auf so unnachahmliche Leistungen verstehen wie eine so ausgefeilte wie ergreifende Volks- und eine höchst eigenständige klassische Musik, eine weltweit beispielgebende Literatur, einen Wodka, der kein Schädelweh verursacht, einen bestürzend schwarzen Rotwein oder eine Vielfalt von Suppen, deren jede mit dem Körper auch den Geist kräftigt, mit einem geschlagenen Siebtel der Weltproduktion an wissenschaftlichen Arbeiten und einem Fünftel der Erdoberfläche (die Meerflächen eingerechnet) — dass Putin, sagte ich, mit all diesen herzweitenden Gottesgaben, auf die jeder Landesbewohner tatsächlich so etwas wie stolz sein könnte, ohne sie persönlich erfunden zu haben, umspringt wie ein verzogener Rotzbengel von fünf Jahren, dass man laut Scheiße schreien und ihm sein Land aus den Händen reißen und vorsorglich eine schallern möchte, bevor er noch mehr kaputt macht. Und dass in der Zeitung dauernd über ihn geredet wird wie über einen tollwütigen Pitbull, den man mit keinem Wort reizen darf, weil er sonst reflexartig alle totbeißt und das ganze Haus in rauchende Trümmer legt — und dass man ihn da doch verstehen muss.

Kann diese, um nicht beleidigend zu werden: diese Führungskraft, die offensichtlich nie ansatzweise verstanden hat, was ihre Aufgabe ist, nicht einmal im Leben anteilnehmend einen Elfenbeinturm besuchen, wie sie hoffentlich immer noch in Moskau und sonstwo auf der Welt vorkommen? Man würde ihn in jedem einzelnen davon respektvoll empfangen und mit aufrichtiger Freude willkommen heißen, egal was er zuvor angestellt hat, da wette ich meine Puschkin-Ausgabe drauf. Da kann er was lernen, was für einem Land er vorsteht und in was für einer unwiederbringlich wahnsinnig wunderschönen Welt er leben darf, da schicken wir ihn und jeden, der beruflich lebendige Leute beeinflussen soll, mal pflichtterminmäßig hin.

Und unsern kranken Nachbarn auch.

Bist a Student oder wos?

Wie ein Fahrradfahrer andere Menschen wahrnimmt, ist leicht nachzuvollziehen, man ist ja selber gelegentlich einer.

Wie ein Biker im Papageienkostüm mit Ohrenstöpseln Menschen wahrnimmt, erfordert ein Mindestmaß an Einfühlung: wie Statisten in einem Musikvideo, das eine Handlung hat wie ein Roadmovie: gar keine. — Obwohl, “Road” ist gut, ein Waldweg ist das, aber in der Stadt kommt man ja nicht vom Fleck vor lauter Studenten, steuerfressenden und ehemaligen. Als ob man an dem trüben Tegernsee voller Isarpreußen und Nerzmantelrussen nicht viel einfacher mit dem Boxster drunten wär, aber vielleicht ist das Scheißsporteln wenigstens dafür gut, dass einen die Alte wieder mal drüberlässt. Ist ja bestimmt gesund, wie’s einem bei dem Geholper die Hämorrhoiden zu Pulver zerhaut. Die Sporthalle ist halt scheiße klimatisiert, hat Blätter von dem Baumzeug rumliegen und saut einem die Ray Ban voll nass und Mucken, dafür kostet’s keinen Eintritt. Das haben die Körndlfresser vom Rathaus doch so wollen.

Wie ein Fußgänger Menschen wahrnimmt, der seinen viertelleeren Starbuck’s-Becher in anderer Leute Fahrradkorb abstellt? Glauben Sie’s mir, das wollen Sie gar nicht wissen.

Der Gott der kleinen Dinge: Das Handwerk. Das Wortwerk.

Die Wortwalzine www.wortwalz.de hätt’ ich auch gerne zu Besuch gehabt. Neben der herzigen Art und der sicher worthandwerkerisch guten Voraussetzungen eine ganz Süße.

Wohne leider zu südlich. Die Maus will ja nach Norden. Versteh’ ich zwar net, dass einer nach Norden will, aber mei.

A propos für den Besuch sich vorher einen abputzen und: Staubsauger:

Dieser Film zeigt, wie man mit einem Staubsauger-Roboter viel rascher die Schäden der mean kitty wegräumen lassen kann. Und derweil in der gleichen Zeit mehr lesen oder backen könnte …

Im Norden hat schon mal eine, auch sehr nette, frisch gebackene Grafikerin gewalzt.

Nicht zu Fuß, sondern mit einem Camping-Bus oder so. Allerdings auch net, um das Handwerk zu lernen, sondern gleich als Anbieter. Auf dem Land wollte aber leider keiner allzuviele Flyer, Logos und Webseiten. Das hätte man sich denken können, dass die Bürgermeisters und Bäckers dort recht sparsam sind …

Gruß
Der Kater

Der grad für einen Zahnarzt im Umland, der gerne Gemälde kauft (die Praxis ist voll davon), Sachen machen muss. Und ihm leider erzählen muss, dass seine grandiose Flash-Site, wo sofort Musik aufspringen tut, leider ein Ding von gestern ist. Mal sehen, ob er nicht nur für die alten, handwerklich-künstlerischen Dinge ein Herz hat, sondern auch für seine aktuellen Patienten. Denen diese Flash-Site viel zu doll lang lädt, um dann plötzlich mit einem lauten Musikloop aufzuspringen. Habe gehört, Ärzte sind selbst die schlechtesten Patienten … , na dann…

*Obwohls im Buch gar nicht so sehr um Klein-Pretiosen geht.

Take the Fruktoseintoleranz Away From Me o Lord

Give me cornbread when I’m hungry,
give me corn liquor when I’m dry.
Give me wine and women while I’m living
and sweet salvation when I die.

John Fahey: The Dance of Death
and Other Plantation Favorites
, 1964 ff.

Allgemeinmenschliche Verhaltensweisen wie das Gucken von YouTube-Videos, Zigarettenrauchen und Alkoholismus sind heute gut behandelbar, weil Betroffene ihre Umgebung meist ausführlich an ihrem Krankheitsverlauf teilhaben lassen.

Schwieriger liegt der Fall bei intestinaler Fruktoseintoleranz, weil die Umgebung das Wort nie für die Bezeichnung einer Krankheit hält, sondern für ein Lied von Funny van Dannen. Erst wenn man Betroffenen ihre gewohnten zwei bis sieben Nutellabrote zum Frühstück wegnimmt und sie durch Obst und Gemüse (was auch immer der Unterschied dazwischen sein soll) ersetzt, zeigen sich die Symptome, die bei Hunger anfangen und bei Reizbarkeit noch lange nicht aufhören, und die sich erst bei Aufnahme von Nahrung unmittelbar legen.

Auch der sozial zuträgliche Alkoholismus kann hier lindernd wirken, weil in Verbindung mit genügend Schnaps die schädliche Fruktose nicht zu lange im Körper verbleibt. Hätten Adam und Eva nicht den ersten und schädlichsten aller Äpfel vom Baum der Erkenntnis zu sich genommen, sondern vielmehr die Schlange, die auf vielen glaubwürdigen Darstellungen (außer bei Dürer) vom Baum des Lebens gleich daneben herübergekrochen kommt, wären wir heute alle wohlig umnachtet und unsterblich und würden uns von Reptilien ernähren. Und Nutellabrot, Whisky und Zigaretten.

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