Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: Januar 2019

So jagt ein Life-Hack den nÀchsten

(Wenn ich tot bin, mir soll mal Einer mit Auferstehung oder so kommen : ich hau ihm Eine rein !)

Arno Schmidt: Brand’s Haide, 1951.

Diese Woche gelernt: Die Bargfelder Ausgabe von Arno Schmidt ist seit seinem 105. Geburtstag um 14.00 Uhr endlich im Volltext durchsuchbar, und wenn man Krebs hat, soll man sorgfĂ€ltig auf seine Eisen- und Kaliumwerte achten — nach aufsteigender Wichtigkeit oder absteigendem Gaudifaktor, je nach verbleibender Lebenszeit.

Amazon Prime killed the Bibliothekarinnenmuttchen

Das war ja auch Zeit, dass die MĂŒnchner StadtbĂŒchereien am Samstag geöffnet haben. Jetzt neu seit 2019! — Wie lange eigentlich? Mal nachschauen:

Montag geschlossen;
Dienstag 10:00 Uhr–19:00 Uhr;
Mittwoch 10:00 Uhr–19:00 Uhr;
Donnerstag 10:00 Uhr–19:00 Uhr;
Freitag 10:00 Uhr–19:00 Uhr;
Samstag 10:00 Uhr–15:00 Uhr;
Sonntag geschlossen.

Wie man nur zweifeln konnte: Die haben jetzt tatsÀchlich am Samstag offen. Und was man den Friseuren im Lauf der Siebziger abgewöhnen konnte: neuerdings am Montag zu.

Damit wir nur ja kein halbtagsstelliges Bibliothekarinnenmuttchen zusĂ€tzlich finanzieren mĂŒssen, versauen wir halt denen, die sich sowieso schon unter der Woche die BlĂŒmchenschĂŒrze aufreißen, das Wochenend, gell? MĂŒssen ja eh bloß zwei da sein. Zwei pro Fililale. Und pro Woche. Hauptsache, die Welt wird mit allem, was seit Jahrzehnten von der Kund- und Belegschaft einhellig gefordert wird und sich so kostenneutral wie möglich Ă€ndern lĂ€sst, ein klitzekleines bisschen beschissener.

Ja, mach nur einen Plan:
Das Lied von der UnzulÀnglichkeit menschlichen Strebens,
aus: Die Dreigroschenoper, 1928:

Deutschland. Ein WintermÀrchen

Die weiße Luft des malerisch eingeschneiten Gartens wehet in manche Strophe mild hinein.

Gelbjacke im fatalen GeschÀfte der Jagd.

Der hier ist Spitze einer wohlorganisierten Bande von zwei pelzigen Strauchdieben, die ihr Wesen treiben, hinter jedem Busch, hinter jedem Blatt versteckt liegen und dem leisesten Pfiff ihres wĂŒrdigen Hauptmanns gehorchen.

Die ganze Welt wird weiß werden!

Und viele BĂŒcher trag ich im Kopf!
Ich darf es euch versichern,
Mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest
Von konfiszierlichen BĂŒchern.*

*Grad mal nicht Heines BĂŒcher, sondern Celines Reise ans Ende der Nacht.

Cordelia und der besoffene WaldbÀr

Love’s not love
When it is mingled with regards that stands
Aloof from th’ entire point.

Lieb ist nicht Liebe,
Wenn sie vermengt mit RĂŒcksicht, die seitab
Vom wahren Ziel sich wendet.

König von Frankreich, a. a. O., I,1,259 ff..

“Eigentlich”, sag ich, “eigentlich will ich mich gar nicht mit tagesaktuellen Ereignissen beschĂ€ftigen. Die haben noch nicht bewiesen, dass sie es wert sind, sich mit ihnen abzugeben.

“Wann denn auch?” sagt Vroni.

“Eben.”

“Mit was”, fragt sie vorsichtig, “wĂŒrdest du dich denn gern beschĂ€ftigen — ‘eigentlich‘?”

“Och. King Lear zum Beispiel.”

“Dem vom Shakespeare? Dein Ernst jetzt.”

“Logisch. King Lear ist ungefĂ€hr von 1603, die Real-Life-Vorlage aus dem achten Jahrhundert — und zwar vor Christus — und die erste Literaturfassung von anno 1136. Die hat schon mal jemandem was gegeben.”

“Aber wem halt.”

“Naja, Shakespeare zum Beispiel …”

“Also, bevor du dich in meinem Bett mit Shakespeare zu vergleichen anfĂ€ngst …”

“… red ich mich darauf hinaus, dass der sagenhafte König Lear drei heiratsfĂ€hige Töchter hat, einer schöner als die andere, und spinnt wie der besoffene WaldbĂ€r mit dem Zigarrenkistenbanjo.”

“So eifert jeder seinen Vorbildern nach, wie er kann.”

“Die Lebensweise des WaldbĂ€ren ist eine der erstrebenswertesten.”

“Du weißt aber schon, wie King Lear ausgeht?”

“Schlimmer als Hamlet. Aber wenn ein fĂŒnfhundert Jahre alter Stoff fĂŒr Shakespeare gut genug war, reicht fĂŒr mich ein vierhundert Jahre alter allemal.”

“Wie gesagt, bevor du dich in meinem Bett mit Shakespeare zu vergleichen anfĂ€ngst …”

“Wieso eigentlich nicht?”

“Eigentlich, eigentlich. Eigentlich will ich keinen stockschwulen FremdgĂ€nger in meinem Bett.”

“Jawoll. Und eigentlich will ich 1800 verdienen.”

“1800 was? Euro?”

“Nein, heiratsfĂ€hige Töchter.”

“Hauptsache, es sind nicht deine Töchter, gell.”

“Und zwar 1800 netto.”

“Jawoll. Und vor lauter Verliebtheit blĂ€st dir die zweitausendachthundertjĂ€hrige Cordelia einen.”

“Jeden Tag.”

“Und sie schluckt sogar.”

“Vor allem stellt sie nicht in Frage, dass ich ab 2019 von keinen tagesaktuellen Ereignissen behelligt sein will.”

“Kann die ĂŒberhaupt den redaktionellen vom Werbeteil unterscheiden? Die ist doch bestimmt nicht mal volljĂ€hrig, oder?”

“Irgendwas zwischen 14 und 26. Jedenfalls keine zweitausendachthundert.”

“Pff. Hat noch nicht mal Haare unterm Arm.”

“Haben heute nicht mal mehr die volljĂ€hrigen bis tief in die Wechseljahre.”

“Ach? So tagesaktuell sind wir dann doch informiert?”

“Was ich wissen muss, erfahr ich dann schon ab Ende November in den ganzen ungerufenen JahresrĂŒckblicken.”

“Ächz. Na, lies schon deinen Dreieinhalbtausendseiter.”

“Na bitte, geht doch.”

Soundtrack: Brush Up Your Shakespeare, aus: Kiss Me Kate, 1953: