Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: Dezember 2005

Jahresrückblick

Mal im Ernst. 2005 war ja weder das Jahr von Prinz Charles, Kate Moss (schade eigentlich), Mariacarla Boscono (nicht ganz so schade) noch von Beth Orton (ein veritabler Jammer), sondern von Angela Merkel.

Das soll’s dann auch gewesen sein mit den verrenkten Schönheiten. Es heißt „Running Gag”, nicht „Witz mit Lachzwang“.

Und wo wir bei Zwangshandlungen sind, erinnern wir uns an die zutiefst deutsche – auch wenn sie uns vor die Kierkegaardsche Wahl zwischen Ethik und Ästhetik stellt – Parole: „Brot statt Böller“ und wollen sie fein beherzigen. Das ganze Jahr lang werden genug Sachen hergestellt, die zu nichts anderem gut sind, als schnell kaputt zu gehen. An dergleichen auch noch durch künstliche Nachfrage Interesse zu heucheln, hieße das falsche Zeichen setzen.

In diesem Sinne wünschen wir von the missing link (Es muss heute ja englisch sein), Ihrer Lieblingswerbeagentur mit ethischem und ästhetischem Anspruch, unserer potentiellen Zielgruppe – das sind Sie – Segen auf allen Wegen und happy 2006.

Und den Miezen ein Wohlgefallen

Es ist die Heilige Nacht. Die Nacht, in der die Tiere sprechen können. Moritz ist, wie alle Katzen, die klügste Katze der Welt, und kann es das ganze Jahr. Er kennt zwei Wörter und kommt blendend mit ihnen aus. Neng heißt: Hunger.

In diesem Zeitalter von Amazon habe ich meine zahllosen Weihnachtseinkäufe längst stressfrei erledigt und fast vergessen, dass Vroni, Moritz und irgendwie sogar ich zu Weihnachten anständiges Futter wünschen. Moritz erwartet mich schon in der Küche.

„Ente“, schnuppert er.

„Nix für dich“, sage ich und rette die Einkaufstasche vor seiner Zudringlichkeit.

„Du wirst mir doch nicht meinen Anteil versagen“, maunzt Moritz. „Neng!“

„Als ob ich dir je deinen Anteil versagt hätte.“

„Immer erst anbetteln muss man dich.“

„Könnte ich dich daran hindern?“

„Ich schaue gern selber, wo ich bleibe.“

„Dann geh nach Mäusen.“

„Siehst du, was ich meine?“

„Sophist!“

„Genau das liebst du doch an mir.“

Wie immer muss ich Moritz Recht lassen. Ich räume den Küchentisch mit Lebensmitteln voll, die Ente liegt zuunterst in der Einkaufstasche. Hoffentlich lange genug, bis Moritz sie vergessen hat.

„Talking of Lieben…“, fängt Moritz wieder an.

„Spekulierst du auf die Ente? Dann vergiss es einfach.“

„Aber es ist doch das Fest der Liebe!“

„Was weißt du davon, du kleiner Heide?“

„Auch wir Ungetauften lieben.“

„Jawohl – Mäuse. Ein platonisch Ding, ein einseitiges dazu.“

„Ich hab nicht darum gebettelt, sterilisiert zu werden.“ In Wirklichkeit ist Moritz nämlich ein Mädchen, was man über seiner burschikosen Rhetorik oft allzu leicht vergisst.

„Was ist jetzt mit deiner Entenliebe?“

„Warum schleppst du ausgerechnet heute diesen überaus reichen Beutezug nach Hause?“

„Vroni steht drauf.“

„Richtig und gut. Du bist ein braver Ehemann und Kollege.“ Langsam macht er mich misstrauisch. „Meine Frage war: Warum ausgerechnet heute?“

„Weil Weihnachten ist?“ versuche ich vorsichtig.

„Gönnst du deiner Frau an normalen Tagen keine Ente?“

„Ich gönne meiner Frau an allen Tagen alles“, antworte ich und frage mich, warum ich meiner eigenen Katze gegenüber schon wieder in der Defensive bin. „Worauf willst du hinaus?“

„Ich hab mich nur gefragt“, lässt Moritz sich auf dem Küchenstuhl nieder und fängt demonstrativ beiläufig an, seine Vorderpfote zu schlecken, „ ich hab mich nur gefragt, „ob du alle deine Lieben so knickerig behandelst.“

„Knickerig? Ich erbeute Ente und bin knickerig?“

„Warum hast du so ein schlechtes Gewissen?“ Ich halte seinem Blick nicht stand.

„Vroni verdient jeden Tag nur das Beste. Und am Heiligen Abend verdient sie eben…“

„… noch was Besseres als das Beste. Herr Magister, Sie haben schon schlüssiger argumentiert.“

„Unsereins pflegt Rituale. Davon verstehst du nichts.“

„Davon versteh ich sehr wohl was“, schnurrt Moritz und geht zum Beweis zur Hinterpfote über.

„Dann möcht ich nur wissen, wer hier wem nichts gönnt. Seit ich reingekommen bin, bist du dabei, mir unsere Ente abzuschwatzen.“ Schon höre ich selber, wie schrill meine Stimme geworden ist.

„Geiz ist geil, gell? Ich hinterfrage nur dein Verhalten. Das Vorrecht der potentiell schwächeren Kreatur. Auch das ist Demokratie, Meister.“

„Verblüffend nur, dass dir das pünktlich dann einfällt, wenn du die Ente, die du haben willst, noch nicht mal gesehen hast. So gefroren ist die sowieso ganz bestimmt nix für dich. Für deinen Anteil werde ich auf dich zukommen. Bitte gönn uns jetzt unseren Heiligen Abend.“

„So ein Heiliger Abend dauert ungefähr zwei DVDs lang. Und da ist noch nicht mal das Bonusmaterial reingerechnet. Also mach mal halblang.“

Das hat man davon, wenn man seine Katze an kulturellen Errungenschaften teilhaben lässt. Als ich die Ente endlich auf den Tisch wuchte, ist Moritz schon ganz in die Reinigung seines Schweifes vertieft. Inzwischen hat sich Vroni vom Computer losgeschnallt und betritt die Küche.

„Du hast eine Ente erwischt!“ jubelt sie, „da wird sich das Moritz aber freuen!“ und krault ihm den Backenbart.

„Neng“, sagt Moritz.

Support Your Local Werbefuzzis!

Die Post garantiert, dass bis heute abgeschicktes Postgut im Inland bis zum Heiligabend ihren Empfänger erreicht. Weil sie mal wieder nicht dazusagt, bis zu welchem Heiligabend, können Sie sich gern auch mehr Zeit lassen, wenn Sie Ihrer Lieblingswerbeagentur was schenken wollen.

Vroni wünscht sich was für die Wohnung und isst gerne. Ohne größere Summen drauf zu verwetten, vermute ich demnach, dass deutsche Glasgurken das Richtige wären. Für mich bitte trotzdem lieber die bewährten Spreewaldgurken.

Über die Mutter aller Tittenbildbände hätte ich mich auch gefreut, leider steht eine Neuauflage noch aus. Da muss sich der Nerd in mir wohl mit etwas Unverfänglichem fürs Auge begnügen.

Sei eingedenk, dass dein Geschenk du selber bist“, mahnt Ringelnatz. Wenn Sie sich so nicht sehen: Meine Bankverbindung weiß ich auswendig.

Hauptsache, nix Selbergemachtes. Danke.

Mit Prominenten spielt man nicht

Ich bin ja ein dermaßen alter Sack, dass man mir noch beigebracht hat, mit dem Essen spiele man nicht. Deshalb versteh ich auch nicht mehr, warum die „Soße zum Braten“ (zum Essen gibt’s keine?) seit Jahren in solchen verspielten Beutelchen verkauft wird statt in ordentlichen Dosen, mit denen sich anständig kochen lässt. Neuerdings ist nicht mal mehr ganz normaler Pfeffer zu kriegen; es muss immer gleich irgendeine „asiatische Würzmischung“ sein. Dabei will ich den Unterschied zwischen thailändischer, koreanischer, nord- und südchinesischer Küche gar nicht wissen. Ich kann so nicht arbeiten!

Und weil gerade Weihnachten droht, branden einem wieder die Bettelbriefe, nein: Spendenaufrufe gemeinnütziger Organisationen den Briefkasten ein. Für das, was sich Make Trade Fair ausgedacht hat, hätte mir mein Vater drei Tage lang das Essen gestrichen. Und damit hätte er Recht gehabt.

Grundsätzlich ist das trotzdem eine doppelt gute Sache: Endlich mal die richtige B-Prominenz mit faulen Tomaten überschüttet zu sehen, ist drei Tage Fasten wert.

Weihnachtsschnäppchen reden nicht

Ein Fall für den Texter

Ich bin Texter. Der beste, den Sie für Geld haben können. Das ist ein harter Job, der nicht viel einbringt. Aber einer muss ihn machen.

Wie immer saß ich in meinem Büro und wartete auf einen Auftrag. Eigentlich schrieb ich im Geist an meinem nächsten Roman, der die Literaturszene von hinten aufrollen sollte, denn in Wirklichkeit bin ich ein Schreiber. Aber die Kunden schätzen es, wenn man ein Geschäftsgeheimnis bewahren kann. Eine Flasche Whisky diente mir als Zielwasser. Wir waren beide halbvoll.

Da klopfte es. Was eintrat, waren Schwierigkeiten. Blond, wie üblich. Armani, Vierzehn-Zoll-Absätze und ein Paar Hüften wie die frühe Crawford. Kundschaft.

„Es ist wieder Weihnachten! Genau so überraschend wie im letzten Jahr! Wir brauchen wieder ein Konzept für die Weihnachtsschnäppchenaktion!“ fackelte sie nicht lange und knallte mir drei Ordner auf den Tisch.

„Wir haben doch längst eins“, ließ ich mich nicht aus meiner Schreiberei reißen, nahm aber immerhin die italienischen Schuhe von meinem Dell. „Unsere Werbeagentur ist die beste der ganzen verfluchten Stadt! Dabei ist sie noch nicht mal in der Stadt!“

„Ja, aber ob das wirklich ein Konzept ist…“ Die Blonde warf die Mähne über die Schulter und schenkte mir einen jener Blicke, denen ich noch nie widerstehen konnte.

„Herrgott, wenn etwas aussieht wie eine Weihnachtsschnäppchenaktion, riecht wie eine Weihnachtsschnäppchenaktion, latscht wie eine Weihnachtsschnäppchenaktion und sich nicht dingfest machen lässt wie eine Weihnachtsschnäppchenaktion, dann wird’s wohl eine gottverdammte Weihnachtsschnäppchenaktion sein, oder?!“

„Soll ich das meiner Werbeleitung so sagen?“

„Klar sollst du das! Wer ist hier wohl der Texter? Die Werbeleitung oder der Texter? Wissen die, was das ist, ein Texter?!“ Scharf sog ich einen Schluck Whisky durch die Zähne.

Die Blonde sammelte ihre Ordner auf und ging wieder da raus, wo der Wind eisig wehen kann. Und ich fragte mich einmal mehr, wieso ich mich nicht lieber mit Elke Heidenreich herumzankte.

„Blondie?“ rief ich ihr nach. Sie hielt in der Tür inne.

„Sag denen auch, dass wir ihnen schließlich auch nicht in die Produktion reinquatschen! Ich hab nicht mein Leben lang Großstadtlyrik in Anzeigenweißräume geschrieben, damit mir jetzt ein paar dahergelaufene Werbeleiter erklären, wie Teamwork geht! Diese Dinge müsst ihr Jungs noch lernen!“

Nur so motiviert konnte ich sie zurück zu den Hyänen lassen. Sie schloss die Tür auf diese ganz bestimmte Weise, die mir sagte, dass sie mich liebte und es nur nicht zugeben wollte.

Mir blieb nur noch, die Weihnachtsschnäppchenaktion vom letzten Jahr gegen ein paar kleinere Scheine meinem Partner, dem Grafiker, zu geben und ein bisschen photoshoppen zu lassen. Und der Blonden eine höllische Rechnung zu schreiben. Ich schaute die Whiskyflasche an. Die Whiskyflasche schaute mich an.

Ein harter Job. Aber ich bin auch hart.

Lennon in the Sky with Diamonds

Wir teilen die Musikgeschichte ein in die Zeit vor dem 8. Dezember 1980 und nach dem 8. Dezember 1980. Das ist heute ein Vierteljahrhundert her, und mal ehrlich: Was ist in der Musik Bedeutendes passiert, seit ein wahnsinniger Epigone des Herostratos John Lennon erschossen hat?

Die Musik trennt die Generationen wieder, statt sie zu verbinden, die Menschen folgen unvergleichlich mehr Misstönen als nur denen der frühen Rolling Stones, seine Erbin macht uns fortgesetzt am Misstrauen gegenüber Witwenverbrennungen irre, alle paar Weihnachten erscheint ein mit Geisterarrangements verunglimpftes Lied von ihm, das er mit Gründen aussortiert hatte.

Dass nichts Besseres nachkommt, hätte selbst David Chapman wissen können. Also einfach mal die Fresse halten, while my guitar gently weeps. Singt George.

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