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Monat: Juli 2012

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Copyight System Administrator Appreciation DayMag sein, daß das Desinteresse des nerds am Erlesenen und Verfeinerten etwas fad ist, doch er ist im großen und ganzen ein menschlich recht Guter. Wohl dem, der einen nerd kennt, wenn er in Nöten ist. Wenn man einen Wasserhahn hat, aus dem zu wenig Wasser kommt, dann schraubt der nerd vom Wasserhahn das ab, was beim Mann die Eichel wäre und sagt: “Der Perlator ist versalzt. Hättest du das nicht selber herausfinden können?” — “Ich wußte gar nicht, daß man beim Wasserhahn die Eichelentsprechung abschrauben kann, und nach was für Nüssen, for heaven’s sake, schmeckt denn bitteschön Leerdamer. Es gibt doch gar keine Nüsse, die nach Käse schmecken”, spricht darauf der non-nerd. Hat eine Frau einen schlechten Man, dann ist es gut um sie bestellt, wenn sie einen nerd zum Bruder hat, an dessen Brust — fuck the Oberkörperpilz — sie sich ausweinen kann. Zwar ist die Hauptdefinition des Wortes nerd laut Wörterbuch “Dummkopf”, aber das ist veraltet. Heute ist es eine nicht wertende Bezeichnung für die soeben umrissene Art von Mann. In seiner Anspruchslosigkeit und Unverzicktheit ist der nerd ein liebenswerter Mitbewerber um die Gunst von Gegenwart und Himmel.

Max Goldt: Ein gutes und ein schlechtes neues Wort für Männer, November 1997, in: “Mind-boggling” — Evening Post, 1998.

Es ist der letzte Freitag im Juli, mithin System Administrator Appreciation Day. Wer wieder nicht weiß, was er schenken soll, nimmt einfach Facebook-Likes oder Bier jeglicher Menge. “Sie essen Tiefkühlpizzen und zu feierlichen Anlässen auch welche vom Bringdienst.” (Goldt, a.a.O.) Das können Sie heute noch auftreiben. Hoch sollen sie leben, alle miteinander.

Bild: System Administrator Appreciation Day.

Bus 502 ins Präkambrium

Als einen seiner dankenswerten Exkursionshinweise gibt Peter Rothe in Die Erde. Alles über Erdgeschichte, Plattentektonik, Vulkane, Erdbeben, Gesteine und Fossilien (Abschnitt Eine kleine Geschichte der Erde):

An der Bushaltestelle “Zirkel” bei Glasbach-Mellenbach, Schwarzatal im südlichen Thüringer Wald: Präkambrische metamorphe Sedimentgesteine, denen man ihre Herkunft von Grauwacken und tonigen Gesteinen noch ansieht; durch die nachfolgende Gebirgsbildung sind sie intensiv gefaltet, geschert und zerbrochen.

Erinnern Sie sich aus Erdkäs noch, wann Präkambrium war? Ganz flau kann einem werden, so blödsinnig irrwitzig schwindelerregend lange ist das her. Und im Schwarzatal, wenn man auf den Bus wartet, blickt man in diesen Abgrund; da darf der Professor Rothe sogar ausnahmsweise Glasbach-Mellenbach mit Mellenbach-Glasbach verwechseln, der Mann ist ja so viel rumgekommen.

Dergleichen zu wissen ist vermutlich nicht der Sinn des Lebens. Was der Sinn des Lebens denn sonst sein soll, weiß ich allerdings auch nicht.

Wie man sich eine Schrift besieht

Moose sind cool. Ernähren sich von praktisch überhaupt nichts — außer ein paar Ausbüchsern wie die fleischfressenden Arten Colura zoophaga (schafft maximal Wimperntierchen) und Pleurozia purpurea (verdaut nicht) —, machen nichts kaputt — nein, nicht mal Ihre Gartenmauer, und wenn doch, war’s eine Flechte —, werden von nichts und niemandem gefressen außer der Zeit, und dass sie tot sind, merkt man erst an der Änderung ihres Aggregatzustands. Manche von ihnen fangen sogar erst danach mit dem Sex an: Die bescheidensten Ackermoose setzen ihre Sporen frei, indem sie verwesen. Schön grün sind sie außerdem; na gut, die meisten. So eine entspannte Bedürfnislosigkeit muss einer erst mal hinkriegen.

Ohne genau hinzuschauen, kann einer glatt darauf verfallen, Moos gäbe es eigentlich gar nicht. Isländisch und Eichenmoos sind Flechten (Cetraria islandica und Evernia prunastri), Spanisches Moos ist sogar eine blühende Ananas (jedenfalls Bromeliacea), das Zeug in den Pflasterritzen sind Kreuzblütler (Sagina) und das an Bäumen und alten Schaufenstern Algen. Ohne einen Trick, mit dem man einfache und doppelte Chromosomensätze nachzählen kann, ist man aufgeschmissen. Im Felde eine Lupe, zu Hause ein Miskroskop und die wichtigsten Reagenzien aus der Apotheke helfen aber schon weiter.

Zu Ehren dieser stillen Gewächse rette ich aus dem Netz ein Gedicht von Siegfried von Vegesack, das auf Fach- und Besinnungsseiten öfter zitiert wird, aber eigentlich immer mit kleinen Fehlerchen gespickt (Versaufteilung, Großschreibung, Zeichensetzung, Sie kennen das ja). Es stammt aus dem Simplicissimus vom 21. Juni 1936; Lyrik im Simplicissimus zeigt es im Faksimile. Also hier als maßgeblich gemeinte Version, penibel abgetippt und korrigiert, wenn Ihnen noch Fehler auffallen, bitte nicht für sich behalten, Sie sind ja kein Moos.

Siegfried von Vegesack, Moos, Simplicissimus, 21. Juni 1936

Siegfried von Vegesack:

Moos

in: Simplicissimus, 21. Juni 1936.

Hast du schon jemals Moos gesehen?
Nicht bloß so im Vorübergehen,
so nebenbei von oben her
so ungefähr —
nein, dicht vor Augen, hingekniet,
wie man sich eine Schrift besieht?
O Wunderschrift! O Zauberzeichen!
Da wächst ein Urwald ohnegleichen
Und wuchert wild und wunderbar
im Tannendunkel Jahr für Jahr,
mit krausen Fransen, spitzen Hütchen,
mit silbernen Trompetentütchen,
mit wirren Zweigen, krummen Stöckchen,
mit Sammethärchen, Blütenglöckchen,
und wächst so klein und ungesehen —
ein Hümpel Moos.
Und riesengroß
die Bäume stehen…

Doch manchmal kommt es wohl auch vor,
daß sich ein Reh hierher verlor,
sich unter diese Zweige bückt,
ins Moos die spitzen Füße drückt,
und daß ein Has’, vom Fuchs gehetzt,
dies Moos mit seinem Blute netzt.
Und schnaufend kriecht vielleicht hier auch
ein sammetweicher Igelbauch,
indes der Ameis’ Karawanen
sich unentwegt durchs Dickicht bahnen.
Ein Wiesel pfeift — ein Sprung und Stoß —
und kalt und groß
gleitet die Schlange durch das Moos.

Wer weiß, was alles hier geschieht,
was nur das Moos im Dunklen sieht:
Gier, Liebesbrunst und Meuchelmord —
kein Wort
verrät das Moos.
Und riesengroß
die Bäume stehen…

Hast du schon jemals Moos gesehen?

Siegfried von Vegesacks Doppelheimat auf dem Blumbergshof, heute lettisch Lohbergi, und in Weißenstein/Niederbayern

Bilder: Lyrik im Simplicissimus. Die Gedichte aller Autoren;
Ansichtskarte Siegfried von Vegesacks Doppelheimat: auf dem Blumbergshof, heute lettisch Lohbergi, und in Weißenstein/Niederbayern auf Kohoutí kříž via Seniorentreff.

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