Nicht erfaßt der bleiche Tod,
Die im Herzen Liebe tragen;
Dem glänzt noch das Abendrot,
Der am Morgen wollt’ verzagen.
Bald kann dir die Stunde schlagen,
Die entreißt dich aller Not;
Zu vollbringen magst du wagen,
Was die ew’ge Macht gebot.
Kater Murr, 1821.
Wir trauern um Moritz (* Juli 1997 in Königstein; † 17. Mai 2015 in Haar bei München).
Wir wissen nicht viel über ihn, er alles über uns. Äußerlich war er eine “kluge, wohlunterrichtete, philosophische, dichterische” (Hoffmann, a.a.O.) Katze, und selbst da haben wir ihn 1997 vom Sterilisieren zurückbekommen, als wir ihn zum Kastrieren gegeben haben. In Wirklichkeit war er am wahrscheinlichsten ein Engel, der jetzt zu einem anderen Einsatz zurückberufen wurde. Auf alle Fälle waren die Jahre mit ihm ein Geschenk.
Natürlich ist ein Leben ohne Katzen “möglich, aber sinnlos” (Loriot über Möpse). Dass alles Leben sinnlos ist, liegt auf der Hand, bis jetzt ist aber nicht raus, ob eins ohne Moritz möglich ist. Er hat uns viel hinterlassen, nur keine eindeutigen Instruktionen dafür. Immerhin müssen wir uns nicht vorwerfen, wir hätten zu wenig für ihn getan, es war nämlich alles — und eben am Ende doch nicht genug. Wenn artgerechte Haltung bedeutet, dass ein Tier freiwillig bleibt und zurückkommt, sind wir Moritz gerecht gerecht geworden. Man kann zuversichtlich annehmen, dass er uns gemocht hat.
Am schlimmsten war es, ihm nicht mehr gerecht zu werden, egal was wir noch tun konnten; drei Krankheiten gleichzeitig hat er noch geschafft, nur nicht mehr die bösartige Sau von lymphatischem Tumor an der Wirbelsäule, die sich feige hinter den dreien versteckt hielt. Moritz hat alles verdient, aber das bestimmt nicht. Niemand auf der Welt, und am wenigsten der. Nicht der, nicht Moritz, der beste Miez von allen.
Er war so gern auf der Welt, das Vorbild für ein selbstverständliches, lebenstüchtiges, freudiges Da-Sein. Er war so stark.
In der Nacht vom [17. bis zum 18. Mai] d.J. entschlief, um zu einem beßern Dasein zu erwachen, [unser] theurer geliebter Zögling [die Katze Moritz] im [siebzehnten] Jahre [ihres] hoffnungsvollen Lebens. Wer den verewigten Jüngling kannte, wer ihn wandeln sah auf der Bahn der Tugend und des Rechts, mißt [unseren] Schmerz und ehrt ihn durch Schweigen. München d. 17. Mai 2015 – Vroni & Wolf
E.T.A. Hoffmann: Lithographierte Traueranzeige an seine Freunde, 1821.
Er spukt noch. Wir passen auf, ihm nirgends auf den Zapfenschwanz zu treten. Wenn man lange genug nicht hingeschaut hat, fehlt in seinen weiterhin frisch gefüllten Futternäpfen sein Tagesquantum, in den Wassernäpfen schnapsglasgenau mehr, als in der gleichen Zeitspanne verdunsten könnte. Über Nacht bleibt das Fenster zur Straße offen, damit seine zarte Seele, die bestimmt durch keine Glasscheibe kann, zu seinen Mauszeiten raus und rein kommt. Wenn man am wenigsten dran denkt, das Geräusch, wie er vom Fensterbrett auf den Boden ploppt; Pfotentapser; wie sein Halsglöckchen mit dem Adressanhänger beim Kontrollgang an die Näpfe klingelt; Krallenkratzen am Bett — und hops. Und dann seine Schnurrstimme wie aus dem Inneren des eigenen Kopfes:
“Na? Kommt ihr zurecht?”
“Moritz? Bist du das?”
“Nein, hier spricht die Telefonseelsorge, du Wunderkind. Klar bin ich’s. Wie geht’s euch ohne mich?”
“Willst du gar nicht wissen.”
“Ich weiß es trotzdem.”
“Du hast es immer gewusst.”
“Ihr seid leicht durchschaubar. Und jetzt müsst ihr tapfer sein, mein Großer.”
“Aufrecht gehen können wir ja.”
“Ja, das beruhigt mich. Und ihr müsst jetzt existieren.”
“Sonst nichts?”
“Das wird euch schwer genug fallen. Aber mehr ist da nicht. Und es ist schon das Wichtigste.”
“Existieren als Tätigkeit?”
“Genau. Oder was hab ich euch die letzten siebzehndreiviertel Jahre beigebracht und vorgelebt?”
“Wie man die Schnurrhaare immer fein sauber und genau in der Mitte zusammenhält.”
“So gefällst du mir. Und hört auf zu flennen, alle zwei. Es ist ja nicht mitanzusehen. So kann ich euch nicht allein lassen.”
“Mörchen, mein Mörchen. Du fehlst.”
“Tu ich doch gar nicht. Ich bin da, solang ihr mich braucht und lasst. Oder hab ich mich tot angefühlt in dem Karton, in dem ihr mich begraben habt?”
“Von wegen. Dein Fell hat geglänzt. Wie immer, wenn du geschlafen hast.”
“Das muss ich jetzt auch. Der Krebs schlaucht, sag ich euch.”
“Du hattest den schönsten Pelz der Welt, hab ich dir das mal gesagt?”
“Jeden Tag seit 1997. So viele Komplimente wie mir machst du mal besser deiner Frau, ihr braucht euch jetzt.”
“Als ob wir’s nicht wüssten …”
“Ihr wisst alles Wichtige. Jetzt lebt.”
“Machen wir. Sonst hätten wir nichts von dir gelernt. Nasenstüber, Moritz.”
“Nasenstüber, Wölfchen. Gute Nacht, ihr zwei.”
“Gute Nacht, Moritz.”
Soundtrack, weil Besitz, Abspielung und Kenntnis von Johnny Cash: I Corinthians 15:55 aus American VI: Ain’t No Grave, 2010 praktisch untersagt sind:
Alela Diane: The Rifle aus: The Pirate’s Gospel, 2008
und weil’s so schön war, noch die beste Live-Version von Flogging Molly:
If I Ever Leave This World Alive, aus: Drunken Lullabies, 2002.
Bilder: Vroni, 6. Mai 2015;
E.T.A. Hoffmann via Kater Paul, 18. Januar 2011.
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