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Kategorie: Filmbesprechungen

The Good, the Bad, the Ugly, and the Flauschi

Update zu Glück und Geld:

Gut, dass einen gerade noch so das Google-Doodle vorwarnt, dass die nächste Zeit wieder irgendsoein Herrenfußball-Schmarrn gefeiert wird, da kann man guten Gewissens non solum das Fernsehgeschehen, sed etiam die Innenstadt meiden und alte Filme gucken.

Für meinen Begriff ist ja Il buono, il brutto, il cattivo, besser bekannt als The Good, the Bad and the Ugly, der auf Deutsch aus kulturhistorisch nicht nachvollziehbaren Gründen nur Zwei glorreiche Halunken zählt, immer noch “der neue” unter den Leone-Eastwood-Spaghettis, weil er der jüngste Teil der Dollar-Trilogie ist. In der Handlung liegt er aber vor den zwei älteren und ist dabei immer noch älter als ich: Ein halbes Jahrhundert wird der pünktich kurz vor Weihnachten.

Man weiß von Vater-Sohn-Gespannen, die den einträchtig eine Zeitlang täglich angeschaut haben — was insofern besonders generationenverbindend ist, als das Ding in der künstlerisch vorgesehenen Fassung 178 Minuten dauert. Man hat also innerhalb der Familie ziemlich viel zum pausenlosen Durchgrinsen, bis Eli Wallach am Schluss Clint Eastwood endlich “Der Blitz soll dich beim Scheißen treffen!” hinterherbrüllt.

Kaufen muss man ihn nicht, weil er gut genug ist, dass sich irgendwo auf Welt immer jemand findet, der ihn ungekürzt auf YouTube pumpt. Bis ungefähr vorgestern hat den Job eine Version mit arabischen Untertiteln gemacht, momentan ist es die mit den vietnamesischen. Die stören nicht weiter, geredet wird sowieso nicht viel. Und die Qualität ist auch nicht mieser als die VHS-Kassetten aus den Achtzigern, wenn man sie mit seinem Vater erst mal einen Monat lang täglich komplett durchgeschaut hat.

Was hat man vor dem Zeiten des Internets — angeblich gibt’s Amazon ja erst seit 1994, YouTube sogar erst seit 2005 — obskure Versandhändler damit bemüht, einem die ungekürzte Fassung mit den vollen drei Stunden aufzutreiben, und es soll bloß keiner glauben, dass die besonders schnell oder billig gearbeitet hätten. In der Kinofassung für Deutschland haben nämlich ein paar bestimmte Großaufnahmen gefehlt, in der Fernsehfassung gar der halbe Showdown auf dem Friedhof, der eigentlich den Film erst ausmacht. Wo sind die Dinger eigentlich heute alle, seit die heimischen Regalmeter für DVDs gebraucht wurden, an die sich zur Not noch jemand erinnert, weil Spaghettiwestern meistens erst ab 16 sind?

Arabien wusste noch von den ganzen 178 Minuten, Vietnam hat jetzt 174. Wer seinen komparatistischen Ehrgeiz darein setzen will, kann ja mal nachschauen, wo heute die restlichen vier abgeblieben sind.

Das ist sowieso das, was den Menschen vom Vieh unterscheidet: Er kann Western etwas abgewinnen und entdeckt auch nach dem hundertelfzigsten Mal noch neue Details.

Mondo Schmuddelkino

Der Fernsehtipp des ganzen nächsten Monats ist ja wohl: auf NDR, der sich hoffentlich weit genug südlich streamen lässt, die gleich drei Klassiker: Cinema Perverso. Die wunderbare und kaputte Welt des Bahnhofskinos: Eine Bahre für den Sheriff, Fünf Klumpen Gold und Töte Amigo — in den frühen Morgenstunden des 15. Dezember 2015 von 0.45 bis 5.15 Uhr hintereinander weg. Für echte Fans: Das ist der Donnerstag.

Diese B- bis E-Klasse der Italo-Western hat durchaus Fans — vor allem die mit Klaus Kinski, wo er dermaßen irre gucken darf, dass seine Auftritte in den familientauglichen Edgar-Wallace-Schnulzen dagegen reines Arthouse sind. Für einen Querschnitt durch das klassische Bahnhofskinoprogramm finde ich die Auswahl etwas einseitig: Wo bleibt der Schulmädchen-Report? Bademeister-Report? Hausfrauen-Report? Die Mondo-Serie? Lederhosen-Pornos? Romero, Russ Meyer, John Waters, die frühen David Lynch und Peter Jackson?

Und vor allem: Warum wurden jemals andere Filme gedreht als solche, die preiswert produziert werden können und gerade deswegen genug Schauwert aufweisen, dass man zuerst hinterher in der Kneipe und später seinen Kindern was zu erzählen hat?

Weil man nach dem Besuch eine Bahnhofskinos nicht in die Kneipe geht, sondern nach Hause zu seiner Frau und so tut, als wäre man überall gewesen außer im Kino. Die zuletzt genannten Regisseure sind keine Deutschen, die Institution des Bahnhofskinos hingegen so urdeutsch wie Faust persönlich (der selber nicht als Welterklärung eines Dichterfürsten, sondern als reißerisches Puppenspiel fliegender Komödianten angefangen hat).

Die Dokumentation, die der Filmnacht am 15. Dezember interpretierend beiliegt, läuft derzeit auf Arte und heißt ebenfalls Cinema Perverso. Da erfährt man 59 Minuten lang, dass Ben Becker und Wolfgang Niedecken zu ihren einstmaligen Besuchen in Bahnhofskinos stehen und Jörg Buttgereit zu dem Zeug, das er gedreht hat, dass eine gewisse Mechthild Großmann eine Stimmlage von einer geschätzten halben Oktave unter Elmar Gunsch spazieren führt, erlebt eine künstlerisch tatsächlich nicht ganz ambitionsfreie Nacktsequenz mit der welpigen Ingrid Steeger, auf die sie traurigerweise gar “nicht stolz” ist, und fragt sich, wozu jemals das heimische Fernsehen eine derartige Verbreitung erfahren konnte und warum mein zuständiger Laden im ersten Stock vom Nürnberger Hauptbahnhof eigentlich “aki” geheißen hat.

Solange Filme noch einen bewussten Weg zu einem dazu bestimmten Gebäude, Eintrittsgeld und eine Spanne aufmerksamen Stillsitzens erforderten, verbreitete sich der Kopiensatz über eine lange Verweildauer in den Kinos und wurde von großen Häusern in großen Städten in kleine Klitschen auf dem flachen Land durchgereicht, danach wieder zurück in die Großstadt, wo der Film dann schon seine ganze Zielgruppe erreicht hatte, oft sogar mehrmals, und noch eine Zeitlang im Bahnhof lief.

Im Laufe der 1960er Jahre, als jeder gratis drei Fernsehprogramme von der Kinderstunde bis zum Ameisenkrieg anschauen konnte, ohne den Hintern zu heben, ließ das nach. In den 1980ern, als jeder nach Belieben Videokassetten kaufen, ausleihen und sogar selber aufnehmen konnte, starb es aus. Betriebswirtschaftlich sagt man wohl: Die Wertschöfpungskette eines Films hat sich dahingehend geändert, dass er aus dem Multiplex nahtlos auf Blu-ray übergehen muss, damit ihn nicht jeder Schulfratz sofort dem Markt entzieht. Oder kürzer: Ein Film rechnet sich gleich oder gar nicht.

Man mag das bedauern; in Cinema Perverso beteuern jedenfalls alle Interviewten aufs ausführlichste ihr Bedauern darüber. Wahrscheinlich ist es wie mit den ehrbaren Absturzkneipen: Ein-, zweimal war jeder drin, leugnet es aber erstens und kann zweitens damit keinen Laden ernsthaft finanzieren. Was damals “Schmuddelfilme” waren, ist heute mindestens “Trash” und somit “Kult” und lehrt uns, wenn schon keine Alltagskultur, was die heutigen Herrgötter des Films ohne Jugendfreigabe, Tarantino und Rodriguez, da eigentlich die ganze Zeit keineswegs ohne Respekt zitieren.

Aus Johnny Depp (A Nightmare on Elm Street, 1984) und Renée Zellweger (Texas Chainsaw Massacre – Die Rückkehr, 1994) ist schließlich auch noch was geworden, die späten Machwerke von Peter Jackson (Bad Taste, 1987) kommen auf 17 Oscars bei 30 Nominierungen. Nur Brad Pitt (Todesparty 2, 1988) hat mit der Scream Queen Jennifer Aniston (Leprechaun – Der Killerkobold, 1993) gebrochen und musste dafür die böse Hexe heiraten.

Die wirkliche Frage ist allerdings: Was muss das für ein Zeitalter der Unschuld gewesen sein, in dem sich erwachsene Menschen allen Ernstes an Filmen wie Die Todesgöttin des Liebescamps (Christian Anders, 1981) aufgeilen konnten?

Wenn mich jemand sucht: Ich schau mal nach, ob Friß den Staub von meinen Stiefeln (1970) und Ein Zombie hing am Glockenseil (1980) endlich auf YouTube in halbwegs hinnehmbaren Schnittfassungen vorliegen.

Ingrid Steeger beim Bergsteigen

Das Bild ist der beschriebenen Dokumentation Cinema Perverso von Lunabeach auf Arte entnommen. Wer mir als erstes in den Kommentar schreibt, aus welchem Film das stammt, kriegt ein schönes Buch oder vielleicht auch passender: ein grausigen Film auf DVD von mir. Diese Verlosung ist privat wie nur was, dient rein meiner persönlichen Belustigung und schließt jeden Rechtsweg aus.

Agnes’ neue Welt

Vieles erinnert an einen französischen Spielfilm, den es mal im Kino gab.
Aber der hier ist wahr:

http://www.br.de/mediathek/video/sendungen/lebenslinien/lebenslinien-128.html
43 Minuten.

Wie eine Frau das Grobe, Autoritäre und Herzlose ihrer Kindheit hinter sich lässt und sich ein Leben in Fülle aufbaut. Hut ab! Einiges ist mir zu eso, doch das stört mich hier gar nicht. Es passt. Das Wort Achtsamkeit passt hier, absolut.

Einiges am eigenen Leben fällt einem da ein. War auch eine, der der harte Ton und das einander nicht Zuhören zuhause nicht gefiel und die ebenfalls rasch auszog. Was sie dann aber geschafft hat, übersteigt bei weitem das, was ich jemals hingekriegt habe. Ich habe tiefen Respekt: eine Riesen-Lebensleistung. Aber nicht wie man viel Kohle scheffelt und andere ausschmiert, sondern wie man mit der Gemeinschaft ein innerlich reiches Leben führt.

Der Trailer für Schnellgucker zur Einstimmung:


(Der leider zu viel aus BR-Eigenwerbung besteht, knurr)
 

 

Das schreiben die anderen: Was ist virales Marketing?

Update zu Hokus Pokus Viribus und And you still can hear me singin’ to the people who don’t listen:

Bis Sie die verbleibenden Raunächte mit Überlegungen zugebracht haben, was eine auf Geld angewiesene Werbeagentur dazu treibt, sich erneut (!) mit "Du bist Deutschland"-Faxen zum Horst zu machen, lassen Sie mal den Beitrag des Radiokollegen Hamlet Hamster vom Meerschweinchenreport Virales Marketing – Was ist das? so lange laden, bis alle Youtube-Filme erscheinen, so lange dauert das nämlich locker.

Wenn wir selbst von der Historie abgelebter Werbeformen genügend durchleuchtet sind, gibt’s vielleicht auch mal von uns einen Beitrag außerhalb von Freitagen. Stehen ja länger da und gelten länger als jeder Virusfilm.

Quo vadis, Fluppenwerbung?

And you won’t sing worth a heck
With a big hole in your neck.

Wenn solche Leute, die Leserbriefe schreiben, nicht gerade über die anderen Leute, die ebenfalls Weihnachtsgeschenke kaufen müssen, und deren Zusammenballung in der Kaufingerstraße lamentieren, füllen sie die Leserbriefspalten regionaler Tageszeitungen genervten Äußerungen darüber, wie genervt sich Gastwirte über die anstehende Einstufung von Zigaretten als harte Drogen äußern. Was sollen denn erst die Werber sagen.

Anno 1959 bekamen Werbeschaffende von ihrem Account "Zigaretten" noch einen anständigen harten USP geboten, an dem es sich entlangkreieren ließ. Zum Beispiel die Salem softness, which freshens your taste. In Amerika, dem Land der Raucherprogrome, war die öffentliche, ja kommerziellen Ertrag versprechende Äußerung erlaubt, an Zigaretten sei ein gesunder Aspekt!

1995: Die grandiose Band Freakwater macht für ihre Platte Old Paint ein Video namens Smoking Daddy, das aus einem träumerischen Zusammenschnitt aus Szenen in amerikanischen Schwarzweißfilmen besteht, in denen Leute mit inbrünstigem Vergnügen an Zigaretten ziehen. Die Ausrichtung ist bereits eindeutig satirisch, zum Aufbau einer Produktmarke ist nicht einmal mehr der Versuch erkennbar, und nein: Das geht auch nicht als Product Placement durch.

2006: Das Video wird wegen Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen aus Youtube geschmissen.

Und heute… Ach, hat mal jemand Feuer?

Westaflex is over

Update zu Was Youtube verschweigt:

Vorschule der Ästhetik, Lerninhalt 1: Niemals sind die Dinge “so peinlich, dass sie schon wieder gut sind”, sondern sie sind gut oder schlecht oder etwas dazwischen. Die Schöpfer der Welt kennen 0 und 1 in sehr vielen Einzelentscheidungen, aber kein “so 0, dass es schon wieder 1 ist”.

Die Ikone der selbstbewussten Unternehmensdarstellung schmiert radikal ab, weil sie offenbar ihre Positionierung optimieren wollte oder irgendwas: Westaflex macht jetzt auch witzige Werbung.

Wie es zu solchen Tragödien kommt? – Ein Familienunternehmen, wie Westaflex eins ist, investiert Zeit, Geld und Mühe in seine Selbstdarstellung (Original mit Quicktime). Dann kommen Leute, die nicht die Zielgruppe sind, und lachen es dafür aus. Dann kommen andere, Zielgruppe oder nicht, und finden es gut – und das Familienunternehmen hält es für Ironie und schämt sich.

Wie oft noch: Irony is over, sagt Jarvis Cocker auf der This is Hardcore von 1998. Weil die Hauswerber von Westaflex solche Platten offenbar nicht hören, fühlen sie sich zu so würdelosen Verrenkungen gedrängt, um einem wie auch immer gearteten Zeitgeist zu genügen.

Sowas passiert nicht etwa beim Fliegenfischen oder einem anderen Hobby, bei dem es aufs Mundhalten ankommt, sondern innerhalb der Kommunikationsbranche.

 

Allerdings kann alles noch viel schlimmer kommen, wenn man sie hantieren lässt. Immerhin lässt die Reklamefirma, die Westaflex ihre viralen Versuche eingeredet hat, im zweiten Spot an der wichtigsten Stelle eine andächtige Stille:

Unser gut geschultes Mitarbeiterteam ist moti_viert,
weil die Zufriedenheit unserer Kunden groß geschrieben_wiert.

Danke an Kay von den Buzz-People https://www.thebuzzpeople.com/ für die Aufmerksamkeit!

Substanzieller Blues

Es gibt sie noch, die guten Nachrichten: Beim 52. Eurovision Song Contest geraten "Künstler", die heißen wie die sinnloseste Zeitung seit der GQ und reimen wie Der von Kürenberg, ganz zu Recht auf einen belanglosen 19. Platz, dafür entdeckt sich ein astreiner, gar nicht mal so Unsubstantial Blues dort, wo er nicht zu erwarten war: aus Ungarn.

Klasse Video, stringenter rückwärts und mit einem besseren Schluss (also Anfang…) als weiland Memento. Warum nur Platz 9?

Nicht mosern, einmal im Leben eine Schwulenveranstaltung gut finden.

Schämen muss man sich

Erstens dafür, dass man angeblich schon mit 450 Zugriffen pro Monat zu den Alpha-Bloggern gehören kann und immer noch nicht in den Top 50 vorkommt.

Zweitens und schlimmer für die Selbstreferenzialität von Weblogs: "Boah ey, gestern schon wieder zweistellige Zugriffszahlen, aber heute keine Lust zum Bloggen!!!!! ;o)))" So nachhaltig vernetzt, wie die "Blogosphäre" inzwischen ist, kann sie wie jedes andere Gehirn auch nur noch von sich selbst ausgehen – und auch nur dort ankommen. Schlimmer als Sex.

Nicht mal Cowgirls get the Blue Dunst

So weit ist es gekommen. In Amerika äußern sich schon die Cowgirls kulturkritisch über den Konsum von weichen, einstweilen noch legalen Drogen. Bei solchen Sachen frag ich mich immer, wer gerechterweise an wen Summen Geldes entrichen sollte: die Band an das marktwirtschaftliche Unternehmen fürs Nutzungsrecht – oder umgekehrt fürs Product Placement.

(Das ist von Freakwater, deren sechste CD Feels Like the Third Time von the missing link, Ihrer Lieblingsagentur für kompetente Beschallung einer gedeihlichen Arbeitsatmosphäre, warm empfohlen wird; Weihnachten kommt ja immer so plötzlich. Da ist nämlich eine Würdigung von Amelia Earhart für Lagerfeuerklampfe, Fiedel und zwei Mädchenstimmen drauf. Wer bei dieser Melodei keine nassen Augen kriegt, hat ein Kunstharzherz.)

Die Wahrheit bei the missing link

Offiziell haben wir den Betriebsurlaub eingestellt. Neu im Hause the missing link, Ihren Experten für geistesklare Kurzweil, hilft die Arbeit zu ertragen: der Ohrwurm Die Wahrheit von Spillsbury. Sie stellen Ihre Youtube-Filme doch immer auf Vollbild?

Der Text: gerade mal so intelligent, dass man stundenlang darüber nachgrübeln kann, ob er nun irgendwas bedeutet oder nicht – aber nicht muss – und so bescheuert, dass man den ganzen Tag darüber vor sich hin grinsen kann – und zwar doch muss; die Musik: Traubenzucker fürs Zwerchfell und ein so durchtriebener Rockfetzen, wie manche beste beste Knaller der Neuen Deutschen Welle gern einer gewesen wären. Stellen wir fest: 2003 kam Die Wahrheit rund zwanzig Jahre zu spät.

Das Frappierendste: Der Text entspricht den derzeitigen Trends der Werbetextgestaltung. Stellen wir fest: 2003 war Die Wahrheit ihrer Zeit rund drei Jahre voraus.

Ihre Lieblingstextabteilung empfiehlt demnach aus mannigfachen Gründen dringend Spillsbury. Das ist keine verlinkte Langeweile, sondern ein Marschbefehl zu Amazon (manche brauchen es etwas deutlicher).

Und die Grafikabteilung? – spult sich daran auf, dass die Preisseite auf der eigenen Website die schönste wird, beschwert sich unter Hinweisen auf den Sinn von Lautstärkereglern über meinen DDR-Schlagertumult und lutscht die verwegenen Designersektmischungen vom Penny.

Beuys and Girls

Man kann eigentlich nicht sagen, dass ich ein Thema habe, das ich besonders gerne mag.

Es reicht mal wieder nicht, einfach Pornos zu gucken – mein innerer Germanist muss selbst das kunsthistorischtheoretischphilosophisch untermauern.

Es drängt sich ja auch auf, wenn die standardisierten Settings auf Beautiful Agony dermaßen an die Herrschaften Bernd und Hilla Becher gemahnen: Immergleiche Frontalansicht, immergleiches Wetter, die Aussage entsteht erst durch die ganze Sammlung, die sich zu Typologien fassen lässt – wie frappierend die Ansätze einander gleichen.

Die gesamte Riege der deutschen Fotografen, deren Bildbände die 39,90 überschreiten, besteht aus Becher-Schülern. Was uns das lehrt? Weiß ich auch nicht. Vielleicht dass es in Düsseldorf doch mehr zu fotografieren gibt, als man in seiner provinziellen Bavarität je geahnt hätte?

Jedenfalls müssen erst wieder die Ausländer kommen, um zu zeigen, dass man mit der Becherschen Sichtweise auch noch was anderes erfassen kann als Zementfabriken und stillgelegte Kohlenfördertürme. Klingen auch ganz anders, gell?

In der o.a. provinziellen Bavarität hat man ja ein Leben lang gelernt: Pornos stellen Frauen als Objekte dar, sind beschissen ausgeleuchtet, und die Musik ist erst recht ein Witz. Böse! Erst wenn sie sich benehmen wie Kunst, liefern sie wenigstens die einzige politisch korrekte Begründung für Bücherverbrennung.

Und hier? Keine Musik, über die Beleuchtung befrag ich lieber mal die angetraute Grafikabteilung, sobald sie mal fünf Minuten von der historischen Kraftwerksfotografie loskommt – aber mal ehrlich: Noch selbstbestimmtere Mädels haben Sie auch noch nie gesehen. Jungs gibt’s übrigens auch.

Und böse? Wer einem der gefilmten Mädchen in die Augen schauen und wiederholen kann, dass ihr Tun böse ist, ersäuft auch Katzenwelpen.

So betrachtet sind diese Pornos, die wahrscheinlich gar keine sind, schon lange so große Kunst wie eine Beuyssche Fettecke: Schillern schon beim Nachdenken und lassen einen nicht in Ruhe. Sehen nur besser aus. Auf sowas muss das Ehepaar Becher in seiner Jugend hingearbeitet haben, bevor es sich in der Dokumentation angehender Industriebrachen verzettelte.

Das volle Programm auf Beautiful Agony, ganz nach alter Pornositte, kostet.

Der Da Vinci Code: Nur echt ohne Binde Strich

War nicht gestern Donnerstag? Wo die Filme im Kino anlaufen? Und wieder einen Blockbuster verpasst und wieder nichts versäumt.

Warum muss ich Dan Brown lesen, solang ich noch nicht mal alle drei Teile Illuminatus! geschafft hab? Aus dem schon Eco sein Pendel geklaut hat, aus dem Brown seinen Da Vinci Code…? Aber das darf man bestimmt noch nicht wieder öffentlich sagen.

Mein Gott, worum wird’s schon gehen. Dass ein Messer scharf wird, wenn man es über Nacht unter eine Pyramide legt, dass auf Dollarscheinen ein Auge drauf ist und ein bisschen Verunglimpfung von Freimaurern. Noch nerviger sind nur jene alternativen Eliten, die Dan Brown schon gelesen haben, als es noch cool war, und seit er übersetzt ist wieder Zeug suchen, das sonst möglichst niemand je lesen wird.

Am demütigsten bewundern wir eine Marketingmaschine, die uns solches Wissen injiziert, ohne dass wir jemals das Buch lesen müssen.

Ad vocem Blockbuster: Am Sonntag ist internationaler Orgasmustag. Stöhn.

Brothers Grimm

Sicher ist nur, dass der Filmtitel von Heinz Erhardt geklaut ist. Ansonsten spickt und starrt alles vor Doppelsinn. Brothers Grimm ist dann ein guter Film, wenn man nicht alles verstehen muss.

Wenn man nicht auf eine stringente Handlung angewiesen ist. Wenn man was gegen die allzu festgelegten Schubladen der Filmgenres hat. Wenn man sich souverän mit den Märchen der namensstiftenden historischen Figuren auskennt – und dann noch ein paar anderen, nach Belieben aufgesammelten. Oder besser: Wenn man sie lieber nicht kennen lernen will. Selbst bei der handlungstragenden Nebenrolle des zwölften Mädchens namens Sascha, was ja ein mehr oder weniger männlicher Vorname sein soll, kann man nicht sicher sein, ob’s nicht doch ein Buberl ist.

Dabei müsste mir so was gefallen. Monty Python kann man ja zur Not von Terry Gilliam unterscheiden. Ich halte schwarzen Humor, überraschende Wendungen und Skurrilitäten auf allen Ebenen für essenziell, dergleichen betonen zu müssen dagegen für erbärmlich. Verstanden hab ich den Film trotzdem nicht.

Das sind meine Brüder Grimm nicht. Für die Sammlung Kinder- und Hausmärchen, die wir alle vorgelesen bekamen, könnte ich sie allein schon respektieren. Dann haben sie aber auch noch das Deutsche Wörterbuch (nein, muss man nicht mehr kaufen und im Weg rumstehen haben) zusammengestellt. Nicht das erste. Nur das erste, das noch gilt.

Und dann noch ein paar Sammlungen deutscher Sagen, irischer Elfenmärchen und nebenher noch das Standardwerk über Deutsche Mythologie und was eben so die Identität eines Volkes definiert. Das waren die positivistischen Haudegen des 19. Jahrhunderts: Man fragt sich wirklich, ob die vor lauter Arbeiten nie aufs Klo mussten.

Was Herr Gilliam da gebastelt hat, ist von keiner Recherche angekränkelt. Und das vom ruhmvollen Angehörigen einer Komikertruppe, die „Bruce’s Philosophers Song“ schmetterte, und der nachher so historisch bedeutsame Werke wie „Twelve Monkeys“ und „Fear and Lathing in Las Vegas“ ablieferte.

Ab 12 ist der Film? Sollte ich je eine zwölfjährige Tochter haben, werde ich sie nicht mit den „Brothers Grimm“ erschrecken. Das mag damit zusammenhängen, dass "der Deutsche" unter Romantik eine Art Vorstufe des Biedermeiers versteht, der Brite und ihm anverwandte Amerikaner dagegen alles, was Poe und Walpole angeleiert haben: Gothic Novels nebst allen todessehnsüchtigen Folgen. Noch wahrscheinlicher ist das Freigabealter Erwägung der Marketingabteilung eines Filmvertriebs, der vermutlich ausgerechnet hat, dass über Fünfzehnjährige schon in der Lage sind, einer Handlung zu folgen.

Abgesehen davon, dass Sätze wie „Oh! Was ist denn das?!“, wenn einer allein den Raum erkundet, nicht mal in ein Boulevard-Theaterstück, geschweige denn in ein Drehbuch gehören, das Geld einspielen soll, hab ich die Übersetzungshunde, die in der deutschen Version begraben liegen, erfolgreich verdrängt.

Was das mit einer aufstrebenden Zwei-Leut-Agentur zu tun hat? Nun: Zuallererst mal suchen wir zu zweit dem Not leidenden Volk mit Federkiel und weisem Ratschlag beizustehen. Und wenn wir mal groß sind, wollen wir auch gerne von Monty Pythons Überresten verfilmt werden – aber doch nicht so.

So groß werden wir sowieso nie, denn die Germanistik ist jetzt ja schon erfunden. Geradezu ein Jammer. Vielleicht liegt es daran, dass wir unseren Beruf, ungleich den Brüdern aus der hanebüchenen Filmhandlung, nicht darin sehen, unseren Kunden die Gruben erst zu schaufeln, aus denen wir ihnen zu helfen gedenken. Dafür ist mit uns auch künftig noch zu rechnen. Seit 2002, da die Mark qua Europapolitik nur noch 50 Pfennig wert ist, trifft man die Jungs ja nicht mal mehr auf seinen Lieblingsgeldscheinen.

Neue Marketingwege

Viel zu lange war "Fundraising in eigener Sache" ein schmächtiger Euphemismus für "Schnorren". Jetzt macht der deutsch-brasilianische Schriftsteller und – jawoll – Rechtschreibreformer Zé do Rock vor, wie’s geht. Produziert er doch seit längerem den schönen Film Schröder liegt in Brasilien. Finanziert wird: mit Geld.

Wer hätte das gedacht. Wie Herr do Rock es allerdings auftreibt, sollte beispielhaft für uns alle sein: mit innovativem Fundraising. 99,99 Euro sind ja kein Geld für den, der welches hat. Lässt sich irgendwer nachsagen, er habe nichts für Kultur übrig? Na also. Dafür darf man sich endlich mal im Nachspann lesen – und dann noch gar als Produzent! Das macht reich und schön (was man ja in Blogs betonen muss). Reich jedenfalls. Denn wenn genügend Leute mitinvestieren, kriegt man ein Vielfaches wieder raus. Aktienzocken unter kulturellen Vorzeichen. Und politisch korrekt ist’s auch noch. Ganz sarakasmusfrei halte ich den Film jetzt schon für eine gelungene Sache.

Da ist geschenkt, dass er aus nicht mehr ganz aktuellem Anlass noch den Altbundeskanzler im Titel führt. Auf die Titanic, die rechtzeitig gewarnt hat: "Darf das Kanzler werden?", hört ja wieder keiner.

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