“So, irgendwann ist auch wieder gut”, sag ich. “Wenn wir jetzt also um Himmels willen endlich wieder zum Lockdown übergehen könnten.”
“Gibt’s nicht, Wolf”, sagt Vroni.
“Wiesod’n nicht? Im Supermarkt herrscht alle Tage Rudelkuscheln, die Gastronomie ist von früh bis spät mit Aerosolschleudern besetzt, und das Oktoberfest ist schon genehmigt. Was glaubst du, was das für Neuansteckungen hagelt?”
“Man muss auch mal nach vorne schauen. Und positiv bleiben.”
“Tu ich doch grade. Und bin heilfroh um jeden Test, bei dem ich negativ geblieben bin.”
“Immer nur rückwärtsgewandt denken ist eine ganz schlechte Idee. Führt zu Depression und Burnout.”
“Alles, was momentan organsiert wird, führt zu schweren Verläufen und Triage. Vor zwei Jahren war meine Quarantäne wenigstens noch bezahlt.”
“Gibt’s nicht, Wolf”, sagt Vroni.
“Wir sind tot”, sag ich.
Soundtrack: Camille Hardouin: Le partisan, 1943 ff., bearbeitete Cover-Version von Leonard Cohen, 2019:
Rousseau und andre haben so viel Paradoxien über den Ursprung und das Anrecht des ersten Eigentums gemacht; und hätte der erste nur die Natur seines geliebten Tiermenschen befragt: so hätte der ihm geantwortet. Warum gehört diese Blume der Biene, die auf ihr sauget? Die Biene wird antworten: weil mich die Natur zu diesem Saugen gemacht hat! mein Instinkt, der auf diese und keine andre Blume hinfällt, ist mir Diktator gnug, der mir sie und ihren Garten zum Eigentum anweise! Und wenn wir nun den ersten Menschen fragen: “Wer hat dir das Recht auf diese Kräuter gegeben?”, was kann er antworten als: die Natur, die mir Besinnung gab! Diese Kräuter habe ich mit Mühe kennen gelernt! mit Mühe habe ich sie mein Weib und meinen Sohn kennen gelehrt! Wir alle leben von ihnen! Ich habe mehr Recht daran als die Biene, die darauf summet, und das Vieh, das darauf weidet; denn die haben alle die Mühe des Kennenlernens und Kennenlehrens nicht gehabt! Jeder Gedanke also, den ich darauf gezeichnet, ist ein Siegel meines Eigentums, und wer mich davon vertreibet, der nimmt mir nicht bloß mein Leben, wenn ich diesen Unterhalt nicht wieder finde, sondern würklich auch den Wert meiner verlebten Jahre, meinen Schweiß, meine Mühe, meine Gedanken, meine Sprache – ich habe sie mir erworben! Und sollte für den Erstling der Menschheit eine solche Signatur der Seele auf eine Sache, durch Kennenlernen, durch Merkmal, durch Sprache, nicht mehr Recht des Eigentums sein als ein Stempel in der Münze?
Bild: Murr lässt sich von seinem Instinkt zum Eigentum des Gartens anweisen, 4. Mai 2022. Selber gemacht, schenk ich Ihnen.
Soundtrack: Michelle Gurevich & Cyranó: Goodbye My Dictator, April 2022:
We were having too much fun Drinking coffees in the sun Someone wanted to be king Came and fucked up everything
[…] It’s hard for most to understand That good intentions not all have Why must we always stand on guard When there is love and there is art
1.: I want you to take me to your forest clearing where you have taken all your girlfriends It helps me to get to know you and make you mine
Chorus: Man I want you I’m your girl
2.: I want you to tell me to dress in my flowery summer skirt with strappy sandals so to carry them for me and adore my toes when they follow you beside you
Chorus: Man I want you I’m your woman
3.: I want you to bed me in the grass below the tree where you had your first kiss and your last fuck with a girl I will not know and I want your hunger for the flesh of my rosy thighs
Chorus: Man I want you I’m your vixen
4.: I want you to play with your tongue in my mouth one hand on my breasts two fingers on my clit the thing you play one minute later one level deeper oh deeper come deeper
Chorus: Man I want you I’m your mare
Bridge: I want you to uh uh uh I want you too
Chorus: Man I want you I’m your bitch
5.: I want you too big too hard too sturdy with relish and moaning too loud along with me then come too soppy inside me See it’s so simple when you want me
Chorus: Man I want you I’m your girl
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Vroni meint: “Und wer soll dir das glauben?”
“Glauben?” sag ich, “einen Liedertext?”
“Die Leute suchen immer nach autobiographischen Bezügen. Da kannst du nix machen und wahrscheinlich nicht mal die Leute, die nach sowas suchen, selber.”
“Dann sollen die halt mal aufs Veröffentlichungsdatum schauen.”
Ich sehe, dass die westliche Linke auch angesichts des «Unvorstellbaren» tut, was sie seit jeher am besten kann: sie untersucht den amerikanischen Neo-Imperialismus und die Expansion der NATO. Doch das reicht nicht mehr, weil es die Welt nicht erklären kann, die aus den Ruinen des Donbas und des Hauptplatzes von Charkiv entsteht. Diese Welt lässt sich durch den Verweis auf Handlungen der USA und entsprechende Gegenreaktionen nicht erschöpfend erfassen. Sie hat ein Eigenleben gewonnen, Europa und die USA sind vielerorts nicht mehr in der Initiative. Ihr forscht den entferntesten Ursachen nach, anstatt die gegenwärtig aufkommenden Tendenzen zur Kenntnis zu nehmen.
Daher frappiert mich die verkürzte Weise, in der ihr das dramatische Geschehen in unserem Erdteil öffentlich darstellt, das ihr lediglich als Antwort auf die Umtriebe eurer eigenen Regierungen und Wirtschaftseliten begreift.
Respekt: Ab 20. März (2022, nehm ich an) muss man “fast überall” keine Schutzmaske mehr tragen. Durchtriebener kann man quengelige “Querdenker” nicht verleiten, endlich ihr Gesicht einzutüten, ohne sich sofort unter Gefahr von Folgeschäden von ihnen anhusten zu lassen. Gestorben wird ja seit Wochen an der Ostfront, und wie man hört, gehen sie sogar freiwillig “rüber in’ Osten“. Meine letzte Maske leg ich erst zu den Akten, wenn ich verstanden hab, wie man den Graphen für die Inzidenzen selber so zurechtstaucht, dass er eine äußere Wirklichkleit abbildet. In den Corona-Statistiken, mein ich, nicht im ukrainischen Bodycount. Außer Vermummung wird auf einmal wieder illegal. So frei ist das Land allemal, dass man sich wenigstens theoretisch aussuchen darf, woran man sterben will. Bis dahin kann man weiter seine letzten Kröten für “Mehl, aber auch Reis, erneut Toilettenpapier, Küchenrollen und kurioserweise Sonnenblumenöl” an die NATO paypallen und sich großmächtig links dabei vorkommen. Man sollte.
Das lässt ja auch tief blicken, was der deutsche Kriegskonsument von Künstlervolk hält, zumal von ausgebildeten Schauspielern. Bei Wolodymyr Selenskyj, den man sich unglückseligerweise fortan merken muss, hat man sich erst gewundert, wieso ein fertiger Jurist sich ans Schauspielern, Synchronisieren und Moderieren von Kasperlkram wegschmeißen kann, und dann, dass er’s nicht nur zum Regisseur und Produzenten – das sind doch die mit der Kohle, oder? – gebracht hat, sondern zum f***ing Präsidenten von Kleinrussland.
Und wenn er’s gesagt hat, glaubt’s ihm bis heute keiner: weil er das so will.
Oder wie darf ich die Bilder von dem überaus schätzbaren Manne, die ausnahmsweise nicht von aktuellem Kriegsgeschehen handeln, sonst auffassen, wenn nicht als Misstrauen gegen und Entsetzen über jemanden, der sich mal in einer rosa Ganzkörperkluft hat filmen lassen? Erst den Hanswurst machen, weil er sich als Anwalt zu fein ist, und dann die Welt retten – so wörtlich verstanden wie nie?
Und wenn ich’s sag, glaubt’s wieder keiner: Gerade deswegen.
Gerade einem herumgetingelten Künstler ist bedeutend eher zuzutrauen, seinen Charakter gebildet zu haben, als einem, sagen wir klischeehalber, BWL-Abbrecher, der “in der Politik” gerade mal seine “Chancen nutzen und Risiken minimieren” gelernt hat. Der musste sich schon mal selber was einfallen lassen, siehe auch unter: selbstständiges Denken, und weil er schon mal am eigenen Leib und Leben seiner Lieben gemerkt hat, wie sich eine Krise anfühlt, und aus welcher man unter Umständen wieder rauskommt und aus welcher nicht.
Wider die defamatorische Darstellung von Berufsständen, vor allem von Künstlern. Oder haben Sie sich in finsterer Stunde – in jüngstem Fall vor kurzem, als noch Ausgangssperre “wegen Corona” war – an Anwälte und Büchsenmacher gewandt? Oder an Künstler?
Und bevor einer davon anfängt: Nein, weder bin ich ein ausgebildeter Künstler noch will ich mit Herrn Selenskyj tauschen. Der scheint das einzige Glück zu sein, das sich die Ukraine seit langem eingehandelt hat. Falls ich genug Krieg konsumiert hab. Und falls er zum Zeitpunkt der Niederschrift noch lebt.
Soundtrack: Joachim Witt & Peter Heppner: Die Flut, aus: bayreuth eins, 1998:
Und jetzt, während dieser Eindruck in mir wuchs, kam schließlich das Grauen – Grauen in einem Maße, wie keine Worte es vemitteln können. Trotzdem behielt ich meinen Stolz, wenn nicht sogar Mut, und in Gedanken sprach ich zu mir: “Dies ist wohl Grauen, aber es ist nicht Furcht; solange ich mich nicht fürchte, kann mir nichts geschehen; meine Vernunft bestreitet die Existenz dieser Erscheinung, es ist eine Illusion – ich fürchte mich nicht.”
Als Multiple choice chronologisch zum Ausdrucken und Ankreuzen:
□ E. A. Poe, 1842
□ E. G. Bulwer-Lytton, 1856
□ H. P. Lovecraft, 1926
Googeln müsste nach meiner Stichprobe zwecklos sein, ich hab den Klotz noch papierförmig.
Wer richtig liegt, darf sich in der Konditorei seines*ihres Vertrauens eine Torte seiner*ihrer Wahl kaufen. Buttercreme! Marzipan optional, wenn dabei steht, wo es her ist! Der Einsendeschluss ist nach hinten offen.
Soundtrack des Grauens: Bridge City Sinners – Devil Like You, aus: Unholy Hymns, 2021:
Beim Versuch, mal wieder einer Performance der schätzbaren Marina “The Artist is Present” Abramović beizuwohnen, bei der schätzbaren Christine “Birte Schneider” Prayon gelandet; noch während der Präambel weggedöst. Beim Aufwachen hat sie immer noch gelesen.
Aus einer Kleinstadt zu stammen muss ein verbreitetes Schicksal sein; besteht Deutschland ja zur Hauptsache nicht aus seinen paar Metropolen, sondern aus der endlosen Steppe dazwischen, die im unbeholfenen Jargon der Eingeborenen (“Deutsch“) Provinz heißt.
Wenn man schon zwischen Stadtkindern und Landeiern unterscheiden muss, ist man als gebürtiger Kleinstädter in urbanen Umgebungen immer der einzige, der die Leute fragt, ob sie bei den Schützen oder bei der Freiwilligen Feuerwehr sind, und auf dem Land der einzige, der seit Jahrzehnten mit keinem Luftgewehr mehr geschossen hat, nicht am Motorengeräusch erkennt, dass in sieben Minuten der Metzen-Willi seinen Birngeist vorfinden will, und in der Stube rückwärts über den schlafenden Hund stolpert.
“Kann man”, fragt Vroni, “kann man das nicht auch so sehen, dass man auf dem goldenen Mittelweg geboren ist und sein Leben lang aus the best of two worlds besteht?”
“Warum gibt’s im Wald kein Corona?” fragt die Frau neben mir, während sie mit den Baukastenteilen eines COVID-19-Schnelltests herumnestelt. Nicht dass ich sie gekannt hätte.
“Tapfer, tapfer”, sag ich, “ungeimpft, aber immer noch fremden Leuten Witze erzählen.”
“Weil die Bäume alle Zwei-Ge haben”, löst sie auf.
“Au weh zwick, Sie sind wirklich Schmerzen gewohnt”, sag ich, “und Booster shot schreibt sich auf Englisch Borcestershire shot, gell.”
“Schwein gehabt”, sagt sie und hält triumphierend ihren Schnelltest in die Höhe, “wieder nicht schwanger.”
“Sind Sie sicher”, sag ich, “dass Sie den Abstrich aus der Nase genommen haben?”
“Nase?” sagt sie, “verdammt, dann hab ich das falsche Youtube-Tutorial erwischt.”
Vielleicht sind Impfverweiger*innen ja auch bloß Menschen.
Soundtrack: Hurray for the Riff Raff: I Know It’s Wrong (But That’s Alright), aus: Small Town Heroes, 2014:
Laut Guinness-Buch der Rekorde mit 221 Gewalttaten und 108 toten Menschen brutalster Film, daher FSK 18 ohne Jugendfreigabe; von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden mit dem Prädikat “wertvoll” ausgezeichnet. Endet mit: “This film is dedicated to the gallant people of Afghanistan”, deutsch: “Dieser Film ist dem tapferen Volk von Afghanistan gewidmet.”
Highlights:
“Das ist Afghanistan! Alexander der Große wollte dieses Land erobern, Dschingis Khan, die Briten und jetzt die Russen, aber wir lassen uns nicht erobern!”
“Gott muss lieben verrückte Menschen!” “Wieso?” “Er machen soviele davon.”
“Meine Zeit ist um.” “Was heißt das?” “Das heißt, mein Krieg ist vorbei:”
Und mein Liebling:
“Wozu ist das?” “Das ist blaues Licht.” “Und was macht es?” “Es leuchtet blau.”
Dass der Entzug nicht einfach so ohne Turkey abgehen könnte, wurde mir gesagt. “You started learning with Duolingo 1 year ago. Keep up the good work!” schreiben sie mir bis jetzt noch kooperativ, als ob sie nicht ahnten, dass ich nach einem Jahr im Status eines “Wildfire” in der “Amethyst Legaue” mit voller Absicht aussteigen will. Das Härteste wird, ihren täglich anstehenden Sirenengesangseinlagen zu widerstehen, dass ich doch weiterlernen soll, nur weil ich zufällig motiviert wäre. Was sie nicht wissen: Motiviert war ich nicht mal am ersten Tag von den 365. Das wird sich auch nicht so schnell ändern, wenn mich bis heute jede Hotel-Azubimaus auslacht, sobald ich beim Reinkommen привет sag, und nein, das hatte nie “was mit Corona” zu tun, sondern mit einem gewissen Ehrgeiz, auf meine alten Tage noch Чехов im Original zu lesen. Was hab ich mir wohl je eingebildet, wen ein Golden Ager noch kennenlernen sollte, mit dem er Russisch reden muss — und warum er jemanden kennenlernen will, der kein Englisch kann? Nächstes Mal fang ich Monolingo an, falls es die gibt; bei denen bleibt man einsprachig und hält gesittet die Klappe, wie man es als allererstes gelernt hat.
Kommt gerade rein, während ich das schreibe: Betreff “That 365 day streak is seriously impressive. Duo’s advice? Practice Russian today!”
Sie kommen.
Цирк уехал, клоуны остались.
Bild: Soviet Visuals: “The circus is gone, but the clowns remain: Popular Russian expression to describe people who are acting in a strange or absurd way”, 29. Mai 2021.
Die Wasserwerte sind da. Vom Labor bestellt und bitter bezahlt. Außer einigen selten auftretenden Image-Werbeplakaten der Münchner Stadtwerke für ihr wunder wie tolles Leitungswasser erzählt einem ja keiner was über das Lebensmittel, das man am meisten verwendet. Außer Chips natürlich, aber der Mineralgehalt müsste ähnlich sein.
Wer Münchner Leitungswasser, von Braumeistern der Stadtwerke liebevoll frotzelnd “M-Wasser” genannt, bisher für eine nachlässig gesättigte Kalklösung hielt, kann aufatmen und weitersaufen: Der Kalkgehalt ist keinesfalls höher als in den Schalen von Bio-Eiern. Kupferwerte hab ich bisher für etwas gehalten, das man nach dem Einkaufen in eine alte Asbach-Uralt-Flasche klimpern lässt, praktisch zu vernachlässigen sind Nitrat und Nitrit. Ich hab keine Ahnung, was das ist, aber ich verwechsle ja auch Manet und Monet. Unter dem psychogenen Grenzwert liegen auch Bor und noch irgendwas.
Sorgen muss man sich machen um Nickel und Blei. Dass Blei nicht in Leuten vorkommen sollte, lernt man ja schon als kleiner Bub, wenn man durchs Wohnzimmerschlüsselloch den Spätwestern mitguckt. Und vor allem Leute wie ich, sagt Vroni, die mit Müdigkeit, körperlicher Schwäche, Depression und noch irgendwas zu kämpfen haben…
“Mit Vergesslichkeit, Wolf”, hilft Vroni aus, “mit Vergesslichkeit!”
Sag ich doch, aber jetzt weiß ich nicht mehr, was ich wollte.
Wie Silvester war? Erstens: Wer sich an Silvester erinnern kann, hat keins erlebt. Zweitens: Entweder war es so wie bei allen anderen auch, dann ist der Rückblick nicht nötig, oder es war anders als bei allen anderen, dann ist er nicht möglich.
Sagen wir einfach, es war so wie das rückblickend hinterherschleppende Jahr: Wenn man sich hätte rühren dürfen, hätte man nicht gewollt, und wenn man gewollt hätte, wär’s immer noch verboten. Systemrelevante Tätigkeiten verbieten sich für Risikogruppen.
Wahrscheinlich war es ganz okay. Schon in ganz wenigen Wochen werden wir alle sagen, dass 2020 vergleichsweise doch gar nicht so schlecht war.
Viel Glück im neuen Jahr, wir werden es brauchen.
Soundtrack: Chip Taylor: The Last Video (F**k All The Perfect People Part II), aus: Block Out the Sirens of This Lonely World, 2013:
Wie Heiligabend war? An dem haben wir wie immer — wie immer an Heiligen Abenden, mein ich — am Heiligen Abend haben wir also wie immer eine Ente gebraten, die Ente darf man also schon mal nicht fragen.
Traditionell — das heißt: seit Franz Messner nicht mehr seine vielstündige, sensibel kuratierte Weihnachtsmischung auf Bayern 1 ausschüttet — legen wir dazu die Lola Versus Powerman and the Moneygoround, Part One auf, viel eher wegen Strangers als wegen Lola, danach kommt eine überhaupt nicht sensibel kuratierte, sondern algorithmisch zusammengekleisterte Playlist mit Hippiegeschrammel.
Um nicht den Kontakt zur Außenwelt zu verlieren — sagen wir’s mal so: unsere Weihnachtspost bestand aus der Telefonrechnung — hören wir zwischendrin vorsichtshalber Radio: Rundfunkstationen gehören zum Letzten, was im Verteidigungsfall kapeister geht, und die Nachrichten zur vollen Stunde stiften ein Urvertrauen zum Leben und zur Welt, viel eher wegen ihres zuverlässigen Eintretens als wegen ihres Inhalts.
Kein Verteidigungsfall auf eigenem Boden, aber den üblichen affirmativen Erleichterungsschreien, dass dieses doofe Jahr 2020 ja ganz arg bald hinter uns liegt, folgt in den 23-Uhr-Nachrichten die Meldung: Coronavirus-Variante aus England erstmals in Deutschland nachgewiesen” — formuliert mit entschieden zu vielen “erstmals”, “bisher” und “vorläufig”. Die Schreibweise von B.1.1.7 wird man sich “vorläufig” merken müssen: Das erste Jahr der Pest ist nicht zwingend das letzte.
Fröhliche Weihnachtsreste und gedeihlichen Jahreswechsel. Gott steh uns bei.
Wer die Melodie korrekt mitpfeifen kann, darf sich einen Keks nehmen: Christina Bowers und Henry Toland: Strangers, aus: The Kinks: Lola Versus Powerman and the Moneygoround, Part One, 1970. Aufgenommen vermutlich Dezember 2015 in Orlando/Florida, und fast noch hypnotischer als das Original. Also fast. — Man beachte den Hund.
Ich hab ein Problem mit Augenkontakt, deshalb sitze ich von jeher mit den Leuten lieber nicht gegenüber, dass man ständig ihren Blick parieren muss, sondern nebeneinander, und versuche es als “in die gleiche Richtung schauen” auszugeben. So wird das freilich nix mit der Völkerfreundschaft mit dem befreundeten Ausland:
“Also Leute mit zwei Muttersprachen ham doch immer alle irgendwie ein Rad ab.”
“Du findest?”
“Du nicht? Wahrscheinlich macht das schizo oder entwurzelt oder sowas.”
“Bei uns in der Ukraine alle haben die zweite Muttersprache.”
“Weiß schon, ihr tatarischen Reiternomaden kommt viel rum.”
“Nomaden an dem Arsche. Kiever Rus war viel länger als Sowjetunion mit bisschen Moskau.”
“Halt kleiner.”
“Heute noch größte Land von Europa. Außerdem schöner. Russkij Heartland, weißt du.”
“Wozu braucht ihr dann eure zwei angeborenen Sprachen?”
“Moskau zu frech. Russkij Jasyk sowieso bloß degenerierter Dialekt von Ukrajinska Mowa.”
“Parther und Skythen halt.<"
“Weites Land. Viel reiten.”
“Was ist jetzt der korrekte Terminus für die ganzen räuberischen Kosakenstämme: glagolitische Walachei oder moskowitische Mongolei?”
“Bist du selber Arsch.”
Und ich hab immer geglaubt, wenn ich den Augenkontakt mit den Leuten, die noch mit mir reden, halten könnte, hätte ich’s zur Not so weit bringen können, dass mich der eine oder andere für einen funktionalen Erwachsenen hält. Erleichternd zu wissen, dass nicht mal das was gebracht hätte.
Der Vorteil ist: Man kann seine Zigaretten sehr viel souveräner mit seinem Nebeneinander teilen als mit seinem Gegenüber.
Soundtrack: Chip Taylor & The New Ukrainians: Fuck All The Perfect People, aus: F++K All The Perfect People, 2012.
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