Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: Juli 2009

Featuring Great Cat Content 2

Gummikaetzchen  

Liebes Finanzamt, bin ja schon drüber.
Leider hast du mir immer noch nicht gesagt, ob man als Kreativer seine Gummibärchen-Miezen als Betriebsausgabe absetzen kann, weil Standard-Nahrung zur Kreativaufrechterhaltung. Meine Anfrage, ob unsere Betriebskatze Moritz als festangestellter Mitarbeiter "Einsatzgebiet Motivation und Blutdrucksenkung" oder eher als Mouselancer einzustufen ist, hast du auch noch nicht beantwortet.
Also wie jetzt.

Julia und die Paprikasau

Update zu Tausend und ein Apfelstrudel:

Kreative sind ja so sensible Menschlein. Die Juliaschwemme von vor zwanzig Jahren ist jetzt erwachsen und auf dem Arbeitsmarkt angekommen. Und jetzt braucht sie einen USP. Wenn schon keinen positiven, wenigstens einen hilfesuchenden. Wozu hat man was Heiratsträchtiges im Einzelhandel gelernt:

Kreative sind ja so sensible Menschlein. Und ich erst. Schau meinen Kassenzettel an: Ui. Wer kauft denn sowas. HEFI PAPRIKASAU. Vergleich mit den erbeuteten Schätzen: Heringsfilets in Paprikasauce. Große Erleichterung.

PS: Leider muss ich aus juristischen Gründen an dieser Stelle vermerken, dass das Bildmaterial meinem eigenen Copyright unterliegt, weil ich keine 8000 Euro zuviel hab. Die Bilder sind zur Gaudi auf meinem Flickr-Account, die schenk ich Ihnen.

Joachim Ringelnatz: Die Litfaßsäulen, 1933

Es stehen die Litfaßsäulen
Verstreut, den Leuchttürmen gleich,
Und lassen vom Wind sich umheulen
Und werden im Regen ganz weich.

Und rufen und locken und preisen
Aus buntem und grellem Papier
Und drohen und stechen und beißen
Und lügen noch schlimmer als wir.

Früh lehnt ein Mann eine Leiter
An das, was Litfaß erfand.
Er reißt ihr vandalisch doch heiter
In Fetzen das bunte Gewand.

Nachdem er sie darauf bekleistert –
Als brächte ihn Nacktes in Zorn –
Klebt er ihr wieder begeistert
Viel Buntes auf Hinten und Vorn.

Theater … – Auktion … – Zigaretten … –
Wohltätigkeits… – Raubmord … – Und Sport
Proteste … – Amtliche … – Betten … –
Kurz alles in Bild oder Wort.

Ich lese das ernst ohne Pause.
Mich interessiert so was sehr.
Und meiner Frau sag’ zu Hause
Ich alles dann auswendig her.

Ihr Sinn für Romane, Gedichte
Und Zeitungen ist nicht so groß.
Sie hört meine Litfaßberichte,
Und abends ziehn wir dann los.

Und wie, wie in Sturm und Wellen,
Die Litfaßsäulen starr stehn,
So sollen am Aktuellen
Auch wir nicht etwa achtlos vorübergehn.

Aus: 103 Gedichte, 1933.


Faksimile 1933: Digitale Drucke der Uni Bielefeld.

Im Bauch des Automaten

Bei Penny (das ist das, was es in München statt Norma gibt) ziehen sie seit ein paar Wochen ein Programm zur Volksgesundheit durch: Sie haben einen Zigarettenautomaten aufgestellt.

Keinen solchen, wo man seinen Ausweis, seinen Europa-Führerschein, seine Krankenkassenkarte und dann auch noch Geld reinstecken und ein Passwort flüstern muss, das nur wehrfähige EU-Angehörige mit einwandfreiem Leumund kennen, sondern einen, wo man per Knopfdruck seine bevorzugte Marke wählt, unten rausholt und mit aufs Kassenlaufband legt.

Bisher hab ich immer die Smart 30 gekauft, das sind die einzigen mir bekannten mit 30 Fluppen pro Schachtel. Wenn ich welche mit 60 Stück finde, nehm ich die. Kein übertrieben erlesenes Kräutlein, aber sie qualmen und stinken, und was erwartet man mehr von Zigaretten. Meistens nehm ich zwei Schachteln, damit bin ich die ganze Woche versorgt, außer Vroni hat ihre Raucherphase. Von Smart 30, stelle ich mir gerne vor, wird man so smart wie ein Dreißgjähriger.

Offenbar wurde es unrentabel für Penny, die Zigaretten in der Quengelzone zur Eigenentnahme des Kunden freizugeben, weil es immer ein paar Grattler gibt, die sich bedienen und eine anschließende Bezahlung entbehrlich finden, weil man ja so als charakterschwacher Zigarettenvorratshalter doch immer eine frische Packung einstecken hat.

Wiederholt wurden die Kassiererinnen bei Penny deshalb angehalten, die Zigaretten im Fußraum ihres Kassensitzes zu horten. Das war sehr kommunikativ, weil immer für Gesprächsstoff über den Unterschied zwischen Smart, Smart 100, Miami 100, Marlboro 100, normalen Marlboro, Smart 30 und Zigaretten gesorgt war. Penny stellt offenbar für die Kasse nur Nichtraucherinnen ein.

Vor wenigen Wochen war deshalb auch nicht länger rentabel, sie in kostspielige Fortbildungen für Produktkunde zu schicken, nur weil die letzten paar Junkies, die da einkaufen, nicht vom Stoff loskommen. Eines Tages stand der Zigarettenautomat da, wo gestern noch Zigaretten erhältlich waren; nur Feuerzeuge sind anscheinend nicht so der, nun ja: Mitnahmeartikel.

Cool, denke ich, so viele Knöpfe. Und fünf davon mit meinen Smart 30. Und in der Mitte ein grünes Licht, dass ich wählen soll. Einen von fünf Knöpfen für Smart 30 (30 Stück, Schachtel 5,70 Euro) drücken:

“Biiiiiiiep!”

Haha, lustig. Es rumpelt und poltert im Bauch des Automaten. Und sogleich geht das Licht darunter an, diesmal ein weißes, dass die Marke nicht erhältlich sei. Zehn Sekunden lang, damit ich bequem zu Ende lesen kann. Und danach das gelbe Licht: Ich soll die Kassiererin fragen. Zehn Sekunden lang.

Na, wenn sie den Automaten haben, wird die Kassiererin mir was husten, wenn ich nicht alle Knöpfe durchprobiere, denke ich. Und warte die nächsten zehn Sekunden lang, in denen überhaupt kein Licht leuchtet. Und dann wieder das grüne. Dass ich wählen soll. Ich wähle den zweiten Knopf, auf dem Smart 30 (30 Stück, Schachtel 5,70 Euro) steht.

“Biiiiiiiep!”

Es rumpelt und poltert im Bauch des Automaten. Und sogleich… aber Sie sind ja aufmerksame Leser.

Fünf mal vierzig Sekunden, das kann ich kaum im Kopf in Minuten umrechnen, ich hab nur Lesen und Schreiben studiert und die Steuer macht immer meine Frau, außerdem geht Rauchen auf die Intelligenz. Aber dass hinter mir auch noch Leute an die Kasse wollen, kann ich mitvollziehen. Schon erheben sich die ersten Stimmen:

“Ja Herrschaftzeitn, valleicht geht do boid wos weider do vorn?!”

Ist ja gut, ich hab ja noch fast eine halbe Schachtel. Demütig bezahle ich mein frisches Gemüse, gesunde Fruchtsäfte und glückliche Eier von freilaufenden Bauern.

Am nächsten Tag freue ich mich auf einen aufgefüllten Zigarettenautomaten und richtig frischen Knaster.

“Biiiiiiiep!”

Fünfmal.

Hinter mir:

“Ja Herrschaftzeitn, valleicht geht do boid wos weider do vorn?!”

“Dass diese unbeherrschten Raucher auch immer und überall unangenehm auffallen müssen!”

Ein Kiffertyp mit zwei Kartons Rotweinimitat im Wagen fragt: “Könnse nich ne zweite Kasse aufmachen? Hier geht ja seit Stunden gaa nix mehr voran bei Ihn’, mit dem Ar… mit dem Herrn da.”

Am rechten Ohr trifft mich eine biologisch angebaute Aprikose (Spanien, Kilogramm 2,49 Euro).

Raucher sind friedfertige und tolerante Menschen, Nichtraucher gesunde und selbstbewusste. Wahrscheinlich, weil sie moralisch immer automatisch im Recht sind. “Automatisch”, hahaha… Demütig bezahle ich irgendwelchen Bioschlonz, weil ich erst gestern einkaufen und nur wegen Zigaretten hier war.

Zu Hause freut sich Vroni, dass ich neuerdings so viele Bioprodukte einkaufe. Soll sie ruhig. Das einzige, was bei Penny nicht bio ist, wären die Zigaretten.

Am nächsten Tag brauchen wir… hm, Biokatzenstreu vielleicht. Ich gehe Zigaretten holen.

“Biiiiiiiep!”

Fünfmal. Jetzt reicht’s. Ich frage, wie vom Automaten empfohlen, die Kassiererin: “Habt ihr vielleicht auch Smart 30?”

“Ziggreddn, moanen S’? O mei… Sie san heit scho der Zehnte.”

Sie bückt sich und kramt unter der Kasse einen Schlüssel hervor. Verschließt und sichert die Kasse. Steht mühsam auf. Quält sich aus ihrem Kassenställchen. Schaukelt arthritisch zur anderen Kasse hinüber, wo der Automat triumphierend vor sich hin feixt. Bückt sich unter Ächzen über das Laufband, um dem Automaten tief unten ihren Schlüssel in den Bauch zu bohren. Er passt nicht.

“Herr Scho-Schack??!?”

In der Bürotür neben den Kassen erscheint ein übellauniger Neger. Er füllt die Tür ganz aus.

“Ham mir no… Wos ham Sie gsagt?!”

“Smart 30 bitte.”

“Ham mir no de Ziggreddnbaggl do, de großn ?”

“Im Lager mir nix. Automat.” Herr Jean-Jacques, die beeindruckende Führungskraft mit schwarzafrikanischem Migrationshintergrund, vermutlich von der stolzen Elfenbeinküste, deutet mit Nachdruck auf den Automaten, funkelt mich feindselig an, merkt sich mein Gesicht und zwängt sich in sein Büro zurück. Glück gehabt.

“Ja mei”, sagt die Kassiererin, “wenn do nix drin is…”

“Wenn do nix drin is”, lasse ich mich hinreißen, “wenn halt nix drin is in eierm saudummverrecktn Scheißdrecksblechhaufm überanand, vielleicht füllt ihr den zwischndurch amal auf?! Is ja wie vor zwanzg Jahr in der Zone! Des macht doch Ihna aa kan Spaß, wenn S’ dauernd aus Ihrm Häusl rauswalzn müssn und nachschaun, ob wirklich immer no nix drin is!”

Recht so. IHK-Wochenendkurs Kommunikationstraining: Nicht nur destruktiv rumpöbeln, sondern den Gesprächsgegner immer mit ins Boot holen.

“Ham S’ doch ghert, dass nix am Lager is.”

Sie quält sich zurück in ihren Stall, öffnet die Kasse und kassiert mein Dreierpack Feuerzeuge ab.

Hinter mir kocht der Volkszorn. Kaum habe ich Zeit, meine Feuerzeuge zu verstauen, da werde ich von einem lynchbereiten Mob unter Anti-Raucher-Parolen mit Bio-Tiefkühlspinat (400 Gramm, einschließlich Blupp) aus dem Laden gesteinigt.

Am nächsten Tag fahre ich zu einem Plus in Schwabing. Da haben sie welche mit immerhin 24 Stück pro Schachtel. Power heißen die. Kann man immer brauchen.

So ein Marketingaufwand, nur um dem Verbraucher zu vermitteln, dass Zigaretten bald teurer werden.

Soundtrack: Ruth Händel: Das ist bestimmt meine letzte Zigarette, 1975:

Ich bin so gut.

Es hat schon seinen Sinn, dass ich Texter geworden bin. Dochdoch.

Letzthin hier so in München: Regen, regen, regen. Und dazwischen immer so: Hitz, hitz, hitz, die Sonne jetzt immer so, zwischen dem Regen. Schein, schein und alles.

Dann ich immer so: Vorm Haus sitz, Pause mach, chill, chill. Die Woche auf einmal so: von weitem: so eine Frau. Stöckel, stöckel, den ganzen Gehsteig brauch, Hintern schaukel, Röckchen weh, nach Parfüm stink. Und ich halt so: Glotz.

Sie dann halt immer näher, muss aufm Gehsteig an mir vorbei. Und dann sie so, sagt die nicht so zu mir:

“Wos schaustn so?”

Und dann musst du dir mal meine Schlagfertigkeit vorstellen. Ich so, ganz ohne Konzept, ohne Briefing, ohne Dings, einfach so weil ich das gelernt hab, mit dem Deutsch und dem Texten und alles, sag ich nicht so zu der:

“Lass mi halt schaun.”

War halt nicht so die Zielgruppe.

Frau halt: Deke Dickerson and the EccoFonics: Redheaded Woman,
WRFG FM 89.3 studios in Atlanta, Georgia, Sagebrush Boogie show, 10. Februar 2000.

© 2024 Freitag! Logbuch

Theme von Anders NorénHoch ↑