Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: November 2015

Mondo Schmuddelkino

Der Fernsehtipp des ganzen nächsten Monats ist ja wohl: auf NDR, der sich hoffentlich weit genug südlich streamen lässt, die gleich drei Klassiker: Cinema Perverso. Die wunderbare und kaputte Welt des Bahnhofskinos: Eine Bahre für den Sheriff, Fünf Klumpen Gold und Töte Amigo — in den frühen Morgenstunden des 15. Dezember 2015 von 0.45 bis 5.15 Uhr hintereinander weg. Für echte Fans: Das ist der Donnerstag.

Diese B- bis E-Klasse der Italo-Western hat durchaus Fans — vor allem die mit Klaus Kinski, wo er dermaßen irre gucken darf, dass seine Auftritte in den familientauglichen Edgar-Wallace-Schnulzen dagegen reines Arthouse sind. Für einen Querschnitt durch das klassische Bahnhofskinoprogramm finde ich die Auswahl etwas einseitig: Wo bleibt der Schulmädchen-Report? Bademeister-Report? Hausfrauen-Report? Die Mondo-Serie? Lederhosen-Pornos? Romero, Russ Meyer, John Waters, die frühen David Lynch und Peter Jackson?

Und vor allem: Warum wurden jemals andere Filme gedreht als solche, die preiswert produziert werden können und gerade deswegen genug Schauwert aufweisen, dass man zuerst hinterher in der Kneipe und später seinen Kindern was zu erzählen hat?

Weil man nach dem Besuch eine Bahnhofskinos nicht in die Kneipe geht, sondern nach Hause zu seiner Frau und so tut, als wäre man überall gewesen außer im Kino. Die zuletzt genannten Regisseure sind keine Deutschen, die Institution des Bahnhofskinos hingegen so urdeutsch wie Faust persönlich (der selber nicht als Welterklärung eines Dichterfürsten, sondern als reißerisches Puppenspiel fliegender Komödianten angefangen hat).

Die Dokumentation, die der Filmnacht am 15. Dezember interpretierend beiliegt, läuft derzeit auf Arte und heißt ebenfalls Cinema Perverso. Da erfährt man 59 Minuten lang, dass Ben Becker und Wolfgang Niedecken zu ihren einstmaligen Besuchen in Bahnhofskinos stehen und Jörg Buttgereit zu dem Zeug, das er gedreht hat, dass eine gewisse Mechthild Großmann eine Stimmlage von einer geschätzten halben Oktave unter Elmar Gunsch spazieren führt, erlebt eine künstlerisch tatsächlich nicht ganz ambitionsfreie Nacktsequenz mit der welpigen Ingrid Steeger, auf die sie traurigerweise gar “nicht stolz” ist, und fragt sich, wozu jemals das heimische Fernsehen eine derartige Verbreitung erfahren konnte und warum mein zuständiger Laden im ersten Stock vom Nürnberger Hauptbahnhof eigentlich “aki” geheißen hat.

Solange Filme noch einen bewussten Weg zu einem dazu bestimmten Gebäude, Eintrittsgeld und eine Spanne aufmerksamen Stillsitzens erforderten, verbreitete sich der Kopiensatz über eine lange Verweildauer in den Kinos und wurde von großen Häusern in großen Städten in kleine Klitschen auf dem flachen Land durchgereicht, danach wieder zurück in die Großstadt, wo der Film dann schon seine ganze Zielgruppe erreicht hatte, oft sogar mehrmals, und noch eine Zeitlang im Bahnhof lief.

Im Laufe der 1960er Jahre, als jeder gratis drei Fernsehprogramme von der Kinderstunde bis zum Ameisenkrieg anschauen konnte, ohne den Hintern zu heben, ließ das nach. In den 1980ern, als jeder nach Belieben Videokassetten kaufen, ausleihen und sogar selber aufnehmen konnte, starb es aus. Betriebswirtschaftlich sagt man wohl: Die Wertschöfpungskette eines Films hat sich dahingehend geändert, dass er aus dem Multiplex nahtlos auf Blu-ray übergehen muss, damit ihn nicht jeder Schulfratz sofort dem Markt entzieht. Oder kürzer: Ein Film rechnet sich gleich oder gar nicht.

Man mag das bedauern; in Cinema Perverso beteuern jedenfalls alle Interviewten aufs ausführlichste ihr Bedauern darüber. Wahrscheinlich ist es wie mit den ehrbaren Absturzkneipen: Ein-, zweimal war jeder drin, leugnet es aber erstens und kann zweitens damit keinen Laden ernsthaft finanzieren. Was damals “Schmuddelfilme” waren, ist heute mindestens “Trash” und somit “Kult” und lehrt uns, wenn schon keine Alltagskultur, was die heutigen Herrgötter des Films ohne Jugendfreigabe, Tarantino und Rodriguez, da eigentlich die ganze Zeit keineswegs ohne Respekt zitieren.

Aus Johnny Depp (A Nightmare on Elm Street, 1984) und Renée Zellweger (Texas Chainsaw Massacre – Die Rückkehr, 1994) ist schließlich auch noch was geworden, die späten Machwerke von Peter Jackson (Bad Taste, 1987) kommen auf 17 Oscars bei 30 Nominierungen. Nur Brad Pitt (Todesparty 2, 1988) hat mit der Scream Queen Jennifer Aniston (Leprechaun – Der Killerkobold, 1993) gebrochen und musste dafür die böse Hexe heiraten.

Die wirkliche Frage ist allerdings: Was muss das für ein Zeitalter der Unschuld gewesen sein, in dem sich erwachsene Menschen allen Ernstes an Filmen wie Die Todesgöttin des Liebescamps (Christian Anders, 1981) aufgeilen konnten?

Wenn mich jemand sucht: Ich schau mal nach, ob Friß den Staub von meinen Stiefeln (1970) und Ein Zombie hing am Glockenseil (1980) endlich auf YouTube in halbwegs hinnehmbaren Schnittfassungen vorliegen.

Ingrid Steeger beim Bergsteigen

Das Bild ist der beschriebenen Dokumentation Cinema Perverso von Lunabeach auf Arte entnommen. Wer mir als erstes in den Kommentar schreibt, aus welchem Film das stammt, kriegt ein schönes Buch oder vielleicht auch passender: ein grausigen Film auf DVD von mir. Diese Verlosung ist privat wie nur was, dient rein meiner persönlichen Belustigung und schließt jeden Rechtsweg aus.

Ein Festessen für die Leber

If you are lucky enough to have lived in Paris as a young man, then wherever you go for the rest of your life, it stays with you, for Paris is a moveable feast.

Ernest Hemingway, 1964.

Was kann man eigentlich noch aktiv unternehmen, um Flüchtlingen zu helfen? — Je nun, in München wäre das laut dem offiziellen Stadtportal: zielgenau spenden, ehrenamtlich Flüchtlinge empfangen, Mitarbeiterin und Mitarbeiter in vielen Bereichen werden oder Ärztin oder Arzt sein — also praktisch nichts, was sich mit einem geregelten Tagesablauf vereinbaren ließe.

Außer aktiv etwas gegen denselben Terrorismus unternehmen, vor dem diese gebeutelten Menschen geflohen sind und der schneller als sie in den bislang als sicher eingestuften Einwanderungsländern angekommen ist, weil er weder zu Fuß durch die Schluchten des Balkan noch im Schlauchboot übers Mittelmeer musste, alsda wäre:

2 + 2 – 2 + 2 = 7 (BWL für Spätromantiker)

“Der Wolf wieder”, sagt Vroni, “mit seinen Kinder- und Hausmärchen. Was hast’n wieder für einen Schauerkram aufgetrieben?”

“Und was für einen”, sag ich, Die beiden Wanderer. Das willst du gar nicht kennen.”

Das sicherste Mittel. “Lies mal vor”, sagt Vroni.

Die beiden Wanderer nach der siebten Auflage letzter Hand 1857. Den Anfang lass ich mal weg.

Johann Gottfried Seume, Spaziergang nach Syrakus. Titelblatt der Erstausgabe, gezeichnet von Johann Christian Reinhart, 1803Als sie eine Zeitlang gewandert waren, kamen sie an einen großen Wald, durch welchen der Weg nach der Königsstadt gieng. Es führten aber zwei Fußsteige hindurch, davon war der eine sieben Tage lang, der andere nur zwei Tage, aber niemand von ihnen wußte, welcher der kürzere Weg war. Die zwei Wanderer setzten sich unter einen Eichenbaum und rathschlagten wie sie sich vorsehen und für wie viel Tage sie Brot mitnehmen wollten. Der Schuster sagte “man muß weiter denken als man geht, ich will für sieben Tage Brot mit nehmen.” “Was,” sagte der Schneider, “für sieben Tage Brot auf dem Rücken schleppen wie ein Lastthier und sich nicht umschauen? ich halte mich an Gott und kehre mich an nichts. Das Geld, das ich in der Tasche habe, das ist im Sommer so gut als im Winter, aber das Brot wird in der heißen Zeit trocken und obendrein schimmelig. Mein Rock geht auch nicht länger als auf die Knöchel. Warum sollen wir den richtigen Weg nicht finden? Für zwei Tage Brot und damit gut.” Es kaufte sich also ein jeder sein Brot, und dann giengen sie auf gut Glück in den Wald hinein.

In dem Wald war es so still wie in einer Kirche. Kein Wind wehte, kein Bach rauschte, kein Vogel sang, und durch die dichtbelaubten Äste drang kein Sonnenstrahl. Der Schuster sprach kein Wort, ihn drückte das schwere Brot auf dem Rücken, daß ihm der Schweiß über sein verdrießliches und finsteres Gesicht herabfloß. Der Schneider aber war ganz munter, sprang daher, pfiff auf einem Blatt oder sang ein Liedchen, und dachte “Gott im Himmel muß sich freuen daß ich so lustig bin.” Zwei Tage gieng das so fort, aber als am dritten Tag der Wald kein Ende nehmen wollte, und der Schneider sein Brot aufgegessen hatte, so fiel ihm das Herz doch eine Elle tiefer herab: indessen verlor er nicht den Muth, sondern verließ sich auf Gott und auf sein Glück. Den dritten Tag legte er sich Abends hungrig unter einen Baum und stieg den andern Morgen hungrig wieder auf. So gieng es auch den vierten Tag, und wenn der Schuster sich auf einen umgestürzten Baum setzte, und seine Mahlzeit verzehrte, so blieb dem Schneider nichts als das Zusehen. Bat er um ein Stückchen Brot, so lachte der andere höhnisch und sagte “du bist immer so lustig gewesen, da kannst du auch einmal versuchen wies thut wenn man unlustig ist: die Vögel, die Morgens zu früh singen, die stößt Abends der Habicht,” kurz, er war ohne Barmherzigkeit. Aber am fünften Morgen konnte der arme Schneider nicht mehr aufstehen und vor Mattigkeit kaum ein Wort herausbringen; die Backen waren ihm weiß und die Augen roth. Da sagte der Schuster zu ihm “ich will dir heute ein Stück Brot geben, aber dafür will ich dir dein rechtes Auge ausstechen.” Der unglückliche Schneider, der doch gerne sein Leben erhalten wollte, konnte sich nicht anders helfen: er weinte noch einmal mit beiden Augen und hielt sie dann hin, und der Schuster, der ein Herz von Stein hatte, stach ihm mit einem scharfen Messer das rechte Auge aus. Dem Schneider kam in den Sinn was ihm sonst seine Mutter gesagt hatte, wenn er in der Speisekammer genascht hatte “essen so viel man mag, und leiden was man muß.” Als er sein theuer bezahltes Brot verzehrt hatte, machte er sich wieder auf die Beine, vergaß sein Unglück und tröstete sich damit daß er mit einem Auge noch immer genug sehen könnte. Aber am sechsten Tag meldete sich der Hunger aufs neue und zehrte ihm fast das Herz auf. Er fiel Abends bei einem Baum nieder, und am siebenten Morgen konnte er sich vor Mattigkeit nicht erheben, und der Tod saß ihm im Nacken. Da sagte der Schuster “ich will Barmherzigkeit ausüben und dir nochmals Brot geben; umsonst bekommst du es nicht, ich steche dir dafür das andere Auge noch aus.” Da erkannte der Schneider sein leichtsinniges Leben, bat den lieben Gott um Verzeihung und sprach “thue was du mußt, ich will leiden was ich muß; aber bedenke daß unser Herrgott nicht jeden Augenblick richtet und daß eine andere Stunde kommt, wo die böse That vergolten wird, die du an mir verübst und die ich nicht an dir verdient habe. Ich habe in guten Tagen mit dir getheilt was ich hatte. Mein Handwerk ist der Art daß Stich muß Stich vertreiben. Wenn ich keine Augen mehr habe, und nicht mehr nähen kann, so muß ich betteln gehen. Laß mich nur, wenn ich blind bin, hier nicht allein liegen, sonst muß ich verschmachten.” Der Schuster aber, der Gott aus seinem Herzen vertrieben hatte, nahm das Messer und stach ihm noch das linke Auge aus. Dann gab er ihm ein Stück Brot zu essen, reichte ihm einen Stock und führte ihn hinter sich her.

Noch weiter?”

“Wolf!” gruselt sich Vroni, “das ist ja fürchterlich!”

“Gelle? Hätte heut nicht mal eine Jugendfreigabe.”

“Aber echt mal. Wieso hat nicht jeder einfach für vier Tage Brot gekauft?”

“Wieso jetzt für vier?”

“Weil du genausowenig rechnen kannst wie dein tapferes Schneiderlein.”

“??”

“Na, denk doch mal nach. Sie haben zwei Möglichkeiten. Eine davon ist möglicherweise falsch. Und wann finden sie heraus, ob sie falsch war?”

“Du meinst …”

“Nach zwei Tagen, genau. Und was unternehmen sie dann?”

“Besser machen?”

“Kluger Wolf. Und dazu müssen sie die gleichen zwei Tage wieder zurück. Macht vier. Wenn sie wieder da sind?”

“Kaufen sie Brot für sieben Tage?”

“Quatsch, du BWL-Genie! Sie kaufen nochmal Brot für zwei Tage und nehmen den anderen Weg.”

“Ah, logisch.”

“Die Chance, dass sie falsch laufen, beträgt grade mal fünfzig Prozent. Ganz gut für eine Lebensentscheidung, find ich. Und selbst wenn sie ihren zweiten Versuch nutzen müssen, brauchen sie insgesamt immer noch Brot für sechs Tage, nicht für sieben.”

“Genial.”

“Märchenhaft genial. Wie geht deine Schauergeschichte überhaupt weiter?”

“Moment, da haben wir die Anmerkungen der Brüder Grimm selber, in der dritten Auflage 1856. Die stehen im dritten Band der großen Reclam-Ausgabe:

Georg Friedrich Kersting, Caspar David Friedrich auf der Wanderung ins Riesengebirge, 18. Juli 1810Nach einer Erzählung aus dem Holsteinischen, die besser und vollständiger ist als die in den früheren Ausgaben unter dem Titel die Krähen sich befindet und einer Überlieferung aus dem Meklenburgischen folgte. Bei Pauli in Schimpf und Ernst Cap. 464 eine einfache Darstellung. Ein Diener wird von seinem Herrn an einen Baum gebunden: böse Geister, die sich Nachts da versammeln, sprechen daß ein Kraut welches unter dem Baum wächst, das Gesicht wieder gebe. Nachdem er sich geheilt hat, macht er damit eines reichen Mannes Tochter wieder sehend und erhält sie mit großen Gütern zur Ehe. Sein voriger Herr will sich auch solchen Reichthum verschaffen, geht zum Baum, wo ihm des Nachts die Geister die Augen ausstechen. In der Braunschweiger Sammlung (S. 168–180) mit dem unsrigen übereinstimmender, aber schlecht erneuert. Krähen die, auf dem Baume sitzend, von Augen aushacken sprechen, auch in Helwigs jüdischen Legenden Nr. 23, hier, indem sie dem Blinden sagen was er thun soll, gleichen sie den Vögeln die dem Sigurd guten Rath geben (s. Fafnismâl und Anmerk. zu Str. 32). Der frischgefallene Thau der das Gesicht wieder gibt, ist das Reine, das alles heilt, der Speichel, womit der Herr dem Blinden das Gesicht wieder gibt, und das unschuldige Kinder- oder Jungfrauenblut, wodurch die Miselsüchtigen genesen; vergl. Altd. Wälder 2, 208 und armer Heinrich S. 175 ff. In der Braunschweiger Sammlung kommt das Märchen S. 168–180 vor, in dem Büchlein für die Jugend S. 252–263. Bei Pröhle Märchen für die Jugend Nr. 1. Dänisch bei Molbech Nr. 6 mit eigenthümlichen und guten Abweichungen. Norwegisch bei Asbjörnsen Bd. 2. Böhmisch bei Gerle Bd. 1, Nr. 7 St. Walburgis Nachttraum oder die drei Gesellen. Ungarisch bei Gaal (Nr. 8) die dankbaren Thiere, bei Mailath die Brüder (Nr. 8), bei Stier die drei Thiere S. 65. Serbisch mit einer eigenthümlichen Einleitung bei Wuk Nr. 16. Im Heftpeiger des persischen Dichters Nisami kommt eine offenbar verwandte Erzählung vor, welche Hammer in der Geschichte der schönen Redekünste Persiens (Wien 1818) S. 116. 117 aus der Handschrift bekannt gemacht hat. Chair wird von einem treulosen Reisegefährten Scheer, den er für seinen Freund hält, erst seines Vorraths an Wasser, dann auch seiner Augen beraubt und mishandelt. So bleibt er liegen, bis ein schönes kurdisches Mädchen ihn findet, verpflegt und heilt. Der Jüngling heilt die Tochter des Wesirs und Sultans und läßt sichs wohlgehen, bis er eines Tages seinem alten Gefährten begegnet, dem er verzeiht, der aber von einem Kurden getödtet wird.

Der Schneider bleibt auf einem Galgenberg unter zwei Gehängten liegen. Die unterhalten sich, und er kriegt mit, dass er sich mit dem Tau, der von ihnen ins Gras tropft, die Augenhöhlen waschen muss, damit er wieder sieht. Das macht er, freut sich und kämpft sich zur Königsstadt durch, hilft unterwegs ein paar Tieren, kriegt von jedem einen Wunsch frei und wird am gleichen Tag Hofschneider wie der Schuster, der nicht mehr sein Kumpel ist …”

“… denk ich mir …”

“… Hofschuster wird. Unterwegs hat er übrigens vier Tieren geholfen, nicht wie üblich dreien.”

“Kommt da die Vierzahl rein, die sie bei ihrer Lebensmittelplanung vernachlässigt haben?”

“Glaub ich jetzt nicht. So buchhalterisch geht’s nicht. Ist doch bloß ein Märchen.”

“Eben, mein Lieber, eben. In denen geht’s normalerweise gerecht zu. Dass der Schneider mit Hilfe seiner dankbaren Tiere alles schafft und die Königstochter und das halbe Reich kriegt, setz ich voraus. Was wird aus dem Schuster, dem Kameradenschwein?”

“Der

Moritz von Schwind, Abschied im Morgengrauen, 1859mußte die Schuhe machen, in welchen das Schneiderlein auf dem Hochzeitfest tanzte, hernach ward ihm befohlen die Stadt auf immer zu verlassen. Der Weg nach dem Wald führte ihn zu dem Galgen. Von Zorn, Wuth und der Hitze des Tages ermüdet, warf er sich nieder. Als er die Augen zumachte und schlafen wollte, stürzten die beiden Krähen von den Köpfen der Gehenkten mit lautem Geschrei herab und hackten ihm die Augen aus. Unsinnig rannte er in den Wald und muß darin verschmachtet sein, denn es hat ihn niemand wieder gesehen oder etwas von ihm gehört.

Glücklich damit?”

“Joh, das geht okay. Ist ein langes Märchen, oder?”

“Ziemlich, und richtig detailverliebt ausgeschrieben – also schon aus der Werkstatt von Wilhelm, nicht Jacob Grimm. Da braucht’s Brot für sieben Tage.”

“Für vier bitte. ‘Das Brot wird in der heißen Zeit trocken und obendrein schimmelig.’ Und Zwiebeln fehlen.”

“Ist doch bloß ein Märchen.”

“Eben, mein Lieber, eben.”

“Geh ja schon.”

Bilder: Johann Christian Reinhart: Titelblatt der Erstausgabe Johann Gottfried Seume: Spaziergang nach Syrakus, 1803;
Georg Friedrich Kersting: Caspar David Friedrich auf der Wanderung ins Riesengebirge, 18. Juli 1810;
Moritz von Schwind: Abschied im Morgengrauen, 1859.

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