Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: August 2018

Blackbird singing in the dead of night (di amseln hamm zeid)

Update zu “Wir müssen davon ausgehen, dass sich der dramatische Insektenrückgang fortsetzt.”:

——— Fitzgerald Kusz:

lob der amseln

aus: seid mei uhr nachm mond gäihd.
der gesammelten gedichte dritter teil,
1. Abschnitt: di amseln hamm zeid,
verlag klaus g. renner, München 1984:

I

die amseln könnä ihrn gelbm
schnobl ned vullgräing:
sie hubfm im gros rum
und bickn allers auf wos finnä
sie hubfm aff di balkong nauf
und hulln si schnell
ä boä bräisälä
und wenn anns kummd
nou verschwindens widdä
sie hubfm sugoä
in di babiäkörb nei
weils wissn
wous di goudn bißlä gibd

II

di amseln senn di schdaddschreichä
undä di vögl, däi loun si su
schnell nix gfalln vo di laid
däi senn hard im nehmä:
wenns di kleingärdnä dävoojoong
weils ihre saloodbflänzlä zamfressn
dann kummers widdä
wenn di kleingärdnä widdä fodd senn
däi könnä nu suviel
silbäbabiälä in ihre beede neihängä:
di amseln juckd des ned!<

III

di amseln is des worschd
wos grood fürä brogramm läffd:
sie hockn aff di fernsehandennä
und singä weils
hald einfach singä mäin

IV

di amseln hamm zeid
und die zeid errberrd für sie

Neufassung in: Nämberch-Blues,
ars vivendi verlag, Cadolzburg 2017:

lob der amseln

woui aa hiikumm, di amseln senn scho dou
däi wibbm und dribbln, däi hubfm rum
däi fläing ned wech, däi hamm ka angsd
däibleim wous senn, däi loun si ned vädreim
däi biggn jeds körnlä auf, däi finnä immä wos
woui aa hiikumm, di amseln senn scho dou
di weiblä braun, di männlä schwazz
iberoll amseln! däi senn hard im nehmä
däi loun si nix gfalln, däi loun si ned väjoong
däi kumma widdä, däi ferchdn si ned
däi fläing aff di wibfl vo di baim
däi fläing aff di schbidz vo di dächä
däi fläing aff di saddeliddnschissln
däi soung si immä di häichsde schdell
und fanga oo zu singä
und hörn nimmä auf
weils hald einfach singä mäin:
di amseln hamm zeid
und di zeid errberrd für sie

——— Wikipedia:

Usutu-Virus. Verbreitung in Europa, 2018

Das Virus wurde 2018 nach Angaben des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) auch bei toten Vögeln (vorwiegend Amseln) in Bremen, Hamburg und Bayern (Region Nürnberg) nachgewiesen. Dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) wurden bisher rund 1500 Verdachtsfälle gemeldet. Der NABU ruft zusammen mit dem BNITM dazu auf, kranke und tote Vögel mit Usutu-Verdacht online zu melden und gegebenenfalls einzusenden. Untersuchungen nehmen das BNITM, das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) sowie Veterinär-Untersuchungsämter vor. Bisher wurden über 200 Vögel an das BNITM geschickt, von denen bisher 132 Vögel untersucht wurden. Bei 43 (33 %) der 132 untersuchten Vögel, darunter auch ein Kleiber und ein Bartkauz, wurde das Usutu-Virus nachgewiesen.

——— Lennon/MacCartney:

Blackbird

aus: The Beatles, 1968:

Blackbird singing in the dead of night,
Take these broken wings and learn to fly.
All your life
You were only waiting for this moment to arise.

Das Beatles-Lied 1968 geht klar, aber die korrekte “Landnürnberger” (Fitzgerald Kusz) Schreibweise von “Die Amseln haben Zeit” wäre aus meiner qua muttersprachlicher Kompetenz sehr wohl maßgeblichen Sicht mitnichten “di amseln hamm zeid”, sondern “di amsln hom zeid”. Was bitte soll man gegen ein Amselsterben 2018 ausrichten, wenn noch nicht mal die Probleme von 1984 behoben sind?

Nos dejamos hace tiempo, pero me llego el momento de perder

Update zu To all those who have lived and died alone:

Und weil gerade noch halbwegs Zeit für was Sommerliches ist, ein großer Filmmoment, der erst von 2017 stammt, bei dem man also staunt, dass er schon in der Qualität veryoutubt wurde, und der wohl bleiben wird: Harry Dean Stanton hat 89-jährig ein großes Solo mit Unterstützung der Familie Lynch erhalten, und wo immer Lucky auftaucht, soll man ihn durchlaufen lassen und mal 88 Minuten fein stille schweigen, damit man bemerkt, was aus der Schildkröte im Vorspann noch wird (nein, keine Suppe oder so, wir sind ja nicht bei Tarantinos).

Schon den halben Film wert ist, wie “Lucky” Stanton seinen Abgang als Geschenk an einen Zehnjährigen singt, der als einziger nicht zuhört. Der Text von Vicente Fernández erscheint hier in korrekter Versaufteilung, weil die bisher auffindbaren Versionen vermutlich voneinander abkopiert sind und alles durcheinanderwürfeln (offenbar muss ich das immer bei Liedern mit mexikanischem Bezug machen). Verständlich wird alles beim Google Translator:

——— Harry Dean Stanton:

Volver volver

aus: Lucky, 2017:

Este amor apasionado,
anda todo alborotado
por volver
Voy camino a la locura
y aunque todo me tortura
se querer.

Nos dejamos hace tiempo
pero me llego el momento
de perder
Tu tenias mucha razón,
le hago caso al corazón
y me muero por volver.

‘Y volver, volver, volver
a tus brazos otra vez
Llegare hasta donde estés
Yo se perder, yo se perder,
quiero volver, volver,
volver.’

Nos dejamos hace tiempo
pero me llego el momento
de perder
Tu tenias mucha razón,
le hago caso al corazón
y me muero por volver.

‘Y volver, volver, volver
a tus brazos otra vez
Llegare hasta donde estés
Yo se perder, yo se perder,
quiero volver, volver,
volver.’

Muss i denn?

Update zu Von München bis Venedig (fast):

Obacht gebm. Ma bereut im Leben nie, was ma gmacht hat, bloß was ma glassn hat.

Ralf, 2012 ff.

Weihnachten 2001 hat das angefangen. Da hat mir Vroni den schönen Bildband Zu Fuss über die Alpen von Ludwig Graßler geschenkt. Das Buch scheint gut zu gehen, man entdeckt fast jedes Jahr eine aktualisierte Auflage. Weniger gut soll es dem Ludwig Graßler selber gehen: Der Mann ist gerade 93 geworden und konnte am 8.8. zum ersten Mal seit 1974 nicht um 8 Uhr auf dem Marienplatz erscheinen, um die Leute nach Venedig zu verabschieden.

Marienplatz, München--Venedig, 8. August 2018

Den Wanderweg hat Herr Graßler als führendes Mitglied des Isartalvereins persönlich eingerichtet, was sich nur ein bissel hingezogen hat, weil das Isartal leider kurz von den Alpen unterbrochen wird. Seit 1974 heißt die Strecke Traumpfad München–Venedig, hat immer noch keinen Status als offizieller Fernwanderweg, dafür ungefähr 555 Kilometer. Das klingt noch beeindruckender, wenn man die zwanzigtausend Höhenmeter berücksichtigt, und dass man vom Marienplatz bis zum Markusplatz einen Monat brauchen soll.

Marienplatz, München--Venedig, 8. August 2018

2014 war ich schon mal da, zur Verabschiedung am Marienplatz — auch wenn der Wanderweg mythischen Ausmaßes jeden lieben Tag von irgendwem beschritten wird. Berghütten werden ja nicht je einmal im Jahr von zwanzig Hanseln bewohnt, sondern 365-mal im Jahr von irgendwas zwischen zwei und zweihundert. Damals, zum vierzigsten Jahrestag der Wanderwegeröffnung war der Graßler-Wiggerl noch da, und wer nicht in Wikipedia nachgeschaut hat, konnte gar nicht glauben, dass der drahtige ältere Herr selber bloß bis Pullach mitlatschen wollte, weil er “ja schon im Neinzigsten” war. Ansonsten war’s eher trist: früh um achte noch regnerisch, und die Musik hat abgesagt und bloß eine einzelne Zehnjährige im Dirndl da, die auf der Klarinette Muss i denn zusammengestopselt hat. Schon goldig und würdig alles, und der Graßler hat mir auch an der Julia-Statue meinen Bildband handsigniert, aber es fehlt einem halt der Vorgriff auf die Majestät der Alpen.

2018 hab ich nochmal vorbeigeschaut. Die Musik war ein echter Gewinn: ein paar abseitige Landler und Schottisch von einem sichtlich Urmünchner Ehepaar, und dafür dass der Graßler sich daheim davon ausruht, dass ihm nach Aberjahrzehnten das Haus voller selberbezahlter Schreinermöbel unterm Arsch abgerissen werden und er auf seine alten Tage umziehen soll, ist allerhand Traumpfadprominenz da — so wie der Franke, der eine der brauchbarsten Websites überhaupt — die München–Venedig.net — gebaut hat und weiterhin pflegt, und heuer staunt man, wie viele junge, auffallend hübsche Madeln und gerade mal mit dem Abitur fertige Junghamster sich einen nicht ganz unstrapaziösen Monat antun wollen, für den man angeblich um die zweitausend Euro pro Nase ausgibt.

Und was alle für ein gepflegtes, selbstverständliches Bairisch reden! Was für einen Grund sollte es wohl geben, sich unnütz in München aufzuhalten, gar dort seinen Wohnsitz zu errichten, wenn nicht, um rüstigen Rentnern in beigen Rentneranoraks zuzuhören, wie sie reden wie Gustl Bayrhammer, wenn er Heilige Nacht vorliest?

Traditionell wird der Teilnehmer extra begrüßt, der die weiteste Anreise zum Marienplatz auf sich genommen hat. Es meldet sich einer aus Hamburg, tritt vor, grüßt mit zackigem “Moin!” und kriegt diskret was in die Hand gedrückt, wahrscheinlich etwas in der Qualität einer Wandernadel oder was auf den restlichen 555 Kilometern nicht so arg im Rucksack aufträgt. Die Mädchengruppe wartet Muss i denn nicht mehr ab und fängt noch diskreter schon mal mit dem Wandern an.

Marienplatz, München--Venedig, 8. August 2018

Selber komm ich seit 2001, seit ich von dem Wanderweg weiß, bloß ein-, zweimal im Jahr bis Kloster Schäftlarn. Das ist annähernd der erste halbe Tag, den ganzen hab ich mal bis Wolfratshausen durchgehalten. Der zweite, den ich getrennt davon angegangen bin, geht bis Bad Tölz, der dritte, für den ich sogar einen zweiten Verrückten gewinnen konnte, bis Lenggries. Dahinter soll’s ernsthaft bergauf gehen.

Venedig liegt übrigens auf genau 0 Meter über dem Meeresspiegel, man geht also insgesamt bergab, was man gar nicht glaubt, wenn man die Berichte und die Bilder in meinem Bildband anschaut. Aber man glaubt ja auch nicht, dass so der offizielle Weg zwischen dem Marien- und dem Markusplatz aussehen soll, seit die Brennerautobahn entdeckt ist.

Auf dem Heimweg fällt mir beim Buddeln in der Hosentasche die Tube Katzenzahnpasta in die Finger, die ich heut füh bei der Katzenhygiene dort hineingesteckt und vergessen haben muss. Ich hätte also sowieso nicht mit können.

Marienplatz, München--Venedig, 8. August 2018

Soundtrack: Wenn man von egal welchem Lied die Version von Hannes Wader haben kann, so soll man sie auch nehmen: Hannes Wader: Muß i denn zum Städtele hinaus , aus: Hannes Wader singt Volkslieder, 1990:

Ich und mein Lauf

Bratpfannenwetter. Ausnahmsweise hab ich nichts Besseres zu tun, als die Jeans aufzukrempeln und meine Hobbitlatschen in den Stadtbrunnen zu baden (ich bin Künstler, für mich ist Kontemplation Arbeit). Da springt mich von rechts hinten ein Mikrophon an:

“Was halten Sie bei dieser Hitze von Sex?”

Das Mikrophon trägt eine Manschette mit dem Logo eines berüchtigten Lokalradiosenders. Die dahinter kauernde unbezahlte Praktikantin ist blond, aber zum Ausgleich mit Brille, die “was mit Medien” ausdrücken soll. Knapp unterm Hintern handabgeschnittene Jeans, das Glitzer-Top gibt die Aussicht auf gut entwickelte Brüste ohne BH frei, ihre güldenen Riemchensandalen folgen der modischen Unsitte, eine zu dünne Sohle mit Zehenstengel und Fersenriemen zu verankern, damit das Opfer möglichst schwer rein- und rauskommt. Grellrosa lackierte Zehennägel, aber in ihrem Alter ist eine gewisse stilistische Unbeholfenheit entschuldbar. Kurz: Die vorgesetzten Schweine vom Radio haben ihre Jüngste von Oberföhring in die Innenstadt gejagt, “ein paar O-Töne einsammeln”.

“Wie war das?” Die Frage ist sie gewohnt, ich bin ja nicht ihr erster O-Ton.

“Was halten Sie bei dieser Hitze von Sex?” wippt das Mikrophon.

“Pass mal auf”, sag ich, “siehst du das Café da drüben?”

Ihr Blick folgt meinem ausgestreckten Arm: “Jaaaaa …?”

“Die haben ein Behindertenklo. Richtig groß, damit man auch mit dem Rollstuhl reinkann.”

How to confuse a unbezahlte Praktikantin. Eigentlich kann das Hascherl ja nix dafür, aber jetzt hab ich meinen Lauf:

“Das ist vom Gastraum aus nicht einsehbar, es kriegt also keiner mit, wenn du dich im Eingang irrst. Du gehst links an der Theke vorbei ums Eck, das Behindertenklo ist die erste Tür. Sperr besser zu. Ich zähl hier bis hundertfünfzig und komm dann nach. Mein Klopfzeichen ist: einmal kurz, zweimal lang. Das ist das Morsezeichen für W, weil ich Wolf heiß, aber das weißt du ja als alte Funktechnikerin.”

“Hä?”

“Inzwischen hast du Zeit, dich aus deiner kaum vorhandenen Kluft zu schälen und im Schritt frisch zu machen. Wenn ich da bin, können wir meine Klamotten auf den Fliesen unterlegen, damit du dir nicht sonstwas an die Eierstöcke zuziehst. Keine Angst, meine eigenen Gummis hab ich immer dabei, weil’s in den Automaten nie die XXL gibt.”

“Hören Sie …”

“Kein perverser Schweinkram, keine Rollen- und Fesselspiele, keine Lippenstiftringe um die Eichel oder so, wenn ich bitten darf, aber Cunnilingus geht klar, wenn du vor nicht länger als sieben Tagen rasiert bist. Ich kann dreimal, also kannst du zweimal Nachschlag bestellen. Und dein schickes Tonband kannst du ruhig anlassen dabei, irgendeinen Antörner brauchen wir ja.”

“Jetzt mal langsam.”

“Übrigens schätze ich phantasievolle Beinarbeit und eine straff trainierte Vaginalmuskulatur, dafür küsse ich wie eine gesengte Sau. Wenn du so ab der mittleren Phase schön was hören lässt, kann’s leicht sein, dass ich dir einen Zwanziger draufleg. Fragen, Einwände, Sonderwünsche?”

“Es ist nicht das Thema”, bewahrt sie Fassung, “ob ich Sie … ähm … küssen will …”

“Ach, nicht? Na, wenn Küssen kein Thema ist, kann ich auch am Bahnhof fragen.”

Sie rafft ihr Mikrophon nebst Aufnahmegerät zusammen, stemmt sich auf ihre bebenden Fohlenstelzen in die Höhe und verschwindet ohne ein weiteres Wort in der Menge. Hoffentlich kann sie das O-Tonmaterial verwenden, wenn sie sich mal um ein bezahltes Volontariat bewirbt.

Auf meiner anderen Seite hat sich eine hübsche junge Dame niedergelassen und planscht mit, wie alle am Brunnenrand. Strohhut auf naturroten Locken, dessen Krempe ein changierendes Schattengitter über ihre sommersprossige Himmelfahrtsnase breitet, hellblau geblümtes Sommerkleid. Sie wässert ihre adelig blassen Elfenbeine, darunter in geschmackvollem Dunkelrot abgesetzter Zehennagellack, Sommersprossen sogar auf dem Spann.

Ihre strahlenden Grünaugen hinter dem Schattengitter gucken streng. Sie versucht nicht zu lächeln, beim Sprechen erscheinen ihre Perlenzähne:

“Das hätt’s nicht gebraucht”, rügt sie mich.

“Die hat doch angefangen”, sag ich.

Sie prustet los.

36 Grad und es wird noch heißer: 2raumwohnung: 36 Grad,
aus: 36 Grad, 2007:

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