Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: Januar 2016

Was die Sendung mit der Maus verschweigt

Dazu braucht’s wieder mal die Kulturdetektei Wolf, damit das irgendwem auffällt: Mozart ist am Mittwoch 260 geworden. Nicht dass deswegen jemand mit den Ohren wackeln oder sich sonst einen Arm auskugeln müsste, aber so ein halbrunder Geburtstag eines anerkannten Herrgotts könnte ja von zuständigen Körperschaften zumindest mal respektiert werden. Das nächste Mozartjahr ist erst wieder 2041, und sollte das noch jemand erleben, der Wert darauf legt, kann er sich nicht mehr retten vor lauter kleiner Nachtmusik.

Das letzte Mozartjahr war 2006, und schau mal einer an: Wir haben damals schon gebloggt, sogar zum Thema: Leck mich im Arsch fein recht schön sauber. Sehr treffend.

Was sich seit 2006 gelegt hat, ist das Unwesen mit den Mozart-Klingeltönen, ja überhaupt irgendwelchen Klingeltönen; wahrscheinlich ist das seitdem durchgesetzte Telefonputzen so zeitaufwändig, dass jedes Klingeln stört.

Was gleich geblieben ist: das 27. Klavierkonzert A-Dur, Köchelverzeichnis 595 (das gern mal einen anständigen Namen vertragen könnte) mit Daniel Barenboim. Vor allem der dritte Satz.

Was in steter Veränderung begriffen ist: die Mozarteischen Schweinkramlieder. Die Verfilmung eines Kinderbuchs von Jutta Bauer mit Text und Musik von Mozart: Bona nox aus nirgendwo anders denn der Sendung mit der Maus entschärft leider das “Scheiß ins Bett, daß’ kracht” zu “‘s wird höchste Zeit” und “Reck den Arsch zum Mund” zu “Bleib recht kugelrund” — bewegt sich dabei aber innerhalb der kanonischen Versionen und ist überhaupt ganz putzig.

Das nächste Beethovenjahr ist schon 2027. Freude, schöner Götterfunken.

Der Berufsidiot

Ein wenig Leidenschaft beflügelt den Geist,
zu viel löscht ihn aus.
Henri Stendhal

 

Als Designer jetzt:
Ich habe von Anfang an nicht verstanden, was daran gut sein soll, zu sagen, dass man Design “mit Herzblut” mache. Da hat man doch nur den Effekt, dass man von den beauftragenden Geschäftsleuten für einen kleinen Idioten gehalten wird.

Zusätzlich zum Effekt, dass sie dann umso stärker glauben, der kleine schmalzig lügende Idiot würde sie eh nur um ihr Geld behumsen wollen. Ich hasse das alles aufrichtig.

 

Der Mensch ist von Geburt an gut, aber die Geschäfte machen ihn schlecht.
Konfuzius

 

Real Amateur Goes YouTube (Alright)

Nein, wir sind nicht mit dem Internet aufgewachsen, sondern das Internet mit uns.

Uns ist durchaus bewusst, dass heutige Kochtöpfe mit so leistungsfähigem WLAN kochen können, dass die Essensbilder sich praktisch von selbst auf Facebook veröffentlichen, aber als ich 1997 eine der ersten — die Älteren können mir noch folgen — Homepages auf Geocities aus handgeschriebenem HTML aufgebaut hab, bin ich sogar ohne animierte GIFs von tanzenden Tomaten mit Sonnenbrillen ausgekommen. Man nimmt dergleichen wahr, aber wozu ständig ein Mäusekino mit einer einzelnen Fingerkuppe putzen, wenn man eine Tastatur beherrscht?

Bis zu einem gewissen Alter ist das Schwimmen mit Hilfe von Schwimmflügeln okay, manch junger Mann, der neu in Deutschland ist, muss noch die wichtigsten Redewendungen wie “Große Brüste”, “Ich will dich küssen”, “Ich töte Sie” oder “Ich will ficken” mit der Übersetzung auf einem Merkzettel bei sich tragen, und wenn’s nicht mehr so gehen will mit dem Facebooken, hält sich mancher Angeschlagene nicht nur vorm WLAN, sondern auch vorm Kochtopf fern, weil sich der Herzschrittmacher nicht mit dem Induktionsherd verträgt. Das sind so Sachen, mit denen muss man halt umgehen lernen.

Wir bloggen ja sogar noch. Übrigens tun wir das, um uns ein- für allemal selbst zu loben, mit einer beispielhaften Pünktlichkeit, die es in Zeiten der weltumspannenden Echtzeit-Kommunikation gar nicht mehr gibt. Twittern ist nicht so unser Ding, weil, wer der Visual-Maske von WordPress misstraut und sein HTML bis heute auswendig von Hand eintippt, darüber hinaus Herr über einen gewissen hypotaktischen Satzbau bleiben will, 140 Anschläge vielleicht für die Überschrift veranschlagt, nicht aber für den gesamten Inhalt.

Damit sind wir nicht allein. Als ab 2005 in einer fruchtbaren Blogosphäre haufenweise Mama-Blogs erblühten und umgehend einer Lächerlichkeit anheimfielen, der sie wegen der folgenden Nichtbeachtung nie wieder entkamen, war ihr dokumentarischer Wert überhaupt noch nicht abzusehen. Angefangen wurden diese platzsparenden Schwangerschaftstagebücher und Baby-Fotoalben für einen fest umrissenen Verwandtenkreis der bloggenden Frauen und werdenden Mütter mit Kundgebungen darüber, “was da in meinem Bauch Wunderbares heranwächst”. Dokumentarisch wertvoll wird das Zeug beim erneuten Blick nach zehn Jahren, wenn das Wunderbare auf eine weiterführende Schule gewechselt hat.

Das Wunderbarste ist ja, dass solche Blogs überhaupt immer noch geführt werden, samt ständig aktuellem Bildmaterial und Hypotaxen. Deren mehr oder weniger wunderbarer Inhalt hält sich für Digital Native, weil er seitdem mit dem Internet aufwächst. Dort plant er seine zukünftige, reichlich zur Verfügung stehende Tagesfreizeit anhand Videobeispielen wie “i was bored lol” (Quelle: YouTube) und erforscht seine eigene Geschichte, bevor Mama Mama-Bloggerin wurde, anhand Videobeispielen wie “REAL Amateur German Hairy Milf Comes Hard Until She Screams And Squirts (20+ min.)” (Quelle: RedTube).

Nachdem in den Altersheimen der Umbau von Raucher- und Nichtraucher- auf Beatles- und Stones-Aufenthaltsräume abgeschlossen ist und gerade die striktere Trennung von Oasis- und Blur-Playlisten ansteht, bleibt den unverdrossenen Mama-Bloggerinnen genug Zeit, auf Oma-Blog umzustellen: Solange noch Bargeld in legalem Umlauf bleibt, gibt es keinen echten Grund, seine Tastatur für ein Ein-Finger-Telefon dranzugeben, und sie behalten die Kontrolle über ihre Fotos von veganen Mahlzeiten (ohne Gluten und Lactose) und wunderbaren Kindern (ohne ödipale Traumatisierungen).

Woran wiederum man endgültig erkennt, was für ein alter Sack ich bin: Facebook ist gar nicht mehr das soziale Natzwerk der coolen Wahl, sondern YouTube. Mir war ja nicht mal klar, dass die Kommentare dort von denkenden Menschen verfasst werden.

Soundtrack: The Who: The Kids Are Alright aus: My Generation, 1965.

Bibliothek deutscher Knauserer

Als Kathrin Passig, die grande vieille dame des Webloggens (ich darf das sagen, ich bin der Ältere) noch cool war, was nach ihrem Bachmannpreis nachgelassen hat und sich deshalb auf 2006 festlegen lässt, konnte sie außer Entbehrlichem wie One-Rope-Bondage, Fußfetischismus oder dem Beschriften von Backup-CDs immerhin auch Bücher als Geldanlage empfehlen.

Gut, das war 2001, da wurden Gegenstände und Dienstleistungen sowieso noch gegen Geld gehandelt. Seit das meiste Geld dem Umlauf entzogen wurde, ist mit Büchern das passiert, was Frau Passig 2001 dem Elektroschrott bescheinigt hat: Da muss man sogar die — selbstverständlich ehrenamtlich ihre Tagesfreizeit hinbringenden — Hausfrauen bei Oxfam anbetteln, dass sie einem das ganze Altpapier als “Bücherspende” abnehmen.

Seit 1985, als das Ding erschienen ist, spare ich auf die erste und einzige vollständige — und vor allem: anständig kommentierte — Ausgabe Phantasus von Ludwig Tieck. Vor 31 Jahren hat dieser sechste von zwölf Einzelbänden der Gesamtausgabe 198 D-Mark gekostet, seit dem Zusammenbruch der europäischen Währungen 2002 kostet er 102 Euro; man kann also gar nicht sagen, dass er in über einer Generation wesentlich teurer geworden wäre. Leider ist die Leinenausgabe in einen durchsichtigen, dennoch hässlichen Plastikeinband gewandet, was dem geschätzten Erdölaufwand einer Fahrt mit einem VW durch die Euro-Zone entspricht, und dann am Ende noch bei dem verführerisch naheliegenden Amazon.de, also überhaupt nicht zu verantworten ist.

Es muss deshalb heutzutage die streichelweiche Lederausgabe sein, für 164 Euro. Dafür kriegen Sie den in literaturwissenschaftlicher Pionierarbeit erschlossenen zuverlässigen, maßgeblichen Text, “nach Erstdrucken ediert, die wichtigen Abweichungen von den Handschriften und der von Tieck selbst veranstalteten Gesamtausgabe werden im Kommentar ausgewiesen. Erstmals werden die Texte durch grundlegende Kommentare erschlossen”, auf über 1500 Seiten alleredelsten, bei Schoeller & Hoesch eigens für die Bibliothek entwickelten alterungsbeständigen Dünndruckpapiers, in rotes Leder gebunden (man korrigiere mich, aber es müsste Schaf sein) und im vertrauenerweckend stabilen Schuber, und bei der einzuschätzenden Drehzahl sollte es mich nicht wundern, wenn Sie bis heute bei Verlagsbestellung aus der Erstauflage bedient werden. In dieser Art ist jeder Band der Bibliothek Deutscher Klassiker: leider. Jeden. Cent. Wert.

Die 164 sind der Neupreis. Sollte ich Sie also gerade zu einer mittelgroßen Geldanlage animieren, dann möglichst nicht ausgerechnet bei Amazon.de: Wenn Sie das Ding ohne Aufpreis und diskutierwürdigen Premium-Status auf den nächsten Tag in einem kuschligen Buchlädchen bestellen, kriegen Sie wahlweise vom Inhaber oder der hübschesten Azubine auf den Mund geschmatzt oder wenigstens die Tür aufgehalten. Was die 164 vormals in D-Mark waren, hat mich anno 1985 gar nicht groß interessiert: Damals wäre ich mir sogar vermessen dabei vorgekommen, die Bierdosen mit 0,33 statt der im im Literpreis effizienteren 0,5 Liter wegzulitern.

Gebraucht gibt’s die Lederausgabe schon mal um 95 Euro, die im Laufe des Klimawandels indiskutabel gewordene Leinenausgabe für 65. Für einen 47-Jährigen wie einen ehemals 17-Jährigen immer noch ein Haufen Holz für 1500 Seiten angehendes Altpapier, das ich bei meinem Lebenswandel vielleicht noch 20 bis 30 Jahre ausnutzen kann, wofern weder meine Sehkraft noch mein Auffassungsvermögen wesentlich nachlässt, und auf das meine mir persönlich bekannten Erben garantiert keinen Wert legen werden.

PS: Der Diels/Kranz ist genauso theoretisch erhältlich: alle drei Bände, zweisprachig, in halbwegs ordentlichem Zustand bei Amazon.de ab 182 Euro, bei anständigen Leuten für 200 aufwärts. Noch theoretischer gibt’s Die Gelehrtenrepublik von Klopstock: als abkopierten Nachdruck eines nicht näher ausgewiesenen Fraktur-Schinkens von einer amerikanischen Klitsche, die einen für ihr bisschen Bindearbeit ganz schön aufkommen lässt, und für den man sich lieber selber ein Stündchen an den Münzkopierer der Unibibliothek stellt und den Stapel dann zum Copyshop trägt. Mitnichten erhältlich sind Der Geheimnisvolle von E.T.A. Hoffmann, Isle of the Cross von Herman Melville, Das Kind und die Stadt von Franz Kafka und Clemens von Thomas Mann, wofür aber kein heutiger Verlag etwas kann. Das Trauerspiel dabei ist ja: Wenn einem nach hundert Jahren endlich doch noch die Abflussrohre unter dem Kellerboden wegrosten, müssen auch auf einmal ein paar Tausend für nix da sein.

So hätte das bestimmt Kathrin Passig als Studentin gehalten, als sie noch Bücher gekauft hat, statt ihnen als überzähliges Material, das sich gerade noch bedingt zur Wanddämmung eignet, zugunsten unkopierbarer Textdateien, die auf einem Fernsprechapparat gespeichert werden, Hausverbot zu erteilen. Und ich hätte Dosenbier gekauft — hab ich wahrscheinlich sogar, meine Erinnerung an diese Zeit verschwimmt vor allem in den Teilen, welche die Wochenenden anbelangen. Aber damals war sogar ich noch cool.

PPS: Gibt es eigentlich Buchhändlerwitze? “Ein Grossist heißt nicht Großist, weil er groß ist” oder so?

Überdachtes München

Kaum liegen die Trümmer des Elendsjahrgangs 2015 hinter einem, freut man sich endlich auf seine überdachten Städte — und prompt hat sich längst herausgestellt, dass einem das Klima auch ohne ein paar Tonnen Plexiglas überm Kopf zusammengebrochen ist. Freut man sich auf seine fliegenden Autos, stellt sich bei jeder Ansammlung von Kohlköpfen heraus, dass der Hubschrauber schon von spätestens 1490 stammt. Freut man sich darauf, dass die Autos wenigstens von selber fahren und man nicht andauernd überall mit hinmuss, will keiner mehr eins haben. Freut man sich auf seinen Bedienroboter, stellt sich heraus, dass der gar nicht für mich arbeiten gehen kann und wahrscheinlich trotzdem mehr frisst als zwei biologisch-analoge Kater zusammen. Freut man sich auf die Besiedlung des Mondes, stellt sich heraus … siehe “überdachte Städte” — wobei man gerade München dringend viel gründlicher überdenken sollte.

Besonders leichtsinnig — oder sagt man lieber: leichtherzig, das klingt optimistischer, und das soll man doch immer — hat sich die Münchner Polizei verhalten: Bei ihren Neujahrsgrüßen am Silvesterabend haben sie sich noch gezeigt, wie sie eine nicht näher identifizierte Tschador-Braut an der Isar dingfest gemacht haben, die bis weit nach Mitternacht nicht zurückzunehmende Warnung vor einem Terroranschlag seitens sieben namentlich bekannten Irakern vom IS sollte aber schon am Mittag reingekommen sein — “vom amerikanischen Geheimdienst“.

Eigentlich ist schon wurschtegal, wie scheiße die Welt noch wird; an Silvester wird einem garantiert doch wieder reingedrückt, dass wir wenigstens viel gelernt und wie wir dabei gerockt haben.

Soundtrack: Veronica Falls: Waiting For Something To Happen,
Slumberland Records 2013.

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