Als Kathrin Passig, die grande vieille dame des Webloggens (ich darf das sagen, ich bin der Ältere) noch cool war, was nach ihrem Bachmannpreis nachgelassen hat und sich deshalb auf 2006 festlegen lässt, konnte sie außer Entbehrlichem wie One-Rope-Bondage, Fußfetischismus oder dem Beschriften von Backup-CDs immerhin auch Bücher als Geldanlage empfehlen.

Gut, das war 2001, da wurden Gegenstände und Dienstleistungen sowieso noch gegen Geld gehandelt. Seit das meiste Geld dem Umlauf entzogen wurde, ist mit Büchern das passiert, was Frau Passig 2001 dem Elektroschrott bescheinigt hat: Da muss man sogar die — selbstverständlich ehrenamtlich ihre Tagesfreizeit hinbringenden — Hausfrauen bei Oxfam anbetteln, dass sie einem das ganze Altpapier als “Bücherspende” abnehmen.

Seit 1985, als das Ding erschienen ist, spare ich auf die erste und einzige vollständige — und vor allem: anständig kommentierte — Ausgabe Phantasus von Ludwig Tieck. Vor 31 Jahren hat dieser sechste von zwölf Einzelbänden der Gesamtausgabe 198 D-Mark gekostet, seit dem Zusammenbruch der europäischen Währungen 2002 kostet er 102 Euro; man kann also gar nicht sagen, dass er in über einer Generation wesentlich teurer geworden wäre. Leider ist die Leinenausgabe in einen durchsichtigen, dennoch hässlichen Plastikeinband gewandet, was dem geschätzten Erdölaufwand einer Fahrt mit einem VW durch die Euro-Zone entspricht, und dann am Ende noch bei dem verführerisch naheliegenden Amazon.de, also überhaupt nicht zu verantworten ist.

Es muss deshalb heutzutage die streichelweiche Lederausgabe sein, für 164 Euro. Dafür kriegen Sie den in literaturwissenschaftlicher Pionierarbeit erschlossenen zuverlässigen, maßgeblichen Text, “nach Erstdrucken ediert, die wichtigen Abweichungen von den Handschriften und der von Tieck selbst veranstalteten Gesamtausgabe werden im Kommentar ausgewiesen. Erstmals werden die Texte durch grundlegende Kommentare erschlossen”, auf über 1500 Seiten alleredelsten, bei Schoeller & Hoesch eigens für die Bibliothek entwickelten alterungsbeständigen Dünndruckpapiers, in rotes Leder gebunden (man korrigiere mich, aber es müsste Schaf sein) und im vertrauenerweckend stabilen Schuber, und bei der einzuschätzenden Drehzahl sollte es mich nicht wundern, wenn Sie bis heute bei Verlagsbestellung aus der Erstauflage bedient werden. In dieser Art ist jeder Band der Bibliothek Deutscher Klassiker: leider. Jeden. Cent. Wert.

Die 164 sind der Neupreis. Sollte ich Sie also gerade zu einer mittelgroßen Geldanlage animieren, dann möglichst nicht ausgerechnet bei Amazon.de: Wenn Sie das Ding ohne Aufpreis und diskutierwürdigen Premium-Status auf den nächsten Tag in einem kuschligen Buchlädchen bestellen, kriegen Sie wahlweise vom Inhaber oder der hübschesten Azubine auf den Mund geschmatzt oder wenigstens die Tür aufgehalten. Was die 164 vormals in D-Mark waren, hat mich anno 1985 gar nicht groß interessiert: Damals wäre ich mir sogar vermessen dabei vorgekommen, die Bierdosen mit 0,33 statt der im im Literpreis effizienteren 0,5 Liter wegzulitern.

Gebraucht gibt’s die Lederausgabe schon mal um 95 Euro, die im Laufe des Klimawandels indiskutabel gewordene Leinenausgabe für 65. Für einen 47-Jährigen wie einen ehemals 17-Jährigen immer noch ein Haufen Holz für 1500 Seiten angehendes Altpapier, das ich bei meinem Lebenswandel vielleicht noch 20 bis 30 Jahre ausnutzen kann, wofern weder meine Sehkraft noch mein Auffassungsvermögen wesentlich nachlässt, und auf das meine mir persönlich bekannten Erben garantiert keinen Wert legen werden.

PS: Der Diels/Kranz ist genauso theoretisch erhältlich: alle drei Bände, zweisprachig, in halbwegs ordentlichem Zustand bei Amazon.de ab 182 Euro, bei anständigen Leuten für 200 aufwärts. Noch theoretischer gibt’s Die Gelehrtenrepublik von Klopstock: als abkopierten Nachdruck eines nicht näher ausgewiesenen Fraktur-Schinkens von einer amerikanischen Klitsche, die einen für ihr bisschen Bindearbeit ganz schön aufkommen lässt, und für den man sich lieber selber ein Stündchen an den Münzkopierer der Unibibliothek stellt und den Stapel dann zum Copyshop trägt. Mitnichten erhältlich sind Der Geheimnisvolle von E.T.A. Hoffmann, Isle of the Cross von Herman Melville, Das Kind und die Stadt von Franz Kafka und Clemens von Thomas Mann, wofür aber kein heutiger Verlag etwas kann. Das Trauerspiel dabei ist ja: Wenn einem nach hundert Jahren endlich doch noch die Abflussrohre unter dem Kellerboden wegrosten, müssen auch auf einmal ein paar Tausend für nix da sein.

So hätte das bestimmt Kathrin Passig als Studentin gehalten, als sie noch Bücher gekauft hat, statt ihnen als überzähliges Material, das sich gerade noch bedingt zur Wanddämmung eignet, zugunsten unkopierbarer Textdateien, die auf einem Fernsprechapparat gespeichert werden, Hausverbot zu erteilen. Und ich hätte Dosenbier gekauft — hab ich wahrscheinlich sogar, meine Erinnerung an diese Zeit verschwimmt vor allem in den Teilen, welche die Wochenenden anbelangen. Aber damals war sogar ich noch cool.

PPS: Gibt es eigentlich Buchhändlerwitze? “Ein Grossist heißt nicht Großist, weil er groß ist” oder so?