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Monat: November 2022

Zur Wertschätzung von Frau Frang

Update zu Fuck Yes
und To all those who have lived and died alone:

Fast wäre Vilde Frang Bassistin geworden. Doch das Auto war zu klein

Das Cover ihres Debütalbums zeigt Vilde Frang in einer grünlich schimmernden Waldszene. Auch in natura wirkt die 24-Jährige ein bisschen wie eine nordische Elfe: der helle Teint, das gewellte Haar, das bis auf die Hüfte fließt, die dunklen Augen. Und ihr Spiel hat ebenfalls einen zarten, zerbrechlichen, transparenten Klang, der an Fabelwesen denken lässt.

Oda Tischewski: Mit der Geige Brücken bauen, concerti, 23. Januar 2012.

Ihr ungebändigtes Haar und das perfekte Oval ihres Gesichts verleihen Vilde Frang eine gewisse Feenhaftigkeit, das ist bis heute so.

Verena Fischer-Zernin: Vilde Frang ist halb Wunderkind, halb Weltstar,
Hamburger Abendblatt, 14. Juni 2016.

Mal was Schönes: In letzter Zeit fällt, wenn man ihr genug hinterherspürt, die junge Frau Vilde Frang aus dem Norwegischen auf.

Ihr Opus entsteht seit 2009, bislang neun CDs stark, und ähnelt in Auswahl und Qualität dem der bekannten, in jeder Hinsicht vergleichbaren Hilary Hahn, aber machen wir uns nix vor: Kein Mensch hat jemals der einen oder der anderen verstärkt zugehört, bloß weil sie so viel toller geigt als jemand anders. Wenn man dann noch Epiphanien wie Patricia Kopatchinskaja, Lisa Batiashvili, Janine Jansen, Julia Fischer, Isabelle Faust und wie sie alle heißen dazuvergleicht, wird es allerhand mit Optik zu tun haben.

Bei allem Sympathievorschuss für den Menschenschlag des herausgewachsenen Nordmannmädchens Frang finde ich aber schon, dass deren CD-Mixe anständig kuratiert sind: nicht irgendwas zusammengepappt, bloß weil es (nicht) zusammenpasst, sondern wenigstens mit dem Versuch einer Dramaturgie. Genauer und selbsterschlossener wird’s unsereiner ohne Musikstudium nie haben können; man muss die Leute vielleicht doch erst gesehen haben, bevor man ihnen zuhören will. Und das sagt noch einer, der sehenden Auges (sic) Sviatoslav Richter und Wanda Landowska (beide am Tastenmöbel) ganz ordentlich findet. Die Frangsche hat immerhin in bisherigen Karriere meine alten Lieblinge des Tschaikowskischen Violinkonzerts D-dur opus 35 und die Sinfonia Concertante von Mozart an neues Licht gehoben, mich für Paganini interessiert und kann den alten Geigenmuckel vom Erlkönig von Ernst, vulgo Grand Caprice für Violine allein opus 26, “Der Erlkönig”, so vernehmlich schneller und sauberer als die Hahn, dass es auch unsereins hört.

Wie Frau Frangs Line-ups auf ihren neun CDs beschaffen sind, kann man mit einer gewissen bürgerlichen Bildung gerade noch einordnen; ein Werturteil über die eine oder andere Interpretation traue ich mir weit weniger zu, ich kann ja nicht mal die Goldberg-Variationen mitpfeifen. Mit der Frang kann man sich immerhin bildlich vorstellen, ein Bier an der Theke einzuschnaufen, welche Qualität bei Hahn oder Batiashvili schon langsam ihre Grenze findet.

Und dann das: Wer bitteschön bezahlt mir – oder auch bloß sich selber – Vilde Frang am 29. März 2023 in der Isarphilharmonie, mutmaßlicher Stehplatz hinterm Pfosten mit mit Meet and Greet bei der Garderobiere ab 44,50, wünschbare Tickets 95 bis 110 Öcken? Ach, ist ja wurscht, die wissen eh heut schon, was die Frontlady in einem halben Jahr vorzufiedeln hat, und dann sind es Elgar und Prokofjew mit einem gewissen City of Birmingham Symphony Orchestra, das man vielleicht gehört haben muss oder vielleicht nicht, und für die zweimal Eintritt krieg ich das Gesamtwerk von Elgar und dem Protokopf gleich mehrmals raus. Oder alle neun CDs von Vilde Frang, falls heute noch jemand dergleichen gegen Geld erwirbt.

Frau Frang selbst ist ein grundlegend mädchenhafter borealer Jeanstyp junonischer Statur, was in diesem Fall endlich mal kein Euphemismus für “zu fett” ist. So begünstigt muss man von der Schöpfung nämlich erst mal sein, um grüne Schlauchkleider ohne Verlust der Menschenwürde vorzuführen:

Vilde Frang live mit Michail Lifits:
Gabriel Fauré: Sonate für Violine und Klavier Nr. 1 A-Dur, opus 13:

Bonus Track: der alte Geigenmuckel vom Erlkönig von Ernst,
vulgo Grand Caprice für Violine allein opus 26, “Der Erlkönig”:

Tiny Wee Hours

Das Beste vom Tag sind ja die Stunden zwischen 4 und 7 Uhr. Manchmal schon ab 3, in stillen Gegenden auch bis 8 Uhr, aber es ist immer diese aus dem Kalender gefallene Zeit, in der die Welt bei sich ist. Da haben die Lumpereien der Nacht schon aufgehört und die des Tages noch nicht angefangen, und man muss es sich immer ein bisschen verdienen, das mitzuerleben, egal ob man schon oder noch auf ist.

Außer man ist Bäcker oder Fernfahrer, logisch. Gestern war ich ein Blässhuhn. Auf meinem nächtlichen Flug über die Stadt hab ich mich inmitten einer Horde Fulica atra niedergelassen; ihr Wachposten ließ mich gewähren und schüttelte kaum überrascht sein störrisches Gefieder.

“Warum haben wir Wachposten?” fragte ich, “sind wir im Krieg?”

“Nicht so laut”, flüsterte der Posten, “du meinst, ob wir gegen jemanden kämpfen, so wie die Senkrechten?”

“Ja, blöd, wie die sind”, beeilte ich mich.

Der Posten schielte misstrauisch herüber. “Keine Ahnung, wie tief eine Tierart sinken muss, um gruppenweise gegen ihresgleichen vorzugehen”, sagte er, “Aber momentan pass ich auf Falken und Füchse und Wiesel auf.”

Ein friedliebendes Volk, immerhin. Also fasste ich mir das Herz zuzugegeben: “Du musst mir nachsehen, ich bin gar kein Blässhuhn.”

“Ach, nicht?”

“Meistens muss ich als Mensch unterwegs sein, ich flieg heute zum ersten Mal. Ich lern bloß was dazu. Nachtsicht und so.”

“Erstaunlich”, sagte der Posten, “sonst probieren’s die Menschen immer zuerst als Schwäne. Dann mal los, du bist dran”, und ließ mich als Wachposten stehen.

Sag ich ja, dass man sich die Uhrzeit verdienen muss.

Soundtrack: Sandy Denny für Fairport Convention: Fotheringay,
aus: What We Did On Our Holidays, 1968:

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