Der Kater bloggt.
Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein. F. K. Waechter
Trotzdem malt mein Ostertier unentwegt:
Karfreitagliche Grüße
Der Kater
Bewirtschaftet von Vroni und Wolf
Der Kater bloggt.
Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein. F. K. Waechter
Trotzdem malt mein Ostertier unentwegt:
Karfreitagliche Grüße
Der Kater
Der Kater bloggt.
Dumme Gedanken hat jeder, aber der Weise verschweigt sie. Wilhelm Busch
Heute ist Feiertag in Bayern. Die Heiligen drei Könige, die einem neu geborenen Kind kostbare illegale Substanzen überreichten, sind wieder da und knuten die Christbäume aus dem Fenster.
Dabei waren sie ehedem gar keine Könige, sondern Weise. Magier, vielleicht Mathematiker, Astronomen, wissenschaftliche Elite. Sie folgten einer Sternenkonstellation und dem Kometen, der eine bedeutende Zeitenwende anzeigen sollte. Es ist auch nicht geklärt, ob es wirklich drei waren – es gibt sehr frühe Darstellungen mal mit zweien, mal mit fünfen.
Wollen wir an diesem Tag der Weisheit und der demutsvollen Suche nach Erkenntnis huldigen. Sie sind heute ein knappes Gut in der Welt.
Gruß
Der Kater
Zweite Woche krank:
Vermutlich existiert mein
Sterbebildchen schon.
“Müssen die heute nicht biometrisch sein?”
“Wozu sollten sie?”
“Weiß nicht. Weil Petrus auf kontaktlosen Self-Check-in umgestellt hat vielleicht?”
“Das könnte dir so passen. Keine App, kein Ableben, gell?”
“Heißt das, ich muss dich noch so lange aushalten, bis du dich zu einem Smartphone bequemst?”
“Hauptsache, du verwendest nicht mein Passbild.”
“Dass ich so durchschaubar bin.”
Soundtrack: Fury in the Slaughterhouse:
aus: When I’m Dead and Gone, aus: Mono, 1993:
Version 2:
Altötting leuchtet. Der frühe Städtetourist schaut dem Kapellplatz beim Aufwachen zu, der Himmel darüber hat vor lauter Freude über das allgemeine Wiederauferstehen in seinem Weiß-Blau sogar die weißen Wölkchen vergessen, bis auf ein einziges Schäfchen. Die Devotionalieneinzelhändler um die Gnadenkapelle herum entzünden an ihren Auslageständen mindestens vier Sorten Weihrauch, damit auch der weltlich orientierteste Pilger gleich erschnuppert, wo er hingeraten ist. Riecht gar nicht schlecht, nach Frühmesse, Gratis-Mitbenutzung legaler Psychedelika und Ausräuchern aller Sünden.
Ich verlaufe mich in den historischen Gässchen ums Zentrum. Man geht hier nie lange verloren, an jeder Ecke wartet eine Kirche, die man schon seit dem Bahnhof (Bahnhof des Jahres 2020!) von den Wegweisern beim Vornamen kennt. Die meisten davon sind schon fleißig befasst mit ihrem wochentäglichen Gottesdienstprogramm. Jede Rosenkranzandacht findet genug Fans, die den Rosenkranz auswendig können, dass man ihr Gemurmel bis draußen hört.
Die Straßen und Kirchvorplätze gehören noch den Devotionalienhändlerinnen mit anscheinend heidnischen Hintergründen und mir leider etwas weltlich orientiertem Pilger. Ich betrachte die Auslagen aus geweihten und selbstständig zur Weihe vorzuführenden Kerzen, Repliken der allgegenwärtigen Schwarzen Madonna in allen Größen, Klosterlikören der weltoffensten Provenienz, kunsthandwerklichen Gegenständen ortsansässiger Hausfrauen und Nonnen, Pilgerbier als Sixpack in Bügelflaschen, erbaulichen Spruchweisheiten aller Weltreligionen, solange sie tief genug im allgemeingültig Vagen verharren, um dem römisch-katholischen Glauben nicht geradewegs zu widerspechen, und Grünen Skapulieren vom Unbefleckten Herzens Mariens. In der soeben ihre Pforten aufschließenden St.-Antonius-Buchhandlung erwäge ich den Kauf des dreibändigen Lexikons der Heiligen und Heiligenverehrung, Herder 2003, aber für den Verlagspreis hätte ich es wenigstens gesegnet haben wollen; siehe auch: avaritia; acedia.
Die jungische Sintiza im wehenden Leinenmantel mit dem schlaffen Einkaufsbeutel läuft mir schon die dritte Altstadtgasse lang in einigem Abstand hinterher.
“Spende bitte!” ruft sie mir von hinten zu, “Spende, bitte Spende!”
“Gehen Sie halt ein bissel näher an die Hausmauern”, sag ich, “die spenden Schatten.”
Sie versteht gut genug Deutsch. Ihr Abstand vergrößert sich.
“Ja, ja!” schreit sie mir hinterher, “ja, ja! Jesus Christus! Ja!”
Gut gegeben; ich grinse anerkennend in mich hinein, damit sie sich nicht ausgelacht fühlt. Woher kann sie denn auch wissen, dass Pilgernde meines Schlages in so sakraler Umgebung nicht ihren Herrgott feiern, der sich schließlich allüberall finden lässet, sondern Folklore gucken gehen.
Ich gehe in Kirchen unterschiedlicher Widmungen und Baustile mein Kreuzlein schlagen und vor allem ins seit Jugendtagen anvisierte Jerusalem-Panorama “Kreuzigung Christi”, das mich mein Tagesbudget Eintritt kostet (4,50 Euro), vergesse auch einen Abstecher ins drei Kilometer beiseite liegende Neuötting nicht, verzehre vor der dortigen Nikolauskirche zwei mitgebrachte Äpfel und ein Dextro Energen, weil Verschwendung keine geringere Sünde wäre denn Habsucht, und mache mich auf den Rückweg zum Bahnhof des Jahres 2020.
Der russisch geführte Supermarkt namens R·markt in der Bahnhofstraße hat regionale Äpfel für 99 Cent das Kilo, ich muss also rein, damit ich nicht mit noch leereren Händen heimkomme, als ich weggefahren bin. Es gibt auch Salzgurken aus kaukasischer Rezeptur und etwa fünfzig Kühlregalmeter sehr unterschiedlich gewürzter Speckseiten.
Auf der Straße wartet die jungische Sintiza im wehenden Leinenmantel mit dem prallvollen Einkaufsbeutel.
“Spende bitte!” sagt sie, “Spende, bitte Spende!”
“Ja, ja”, sag ich, “Jesus Christus.”
Sie erkennt mich. Leider haben wir alle vier Arme voll zu schleppen, darum lächeln wir nur und verneigen uns voreinander im tiefsten Respekt.
Altötting leuchtet.
Soundtrack: Vagabon featuring Courtney Barnett: Reason to Believe, 2021:
Das hört man ja immer wieder, dass Katzen in der Bibel nicht vorkommen; selbst ich musste mich schon mühsam zu Fuß auf den Wanderweg ins Kloster Schäftlarn machen, um eine der seltenen Katzendarstellungen in einer Kirche zu dokumentieren. Wir berichteten an geeigneter Stelle.
Fast ebenso selten hört man begründeten Einspruch. Nach meinen eigenen kontrastiven Forschungen kommt ein Tier, das unserer rezenten Hauskatze am nächsten kommt, nur einmal im Buch Baruch vor, das zu den Apokryphen zählt und nicht von allen christlichen Splitterparteien anerkannt wird und daher nicht in allen Bibelausgaben vorkommt. In Baruch 6, 19–22 sind die Gesichter der falschen und damit missbilligten Hausgötter rußgeschwärzt vom Rauch im Hause, weswegen sich Fledermäuse, Schwalben und andere Vögel und – Jehova bewahre – sogar die Katzen auf ihnen niederlassen. Sonstige, dafür recht häufige Stellen sprechen entweder spezieller von Löwen oder allgemeiner von Wüstenbewohnern oder allem, “was auf Tatzen geht unter den Tieren”. Egal nach welcher Bibelübersetzung oder Luther-Version kommt Felis catus tatsächlich nicht vor.
Der häufigste begründete unter den Einsprüchen war eine angebliche Bibelstelle, die sehr viel mehr an die Heiligenlegenden erinnert, in denen Jesus und Petrus über die deutschen Dörfer der frühen Neuzeit ziehen, um Wunder zu wirken, und die oft recht putzig sind, denn ans Neue Testament, und wenn’s nur wegen der aufblitzenden Jüngerin namens Lorenza wäre. Die Geschichte weist sich etwas widerspenstig nach, ist aber zu schön, um sie nicht anzuführen. Sie nimmt offenbar ihren Ursprung beim Drei Eichen Verlag in Edmond Székely: Heliand. Evangelium des vollkommenen Lebens, Drei Eichen Verlag, Radebeul 1937 ff., Kapitel 34,7–10 unter der Überschrift Wiederverkörperung:
34/7) Jesus kam in ein Dorf und sah dort eine kleine Katze, die herrenlos war, und sie litt Hunger und schrie zu Ihm. Und Er nahm sie hoch, hüllte sie in Sein Gewand und ließ sie an Seiner Brust ruhen.
8) Und als Er durch das Dorf ging, gab Er der Katze zu essen und zu trinken. Und sie aß und trank und zeigte Ihm ihren Dank. Und Er gab sie einer Seiner Jüngerinnen, einer Witwe mit Namen Lorenza, und sie sorgte für sie.
9) Und einige aus dem Volke sagten: “Dieser Mann sorgt für alle Tiere. Sind sie Seine Brüder und Schwestern, dass Er sie so liebt?” Und Er sprach zu ihnen: “Wahrlich, diese sind eure Mitbrüder aus der großen Familie Gottes, eure Brüder und Schwestern, welche denselben Atem des Lebens von dem Ewigen haben.
10) Und wer immer für einen der kleinsten von ihnen sorgt und ihm Speise und Trank gibt in seiner Not, der tut dieses Mir, und wer es willentlich duldet, daß eines von ihnen Mangel leidet, und es nicht schützt, wenn es misshandelt wird, lässt dieses Übel zu, als sei es Mir zugefügt. Denn ebenso wie ihr in diesem Leben getan habt, so wird euch im kommenden Leben getan werden.”
Gern geschehen, miau.
Soundtrack: The Bridge City Sinners – übrigens live in München am Dienstag, 26. Juli 2022 ab 20.30 Uhr im Unter Deck am Oberanger gegenüber der Synagoge –: Connie Vannett: Pussy Cat, 1976, aus: Bridge City Sinners, 2016:
I never been to the Blue Mountains but I’ve been there in a song.
Never have I loved like this one – it just keeps rolling on.
And I never been hit by lightning but I know that life is long.
I never been to the Blue Mountains but I’ve been there in a song.And I see the wine and the fire in you,
I see the mountains blue.And I never killed a man and I never robbed a train,
Never had a deep thought when I’m walking in the rain.
And I never lit a holy candle and wished my life would change,
I never wished for anything outside this mountain range.Peter Doran & Haley Heynderickx: Blue Mountains, aus: Voices, 2021.
“Die Hoffnung stirbt ja zuletzt”, meint Vroni.
“Ja”, sag ich, “das ist ja das Perfide dran.”
Soundtrack: a. a. O., 2021:
Buidl: Sejwa gmacht, schenk i Eahna, bassd scho.
Man hat immer die Auswahl: Entweder früh beizeiten losgehen, wo noch der Vollmond über Thalkirchen thront, damit man den Mandarinenten auf dem Tümpel Richtung Schloss Schwaneck beim Aufwachen zuschauen — und zuhören! — kann, oder so spät, dass in Schäftlarn schon der Klosterladen offen hat (Mittwoch bis Samstag 14 bis 17, Sonn- und Feiertage 11 bis 17 Uhr), damit man einem zum Strafdienst verdonnerten Internatsinsassen ein Pfund Honig abkaufen kann.
Diesmal war’s die Frühversion:
Das Kloster steht seit anno salutis 762 und hoffentlich noch ein paar Tage; meine eigenen liebsten Dokumentationen waren Von München bis Venedig (fast) mit den meisten, seit 2010 leider deteriorierten Bildern, und Zwei Klavier-Trios und zwei Violoncello-Sonaten mit der besten Begründung, warum man sowas gelegentlich machen muss.
Maria Rast spricht sich beiläufig mit kurzem a, weil es sonst das Gegenteil hieße, und bringt momentan den Anfang des beliebtesten aller Psalmen in etwas fragwürdiger, dazu noch allzu verletzbarer, aber höchst ansprechender Umsetzung. Offenbar haben die Eichkatzeln schon drei Kiesel entführt:
Herr ist mein hirte mir wird nichts mangeln
weidet mich auf einer aue und führet mich zum frischem wasser
psalm 23
Sic, Schreibung wie in Maria Rast vorgefunden. “Mir wird nichts mangeln” — außer Honig halt. Man hat immer die Auswahl.
Soundtrack: Cellosonate op. 102 Nr. 1 mit Sviatoslav Richter und Mstislav Rostropovich, live ca. 1961–1963, von Beethoven für die auf dem Schäftlarner Klosterfriedhof begrabene Marie von Erdődy 1815:
Nachdem ich schon anno 2015, als ich noch nicht zu faul war, nach dem Einsetzen aufgeladener Akkus das Datum an der Kamera frisch einzustellen, unter Einsatz meiner morschen Gebeine und ebensolchen Wanderschuhsohlen eine der ganz wenigen Katzendarstellungen in den Kirchen der weltumspannenden Christenheit zu dokumentieren die Gelegenheit ergriff — das Halbrelief eines weitgehend nackigen kleinen Buben, der mit einer Katze spielt, indem er ihr einen großmächtigen Zapfen Wurst anbietet, mithin ein Bild des Friedens, der Eintracht und der Wohltätigkeit, im Sockel des Taufbeckens, wenn man reinkommt links auf halbem Weg zum Hochaltar, an der lichtabgewandten Wandseite, wo es nicht heller wird, außer man fragt den Pfarrer, ob man’s besser ausleuchten darf, falls man sich auf sowas versteht, und damit das Bild aus meiner spärlichen Bilderproduktion, auf das ich möglicherweise am stolzesten von allen bin — bleibt mir nur noch die Dokumentation der Weisheit der Straße, vulgo Streetsmartness.
Das Weise an dem Graffito, wie jeder auch nur halbwegs Weise bemerken wird, ist selbstverständlich seine lakonische Stringenz und seine seit 2018 nur noch stetig angewachsene Nützlichkeit. Wobei mir einfällt: Die Einladung zu einem Schäufele im Klosterbräustüberl Schäftlarn, die ich anno 2015 ausgerufen hab, falls jemand weiß, wo sich die Katze in der Klosterkirche rumtreibt, fällt damit natürlich automatisch aus, weil ich’s jetzt nach über fünf Jahren selber verraten hab, obwohl sie den Laden “voraussichtlich” am 1. Dezember wieder aufsperren.
2020, schreiben sie dazu. Das ist ebenfalls weise, weil sie ja dann immer am 2. Dezember bloß die letzte Ziffer an der Jahreszahl ändern müssen.
Buidl: Selbergmacht, schenk i Eahna, 7. Januar 2018.
Soundtrack: Hildegard von Blingin’: Creep, medieval and fantasy inspired, 10. Juni 2020:
(Wenn ich tot bin, mir soll mal Einer mit Auferstehung oder so kommen : ich hau ihm Eine rein !)Arno Schmidt: Brand’s Haide, 1951.
Diese Woche gelernt: Die Bargfelder Ausgabe von Arno Schmidt ist seit seinem 105. Geburtstag um 14.00 Uhr endlich im Volltext durchsuchbar, und wenn man Krebs hat, soll man sorgfältig auf seine Eisen- und Kaliumwerte achten — nach aufsteigender Wichtigkeit oder absteigendem Gaudifaktor, je nach verbleibender Lebenszeit.
Ich bin nicht
zu alt um
alles zu tun
was man mir
sagt ich bin
nur zu jung
um damit aufzuhören.
Soundtrack: Iris DeMent: Leaning on the Everlasting Arms, 1887, aus: True Grit, 2010:
https://youtu.be/UVuAqLTmvFY
Der KATER berichtet
Der Baum des Wissens ist nicht der des Lebens.
Der Baum
Der kühne Blick
Die Tat
Wenigstens einmal im Leben will man ein bissel eine Gaudi haben. Zur eigenen Beerdigung wäre das wohl keinen Tag zu früh. I put the fun into funeral und hab vorsichtshalber schon My Funeral Playlist zusammengestellt, nicht dass die Bedienung meinen Leichenschmaus mit höhenlastigem Classic Ambient aus ihrem Telefon beschallt.
Wie könnte man wohl die Feierlichkeiten zu fünfhundert Jahren Reformation und Martin Luthers Verdienste um die Gefährdung des Weltfriedens geeigneter begehen, als indem man endlich Hebräisch lernt?
Eben: gar nicht. Die üblichen über Thüringen und Sachsen-Anhalt verteilten Lutherstädte wollen zehn Jahre gebraucht haben, alle Bratwurstbuden und Mehrzwecksäle mit dem Nötigsten zu bestücken, um zu vermitteln, dass man die Bibel sogar im Internetz lesen kann und dass Katholen auch Menschen sind, vielleicht sogar die Juden — was nicht einmal dem Doctor Luther jemals einer vermitteln konnte. Weiterlesen
Schon wahr: Ich werde auf dem Sterbebett nicht denken: Ach, wenn ich doch damals zwei, drei Stündchen länger an dem einen Blog-Eintrag rumrecherchiert hätte.
Leider bin ich ziemlich genau der drittlangweiligste Teigbatzen von ganz München. Zum Vergleich: Der zweitlangweiligste soll in Großhadern auf der Komastation liegen, der langweiligste soll mal bei Pro7 moderiert haben.
Was mir Angst macht, sind die Tage, an denen ich zufällig mal nicht auf dem Sterbebett liege.
Soundtrack. Bach: Solokantate Ich habe genug, BWV 82, Leipzig 1782.
Anspieltipp: Aria Nr. 5: Ich freue mich auf meinen Tod (in der Aufnahme mit dem stilechten Countertenor ab Minute 20:32:
Im evangelischen Brauchtum heißen die Sonntage zwischen Ostern und Pfingsten der Reihe nach: Quasimodogeniti, Misericordias Domini, Jubilate, Kantate, Rogate oder Vocem jucunditatis und Exaudi. — Eine typische musikalische Begleitung dazu sind die geistlichen Kantaten des verstorbenen Protestanten Johann Sebastian Bach — beispielsweise diejenigen zum Sonntag Jubilate: Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen, BWV 12 von 1714, Ihr werdet weinen und heulen, BWV 103 von 1725 und Wir müssen durch viel Trübsal, BWV 146 von 1726.
Im katholischen Brauchtum heißt die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten “zwischen Ostern und Pfingsten” und dient dazu, die ersten Frühlingskirchweihen abzufackeln, damit jedes Kuhkaff, das sich eine Kneipe leisten kann, einen Schnitt macht, und damit die städtischen Kahlfresser pro Sonntag bis zur Fürther Michaeliskirchweih im Oktober nicht mehr als drei bis vier Kirchweihen wegfeiern müssen, wenn sie auf jeder mindestens drei Maß Bier auflesen wollen. — Eine typische musikalische Begleitung dazu sind Lieder wie “Wou is denn des Gerchla? Gerchla is fei net dahamm. Gerchla is auf Kerwa, frisst die ganzen Bratwürscht zam”, “Und der Pfarrer von Speyer hat gläserne Eier. Wos maanst, wie des klimpert, wenn der aane pimpert?” und “Zwetschgakern, Zwetschgakern, Maadla, lou dei Bumbl schern“.
Discuss.
Veganer Bonus Track:
Angenommen, dass Post reinkommt von einer bedeutenden Anstalt des öffentlichen Rechts, etwa von einem großen bayerischen Rundfunk, nehmen wir an, des Wortlauts:
Sehr geehrter Herr Wolfster [Name geändert],
für einen Radiobeitrag über Luther und die Alltagsprache suchen wir einen Werbetexter als Interviewpartner, der ausprobieren möchte, ob typische Lutherzitate (“Hier stehe ich, ich kann nicht anders!”) auch heute als Werbetext funktionieren.
Falls Sie Interesse haben, können Sie mich gerne kontaktieren.
Mit freundlichen Grüßen,
[Name]
[Firma]
Religion und Orientierung
Angenommen, sagte ich, dass solche Post reinkommt, was sagt man da bloß? — Zum Beispiel wird man irgendwas zwischen dienstlich, freundlich und satirisch und sagt:
Sehr geehrte Frau [Name],
das ehrt mich, dass Sie da auf mich kommen.
Leider bin ich als Werbetexter eine zu kleine Nummer, um zu entscheiden, ob ein Werbetext funktioniert oder nicht. Was Werbezielkontrolle ist, wissen Sie besstimmt besser als ich; ich arbeite ja nur kreativ.
Das bedeutet, ich liefere nur Texte, die bestellt werden, und möglichst genau so, wie es vom Kunden gesagt wird, genau das wird bezahlt. Für mich hat ein Werbetext dann funktioniert, wenn ich ihn an einen Kunden verkaufen konnte, mit fachlichen Erwägungen, gar der Hoffnung, dass der bezahlte Werbetext dem Werbekunden (nicht zu verwechseln mit der Zielgruppe “Endverbraucher“) nützen könnte, hat das nicht zwingend etwas zu tun.
Ehrlicherweise wird Ihnen da kein Werbetexter etwas anderes erzählen können. Ich selbst kann Ihnen recht zuverlässig voraussagen, dass ein Werbetext, der Lutherzitate verwendet, an keinen Werbekunden zu vermitteln ist (außer für die letzten freien Fremdenzimmer in Eisleben, Wittenberg und Eisenach o. ä., und das nur noch bis ca. Ende August, wg. Druckvorlaufzeiten). Wenn schon Zitate, dann muss die Idee dazu vom Werbekunden stammen und typischerweise die bewährten Bonmots von Oscar Wilde und Coco Chanel verwenden.
Damit will ich nichts gegen den Dr. theol. Luther gesagt haben, der es als hoffentlich einziger ausgewiesener und praktizierender Antisemit zu unseren privaten Hausheiligen gebracht hat (o Gott, wenn er das wüsste…). Für die Nachprüfung meiner 8. Klasse Gymnasium musste ich die Bedeutung der Lutherschen Bibelübersetzung nachweisen, um nicht Bayerns einziger Schüler zu werden, der wegen Geschichte sitzen bleibt. Das hat funktioniert, allein deswegen bin ich dem Manne zu Dank verpflichtet.
Angeblich soll sich die 2017er Bearbeitung der Lutherbibel wieder Luther angenähert haben, bei Hugendubel geprüft habe ich das noch nicht. Es wäre ihm aber zu wünschen, weil alle Bearbeitungen seit 1912 nur noch ein Graus waren, was sich auf Wunsch belegen lässt. Wo immer es geht, verwende ich Letzte Hand 1545, wo es jemand verstehen soll, meine alte Senfkornbibel, die eine 1984er Revision ist. Hilft ja nix.
“Habe ich nicht genug Tumult ausgelöst?” Das soll von Luther sein, ist aber zur Zeit nur von Günter Scholz, C.H. Beck 2016 nachweisbar. Soviel zu Lutherzitaten.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Suche und würde durchaus gern erfahren, wann ein Ergebnis gesendet wird: Radio rockt.
Mit freundlichen Grüßen,
Wolfster [Name geändert]
Bayern-2-Kunde, Werbetexter, Bibelschmökerant et al. pp.
Zu wenig dienstlich? Dann war’s schon richtig, ist ja ein privater Weblog. Trotzdem enttäuschend:
Sehr geehrter Herr Wolfster [Name geändert],
vielen Dank für Ihre E-Mail. Wir werden den Beitrag wahrscheinlich an Pfingsten senden. Vorausgesetzt vorher passiert nicht irgendein Luther-Sprachboom. Uns ging es jetzt in erster Linie um Begriffe wie “Sündenbock”, “Machtwort” und ähnliches, die wir benutzen ohne zu wissen woher sie kommen.
Bestimmte Zitate zum Beispiel “Hier stehe ich, ich kann nicht anders” waren (auf Kondomen aufgedruckt) in diesem Jahr aber schon mal Teil einer Werbekampagne der evangelischen Jungkirche. Leider wurde die Aktion umgehend von der eigentlichen Kirche verboten. Sie hätte vielleicht ganz gut funktioniert.
Schade, dass ich Sie nicht Interviewpartner gewinnen konnte. Ihre Hinweise warum es funktioniert oder nicht wären auch sehr gut als O-Ton.
Mit freundlichen Grüßen,
[Name]
[Firma]
Religion und Orientierung
Ich als O-Ton. Vielleicht besser so, dass die freundliche Dame mich noch nie reden gehört hat.
Soundtrack ist natürlich was Evangelisches: die Entdeckung des Monats: Konzert für vier Cembali von Bach, BWV 1065 mit pädagogischem Schlussteil und vor allem einer rothaarigen Bassistin:
https://youtu.be/CSbXcYfUGzM
Also, ich erfinde da nix. Nicht dass es heißt, ich erfinde da was. Letzthin in der Heilig-Geist-Kirche aufgelesen:
Charismatischer Gottesdienst
JEDEN 1. SAMSTAG IM MONAT
Heilig Geist Kirche am Viktualienmarkt
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18 UHR POWERPRAISE UND ZEUGNIS, BEICHTGELEGENHEIT
19 UHR HEILIGE MESSE MIT PREACH
20.15 UHR ANBETUNG UND WORSHIP
21 UHR SEGEN UND ABSCHLUSS
TERMINE 2017 — ERSTES HALBJAHR
4. FEBRUAR · 4. MÄRZ · 1. APRIL · 6. MAI · 3. JUNI · 1. JULI
Charismatische Erneuerung in der katholischen Kirche
“Anbetung und Worship? Wow”, staunt Vroni.
“Ja, der Schießler gibt wieder alles.”
“Wie der eine Laden in Nürnberg. ‘Sex und Erotik’ hat der geheißen.”
“Warst du so kinky vor meiner Zeit?”
“War auf meinem Arbeitsweg.”
“Hätt ich jetzt auch gesagt.”
“Als ob du vor meiner Zeit nirgends in Forschung und Lehre gegangen wärst.”
“Meine Eltern haben sogar ein Buch gehabt, das hat ‘Liebe und Sex in Wort und Bild’ geheißen.”
“Deine Eltern? O ja — das ist kinky.”
“Und ob — eine katholisch-evangelische Mischehe.”
“Pikant, pikant. Wieso bist du dann Einzelkind?”
“Keine Ahnung. Vielleicht weil überm Kapitel ‘Laute der Lust’ immer die Nachbarn mit dem Besen gewummert haben?”
“Laute und Lust. Was man halt so macht jeden 1. Samstag im Monat.”
Powerpraise-Soundtrack: aus Ladykillers. Natürlich nicht dem historisch zu würdigenden Gaunerkomödchen mit Alec Guinness 1955, in dem nur The Last Rose of Summer vorkommt, sondern dem der Gebrüder Coen 2004:
Abbot Kinney Lighthouse Choir: Shine on Me + Trouble of This World:
Wie jeder anständige Laden, besonders jeder anständige Buchladen, wird der texxt im Keller erst interessant. Das kann etwas Freudsches sein, muss aber nicht.
Die nötigen Fremdwörter zur Diskussion darüber findet man sinnigerweise in ebenjenem Keller. Da ist nämlich die Abteilung Psychologie. Und Klassiker. Und Lyrik. Und Märchen. Und Religion.
In der Religon, im hintersten Eck, wo hinter der Wand der Heizungskeller des Nachbarladens zu vermuten ist, hab ich mal eine schöne Doré-Bibel gefunden. Der jetzt da steht, sucht bestimmt etwas anderes. Den allahtreuen Rahmenbart und das Pierre-Vogel-Gedächtnisnachthemd hat er schon, in der Hand hält er Heinz Halm: Der Islam: Geschichte und Gegenwart, Beck’sche Reihe, 112 Seiten, 8,95 Euro, bei texxt — wie alles — zum halben Preis. Stören mag man ihn eigentlich nicht bei seinem sekundärliterarischen Koranstudium, sein Gesichtsausdruck verheißt nämlich keine Freundschaft. Ich will aber an die Bibeln, die er mit seiner Wampe im Nachthemd blockiert, ob die von Marc Chagall noch da ist.
“Kann ich mal, mein Freund?” sag ich.
So viel sollte man auch ohne die Monographien der Beck’schen Reihe über den Islam wissen: Wer in Frieden kommt, spricht die Leute mit “mein Freund” an. Ohne Sorge, sich als bester Freund anzuwanzen oder die Facebookisierung der analogen Welt voranzutreiben. Wer seinen Freund anspricht, schraubt eine Umdrehung weiter und sagt: “mein Bruder”.
Pierre Vogels Wiedergänger blickt von seinem Islamheftchen auf und sagt düster: “Haram.”
“Wer? Ich?”
Er schüttelt den Kopf und tippt auf seine Heftchenseite.
“Jaja, weiß schon”, sag ich, “der Koran lässt sich ziemlich großzügig auslegen, stimmt’s?”
“Kennst Koran?” fragt er.
Jetzt lieber nichts Falsches sagen. “Ja”, sag ich, “aber bloß die Übersetzung von Friedrich Rückert. Wegen der deutschen Romantik und so. Hab ich hier gekauft, wo du davorstehst” — und höre vorsichtshalber fürs erste auf zu quatschen.
Er mustert mich und beschließt, mich ungläubigen Schweinefresser nicht gleich hier im Keller mit einer Chagall-Bibel zu verprügeln, aber nur, weil die Buchhändlerin von ihrem Bestellcomputer zu uns herüberschielt und er gehört hat, dass in dieser Demokratie aus Weicheiern sogar die Weiber was zu sagen haben. Dann nickt er, wenn möglich, noch düsterer und studiert weiter Heinz Halm. Eine Diskussion darüber, ob man den Islam so fortschrittlich wie Imam Daayiee “Der Islam und Homosexualität passen wunderbar zusammen” Abdullah ausüben sollte, der schwule Paare traut, oder eher den gläubigen Moslem vor allen Äußerungen des allzu christlichen Weihnachten beschützen sollte, würde mich momentan ein Stück überfordern.
Feiern Moslems denn kein Weihnachten? würde ich gern fragen, aber vielleicht nicht ausgerechnet diesen Kritiker der aufgeklärten Information, dessen erwartbar geballtes Fachwissen ich nicht verstehen würde — und erinnere mich über eine kurze Assoziationskette, in einem lange verflossenen Dezember schon mal eine sonnige türkische Gemüsehändlerin mit nackten Haaren gefragt zu haben: “Was heißt da schöne Weihnachten? Feiern Moslems denn Weihnachten?”
Die hat mir gesagt: “Gescheite schon.”
Das hab ich verstanden. Schöne Weihnachten.
PS: Wegen der Chagall-Bibel müssen Sie schon nicht mehr zum texxt; wegen allem anderen schon. Zum Beispiel, um herauszufinden, was die Hälfte von 8,95 Euro sein soll.
Zur gestrigen Mariä Empfängnis muss ich doch endlich mal die Hausmadonnen feierlich unters Volk werfen, die ich kurz nach Mariä Lichtmess, also vergangenen Februar zu Nürnberg eingefangen hab. Da war mir nicht klar, dass die schon ziemlich flächendeckend dokumentiert sind. Nächstes Mal geh ich halt mehr auf die Details, die sind stellenweise richtig vogelwild.
Die Bilder sind frühmorgens gemacht, so früh es eben im Februar schon so hell wird, kurz bevor ich zu meinen Eltern, lang sollen sie leben, Richtung Lauf weiter musste, und sind allesamt um den Obstmarkt herum einsehbar. Der Text stammt ebenfalls aus Nürnberg und aus der gleichen Zeit wie die Mariä. Die Musik ist auch wieder mit Hans Sachs, aber, nun ja, neuzeitlich.
——— Hans Sachs:
1.
O Jesu zart, götlicher art,
ein ros on alle doren,
Du hast aus macht herwider bracht
das vor lang was verloren
Durch Adams fal; dir wart die wal
von got vatter versprochen;
auf das nit würt gerochen
mein sünt und schult, erwarbstu hult;
wan kein trost ist, wa du nit bist
barmherzikeit erwerben;
wer dich nit hat und dein genat,
der muß ewiklich sterben.2.
O Criste milt, du hast gestilt
der altvätter verlangen,
Die jar und tag in we und klag
die vorhell het umfangen,
Senlicher not ruften: “o got,
zureiß des himels pfarten
und send uns, des wir warten,
den messiem, der uns abnem
die senlich pein.” das ist durch dein
vilfaltig blutverreren
ganz abgestelt, darum dich zelt
all welt Cristum den heren.3.
O Jesu rein, du bist allein
der sünder trost auf erden;
Darum dich hat der ewig rat
erwelet, mensch zu werden;
Uns all zu heil darum urteil,
am jüngsten tag wirst richten,
die dir glauben, mit nichten.
o werte frucht, all mein zuflucht
han ich zu dir; ich glaub, hast mir
erworben ewig leben;
in dich hoff ich ganz festiklich,
weil du mir gnad tust geben.4.
O Criste groß, du edle ros,
gütig an allen enden,
Wie gar gütlich, her, hast du mich
wider zu dir lan wenden
Mit deinem wort! mein sel leit mort
bei den falschen profeten,
die mich verfüret heten:
auf mancherlei ir gleisnerei,
auf werk ich hoft und meinet oft,
genad mir zu erwerben;
verliße dich; o her! nit rich
mein unwissent verderben.5.
O Jesu fein, dein wort gibt schein,
licht, klar als der karfunkel.
Es hilft aus pein den armen dein,
die sitzen in der dunkel;
Kein ru noch rast haben sie fast
wol in der menschen lere;
reich in dein wort, mit gere
hilf in darvan auf rechte ban
und sie selb tröst, seit du erlöst
hast alle welt gemeine,
das sie in dich hoffen einig,
nit in ir werk unreine.6.
O Criste wert, so dein wort kert
von mir und sich derscheite,
So kum zu mir, beschütz mich schir,
auf das mich nit verleite
Die menschenler, die gleißet ser,
wer kan ir list erkennen?
sie tut sich heilig nennen,
ist doch entwicht und lebet nicht;
allein dein wort, das ist der hort,
darin das leben iste;
da speis mich mit (entzeuch mirs nit!)
zu ewiklicher friste!7.
O Jesu Crist, war got du bist;
in dir ist kein gebrechen.
Es ist kein man, der mag und kan
dein glori groß aussprechen;
Dein hohes lob schwebt ewig ob,
dir ist als übergeben
was ie gewan das leben,
all creatur. o könig pur,
wens darzu kumt, das mein mut stumt,
leiblich den tot muß leiden,
dan hilf du mir, das ich mit gir
in deim wort müg abscheiden.
Für den langen Winterabend: Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, 1868, Bayreuth 1943 unter Wilhelm Furtwängler:
Endlich hat man eine Ahnung davon, warum jeden September das Oktoberfest ausbrechen muss: Da scheinen die Chinesen Schulferien zu haben.
Natürlich nicht alle gleichzeitig, es gibt ja nicht nur Chinesen. Das geistige Lexikon des Halbwissens, das uns allen innewohnt, kennt auch noch Indochinesen, Philippinen, Japaner, Koreaner, Nordkoreaner, Südvietnamesen, Vietnamesen, Laosser, Hongkonger, Mandarinen, Maharanis, Kantonesen, Uiguren, Kirgisen, Nepalesen, Tibetaner, Taiwanesen, Thailänder, Mailänder, Malayen, Tamilen, Bengalen, Bangladeschis, Kambodschaner, Siamesen, Singapurer, Seidenstraßen, Seitenstraßen, Birmesen, Burmesen, Hindi, Hindus, Ganges, Singhalesen, Sikhs, Parias, Pandas, Papayas, Koriander, Yetis, Mongos und Fidschis. Oder so ähnlich.
Alle konnte man in den vergangenen Wochen auf dem Marienplatz treffen — außer den Nordkoreanern, die man exklusiv in Nordkorea treffen kann — bis sie auf die Theresienwiese gelassen werden. Wenn man nicht gerade Chinese ist, so ist der Marienplatz zu meiden (das war der Touristentipp des Jahres). Ich war nur da, weil am 6. September 2016 vor 230 Jahren im Huthaus Breiter, Kaufingerstraße 23–26, tatsächlich mal Goethe übernachtet hat und ich mal gucken wollte, ob die Frauenkirche immer noch so ein stinklangweiliger Backsteinhaufen ist wie vor 15 Jahren.
In Andacht versunken betrachte ich die einwandfrei geweißelten Wände der Kirche, da redet aus Hüfthöhe eine quengelige Stimme zu mir: “Toilet? Toilet?”
Es ist ein Chinese, soviel Menschenkenntnis gewinnt man schon in einem Studentenjob als Nachtportier im Hotel. Nur echte Chinesen haben diesen dauerhaft entsetzten Blick, auf halber Strecke zwischen Verblüffung und Verzweiflung, wo um Buddhas willen und unter was für steindummen, kreuzhässlichen und böswilligen Langnasen sie ihr ungnädiges Schicksal da ausgesetzt hat. Hinter Samarkand wird’s halt immer recht exotisch für die.
“Toilet?” frage ich zu dem ratlosen Gast in München Premium-Wahrzeichen Nummer 1 hinunter, “it’s not even Oktoberfest yet.”
“No matter”, sagt er, “no time. Toilet?”
Die umliegenden Gaststätten sehen es nicht gerne, wenn die Touristen immer nur zum Pinkeln reinkommen und dann den Kloschüsseln mit Unverstand und Vandalismus begegnen, weil in ihrer Heimat das Klo ein Loch im Boden ist. Wenn das aber so eilig ist, denke ich — und weise mit ausgestrecktem Arm auf den Beichtstuhl.
Der Chinese trippelt zm Beichtstuhl und öffnet die linke Tür. “This toilet?” fragt er.
“Other toilet”, sag ich, “middlere door.”
Er schlüpft in die mittlere Tür. Nach Sekunden schaut er noch verzweifelter heraus: “Hooo! Door not close!”
“Of course not”, sag ich, “it’s catholic.”
Das scheint ihn zu beruhigen. Diesmal bleibt die Tür länger geschlossen.
In Andacht versunken überlege ich, ob es Kirchenlieder gibt, die zugleich aufs Oktoberfest passen. Bei Luther müsste einiges zu holen sein, aber die sind bestimmt alle evangelisch.
Nach fünf Minuten steht der Chinese wieder neben mir, den Gipfel der Verzweiflung ins Gesicht gemalt: “Hooo! Toilet no paper!”
Wortlos und mit ausgestrecktem Arm weise ich aufs Weihwasserbecken.
Langsam scheint ihm etwas zu dämmern. “Yúchun, choulòu, èyì cháng bízi”, sagt er.
“Shùn Mìníhei píjiu jié”, sag ich.
Soundtrack: Coconami: Isarmärchen, live 2011:
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