Wer die richtig wilde Isar erleben will, muss trotz der gelungenen innerstädtischen Renaturierung des Flusses aus München raus. Und zwar weit nach Süden. Da liefern sich die sich ständig verändernden Sandbänke in wechselndem Licht ein Duell mit dem mäandrierenden Fluss:
Bayrisch Kanada
Out To The Real Wild: River Isar
If you want to experience the real wild Isar, you have to get out of Munich, despite the successfully urban renaturation of the river.And far to the south.There, the constantly changing sandbanks in changing light duel with the meandering river:
Plötzlich ein Klang wie eine Glocke in reiner Luft
Kein Frosch quakt mehr, das Surren der Libellen verschwunden. Ein junger Hase tritt scheu aus den Zweigen. Am Rand des stillen Teichs zögert er und schaut. Plötzlich taucht seine kleine rosa Zunge in das glatte Wasser. Ein silberner Wassertropfen hüpft hoch und trifft auf das unberührte Nass. Pling. Wie eine Glocke in reiner Luft.
Es ist der 1. Dezember. Unsere diensthabende Dezember-Rose im Schneeregen Nach nur 2 Tagen – tief im Schnee versunken
Ihre schon länger verblühte Schwester
Rosen im Dezember Ja, auch so manches alte Lied Gehört zu meinem Leben, Half mir, wenn ich gefallen war, Mich wieder zu erheben. Da fliessen Brunnen, klar und kalt, Wer daraus trinkt, wird nimmer alt Und warum soll es solche Brunnen Nicht auch wirklich geben.
Solch einen Brunnen habe ich Bis heute nicht gefunden, Ich wollte manchen kühlen Trunk Draus trinken und gesunden. Andere befreit und heilt, Die Zeit die schnell vorüber eilt Von allem Schmerz mir aber schlägt Die Zeit die tiefsten Wunden.
So bitten schon seit alter Zeit, Die Menschen um die Gabe, Ewiger Jugend ohne Leid, Und enden doch im Grabe. Die alten Lieder selbst sind jung, Dass ich in der Erinnerung, An ihnen wenn ich alt bin, Rosen im Dezember habe
Writer(s): Detlef Petersen, Hannes Wader Lyrics powered by www.musixmatch.com
Fast wäre Vilde Frang Bassistin geworden. Doch das Auto war zu klein
Das Cover ihres Debütalbums zeigt Vilde Frang in einer grünlich schimmernden Waldszene. Auch in natura wirkt die 24-Jährige ein bisschen wie eine nordische Elfe: der helle Teint, das gewellte Haar, das bis auf die Hüfte fließt, die dunklen Augen. Und ihr Spiel hat ebenfalls einen zarten, zerbrechlichen, transparenten Klang, der an Fabelwesen denken lässt.
Mal was Schönes: In letzter Zeit fällt, wenn man ihr genug hinterherspürt, die junge Frau Vilde Frang aus dem Norwegischen auf.
Ihr Opus entsteht seit 2009, bislang neun CDs stark, und ähnelt in Auswahl und Qualität dem der bekannten, in jeder Hinsicht vergleichbaren Hilary Hahn, aber machen wir uns nix vor: Kein Mensch hat jemals der einen oder der anderen verstärkt zugehört, bloß weil sie so viel toller geigt als jemand anders. Wenn man dann noch Epiphanien wie Patricia Kopatchinskaja, Lisa Batiashvili, Janine Jansen, Julia Fischer, Isabelle Faust und wie sie alle heißen dazuvergleicht, wird es allerhand mit Optik zu tun haben.
Bei allem Sympathievorschuss für den Menschenschlag des herausgewachsenen Nordmannmädchens Frang finde ich aber schon, dass deren CD-Mixe anständig kuratiert sind: nicht irgendwas zusammengepappt, bloß weil es (nicht) zusammenpasst, sondern wenigstens mit dem Versuch einer Dramaturgie. Genauer und selbsterschlossener wird’s unsereiner ohne Musikstudium nie haben können; man muss die Leute vielleicht doch erst gesehen haben, bevor man ihnen zuhören will. Und das sagt noch einer, der sehenden Auges (sic) Sviatoslav Richter und Wanda Landowska (beide am Tastenmöbel) ganz ordentlich findet. Die Frangsche hat immerhin in bisherigen Karriere meine alten Lieblinge des Tschaikowskischen Violinkonzerts D-dur opus 35 und die Sinfonia Concertante von Mozart an neues Licht gehoben, mich für Paganini interessiert und kann den alten Geigenmuckel vom Erlkönig von Ernst, vulgo Grand Caprice für Violine allein opus 26, “Der Erlkönig”, so vernehmlich schneller und sauberer als die Hahn, dass es auch unsereins hört.
Wie Frau Frangs Line-ups auf ihren neun CDs beschaffen sind, kann man mit einer gewissen bürgerlichen Bildung gerade noch einordnen; ein Werturteil über die eine oder andere Interpretation traue ich mir weit weniger zu, ich kann ja nicht mal die Goldberg-Variationen mitpfeifen. Mit der Frang kann man sich immerhin bildlich vorstellen, ein Bier an der Theke einzuschnaufen, welche Qualität bei Hahn oder Batiashvili schon langsam ihre Grenze findet.
Und dann das: Wer bitteschön bezahlt mir – oder auch bloß sich selber – Vilde Frang am 29. März 2023 in der Isarphilharmonie, mutmaßlicher Stehplatz hinterm Pfosten mit mit Meet and Greet bei der Garderobiere ab 44,50, wünschbare Tickets 95 bis 110 Öcken? Ach, ist ja wurscht, die wissen eh heut schon, was die Frontlady in einem halben Jahr vorzufiedeln hat, und dann sind es Elgar und Prokofjew mit einem gewissen City of Birmingham Symphony Orchestra, das man vielleicht gehört haben muss oder vielleicht nicht, und für die zweimal Eintritt krieg ich das Gesamtwerk von Elgar und dem Protokopf gleich mehrmals raus. Oder alle neun CDs von Vilde Frang, falls heute noch jemand dergleichen gegen Geld erwirbt.
Frau Frang selbst ist ein grundlegend mädchenhafter borealer Jeanstyp junonischer Statur, was in diesem Fall endlich mal kein Euphemismus für “zu fett” ist. So begünstigt muss man von der Schöpfung nämlich erst mal sein, um grüne Schlauchkleider ohne Verlust der Menschenwürde vorzuführen:
Buidln: Selbergemacht am Flaucher, 31. März 2022, schenk ich Ihnen.
Mehr schräge Einbrüche der Kunst in die Natur:
Paul Barton spielt Bach: Fuge 16 g-Moll, Wohltemperiertes Clavier, Buch 2, für den Elefanterich Chaichana (was er offenbar lieber bleiben lassen sollte:
Morwenna Rose “Hands on Harps” Louttit-Vermaat harft für die Kuhherde:
und Naomi SV harft aus Versehen für die Rehgeiß Sounds of Silence:
So, und jetzt überleg ich seit einer Stunde einen Kalauer samt Video mit “für die Katz”. Am besten, ich red mich damit raus, dass es zu sehr auf der Hand liegt.
Diese Woche aufgefallen und mit eilig neu angeschafften Kamerabatterien dokumentiert:
Fällt ja sofort ins Auge, nein: sogar ins Ohr, dass es nur ein Liedertext sein kann. In diesem Fall von The Legendary Band aus: Pirates, 2014. Und es erinnert doch stark an eins der frühen Funny Forwards, für das die — oft aus Gründen — anonym gebliebenen Content Provider mehr überlegen mussten, als wie man einen Text nicht über 30 Anschläge Impact bold versal in ein ohnehin überstrapaziertes Filmbildchen photoshoppt.
Wirklich beeindruckt war ich erst diese Woche — nach der Entdeckung eines Aufklebers von 2021 zur Werbung für eine CD (sic) von 2014 — bei der Erkenntnis, dass die Liste gar nicht so frei erfunden ist, wie sie aussieht. Die Lieder gibt’s wirklich, die liebevoll gesammelten Zeilen nicht immer als Überschrift, sondern umso schwerer auffindbar als Zitat — und die meisten lohnen sich sogar aufzurufen. Yeehaw, folks.
The Best of the Worst Country-Western Song Titles
Drop Kick Me, Jesus, Through The Goalposts Of Life
Get Your Biscuits In The Oven And Your Buns In The Bed
Get Your Tongue Outta My Mouth ‘Cause I’m Kissing You Goodbye
Her Teeth Were Stained, But Her Heart Was Pure
How Can I Miss You If You Won’t Go Away?
How Can You Believe Me When I Say I Love You When You Know I’ve Been A Liar All My Life?
I Been Roped And Thrown By Jesus In The Holy Ghost Corral
I Changed Her Oil, She Changed My Life
I Don’t Know Whether To Kill Myself Or Go Bowling
I Fell In A Pile Of You And Got Love All Over Me
I Flushed You From The Toilets Of My Heart
I Keep Forgettin’ I Forgot About You
I Wanna Whip Your Cow
I Would Have Wrote You A Letter, But I Couldn’t Spell Yuck
I Wouldn’t Take Her To A Dawg Fight, Cause I’m Afraid She’d Win
I’d Rather Have A Bottle In Front Of Me Than A Frontal Lobotomy
I’m Just A Bug On The Windshield Of Life
I’m The Only Hell Mama Ever Raised
I’ve Been Flushed From The Bathroom Of Your Heart
I’ve Got The Hungries For Your Love And I’m Waiting In Your Welfare Line
If I Can’t Be Number One In Your Life, Then Number Two On You
If Love Were Oil, I’d Be A Quart Low
If My Nose Were Full of Nickels, I’d Blow It All On You
If You Don’t Leave Me Alone, I’ll Go And Find Someone Else Who Will
If You Leave Me, Can I Come Too?
Mama Get The Hammer (There’s A Fly On Papa’s Head)
My Every Day Silver Is Plastic
My Head Hurts, My Feet Stink, And I Don’t Love Jesus
My John Deere Was Breaking Your Field, While Your Dear John Was Breaking My Heart
My Wife Ran Off With My Best Friend, And I Sure Do Miss Him
Oh, I’ve Got Hair Oil On My Ears And My Glasses Are Slipping Down, But Baby I Can See Through You
Pardon Me, I’ve Got Someone To Kill
She Got The Gold Mine And I Got The Shaft
She Got The Ring And I Got The Finger
She Made Toothpicks Out Of The Timber Of My Heart
She’s Got Freckles On Her, But She’s Pretty
Thank God And Greyhound She’s Gone
They May Put Me In Prison, But They Can’t Stop My Face From Breakin’ Out
Velcro Arms, Teflon Heart
When You Leave Walk Out Backwards, So I’ll Think You’re Walking In
You Can’t Have Your Kate And Edith Too
You Can’t Roller Skate In A Buffalo Herd
You Done Tore Out My Heart And Stomped That Sucker Flat
You Were Only A Splinter As I Slid Down The Bannister Of Life
You’re The Reason Our Kids Are So Ugly
Soundtrack ist das aus der Liste, das einem wieder kein Mensch glaubt: Jimmy Buffett mit den Oak Ridge Boys als Background-Schubiduapdap-Truppe: My Head Hurts, My Feet Stink, And I Don’t Love Jesus, aus: Havana Daydreamin’, 1976:
Diese Woche gelernt: Aldi lässt jetzt bei Oettinger brauen, wovon man sich auch nicht weniger Schädelweh zuzieht, und meine ganzen Helden passen auf ein Bild DIN A4, und da passt noch großflächig Efeu dazwischen.
Wenn ich endlich Herder von Wieland auf weniger als zwei Zentimeter unterscheiden kann, sprech ich nochmal auf einer idyllischen Uni vor, Literatur muss ganz lustig zu studieren sein (entgegen einem verbreiteten Vorurteil hab ich Linguistik studiert); dafür hab ich jetzt das wahrscheinlich einzige Bild von Günter Stössel südlich der Altmühl an der Wand.
Merke: Schädelweh rentiert sich immer für irgendwas.
Soundtrack:Krista Shows: Full of Sin, aus: Prone to Wander, 2020:
I am a girl that’s full of sin I’ve done some harm, less outward than in I drink and I smoke, I play music with friends I have no regard, my mercy runs thin
Wenn man seine ganzen steinalten Langspielplatten — in diesem Fall die Globetrottel Rag von Günter Stössel — nicht bis zur selbsttätigen Entrümpelung aufhebt: Das wirklich anrührend schöne Lied Goldbach City existiert nur in dieser einen Live-Aufnahme von 1976 aus einem nicht überlieferten Wirtshaus, in sämtlichen Restaurierungen und Neuanordnungen ist der gesprochene Vorspann abgeschnitten. Das heißt, es kommt nicht mehr zur Geltung, dass die beschriebene Unternehmung das historische Pilotprojekt avant la lettre für den Abenteuerspielplatz Goldbachwiese am Zabo, nein: in Nürnberg-Zerzabelshof war. Den gezupften Turnaround hab ich dereinst jahrelang immer mal wieder auf der Klampfe geübt, bin mir aber bis heute nicht sicher, ob das nicht ein Banjo ist:
Wie ich darauf komme? Nun ja, weil wir diese Woche unter Aufbietung unseres gesamten Repertoires an fränkischen, bairischen und internationalen Flüchen eine neue Tastatur und, schlimmer: eine neue Festplatte in den Laptop eingebaut — besonderer Dank an die IT-Vroni — und im Gefolge Windows 10 neuinstalliert und jedes Fitzelchen wieder draufgespielt haben, denn man sieht ja, was passiert, wenn man nicht seine ganzen steinalten Langspielplatten und Word-98-.rtfs aufhebt.
Und plötzlich sehnt man sich zurück in die Zeit nicht etwa vor dem Internet, sondern vor der Gutenbergischen Wende in der technischen Reproduzierbarkeit von Kunstwerken. Da haben die Leute nämlich ein für alle Male ein Jahresgehalt für ihr persönliches Stundenbuch angespart, und da stand dann alles drin, was man wissen musste. Jedenfalls alles, was einen was angeht. Wenn’s gebrannt hat, war das die o. a. selbsttätige Entrümpelung, und man hatte andere Sorgen als ob in einen Blues ein Barré oder gar keiner hineingehört:
Bonus Track: Günter Stössel. One Barré Only, aus: Schdrohwitwer Blues, 1975, das Pilotprojekt zur späteren Ballade vom Leberschrumpf, weil ich das auch selber halbwegs kann:
Uschi, die mir seinerzeit die ersten vier Griffe auf einer Gitarre beigebracht hat, hat grundsätzlich nie Platten gekauft oder auf Kassetten überspielt, die sie nicht nachspielen konnte. Mit so einer musikalischen Auffassung sind ihr freilich Pink Floyd und Bach mit größerer als Kammerbesetzung fremd geblieben, aber solange ich sie kannte, wirkte sie eher ausgeglichener und aufgeräumter als andere Leute, die nicht vor Accept und Jennifer Rush zurückschreckten. Außerdem glaube ich Uschi bis heute jedes Wort, auch wenn sie keins mehr an mich richtet, aber ihre vier Gitarrengriffe funktionieren ja auch noch.
Wie ich darauf komme? — Als erstes sind Lulu and the Lampshades aufgefallen, die seit 2012 als Landshapes praktizieren:
Diese Gruppe wurde dadurch international bekannt, dass sie einen alten Folksong, der erstmals von der Carter Family im Jahr 1931 unter dem Titel When I’m Gone eingespielt worden war, um neue Strophen und Melodielinien erweiterte. Die Lampshades unterlegten ihre Neukomposition mit dem Rhythmus eines Klatsch- und Becher-Spiels für Kinder und veröffentlichten dies unter dem Titel You’re Gonna Miss Me 2009 auf der Internet-Plattform YouTube. Die Veröffentlichung wurde zum Internet-Phänomen und zur Vorlage der Adaption durch Anna Kendrick im Film Pitch Perfect unter dem Titel Cups.
Schon 2009, das “Klatsch- und Becher-Spiel” soll eher traditionell als bahnbrechend neu und außerdem “für Kinder” sein, und Anna Kendrick will Pitch Perfect auf eigenen Vorschlag mit ihrem Cup Rhythm bereichert und zum eigenständigen Draufschaffen gerade mal einen einzigen Nachmittag gebraucht haben.
Es ist 2021, wir sind keine Kinder mehr und können den Cup Rhythm nicht. Kein Grund, das auf sich sitzen zu lassen.
Als erstes folgt der Text des Liedes der Carter Family, 1931, nach der für deren Begriffe erheblich veränderten Version 1935 bearbeitet von den Lampshades Luisa Gerstein und Heloise Tunstall-Behrens:
I learnt the cup rhythm at a family run music class in North London called Sumics. The chorus comes from the Carter Family song “When I’m Gone — 1935”, and we wrote the verses. Also, we were credited in the Pitch Perfect film.
You can purchase the recorded version of this song (with an extra verse) at our bandcamp[.]
— und natürlich mit dem extra verse:
——— Lulu and the Lampshades:
You’re Gonna Miss Me
1.: I’ve got my ticket for the long way ’round Two bottles of whisky for the way And I sure would like some sweet company And I’m leaving tomorrow, what d’you say?
Refrain 1: When I’m gone, when I’m gone You’re gonna miss me when I’m gone You’re gonna miss me by my hair You’re gonna miss me everywhere — oh You’re sure gonna miss me when I’m gone
2.: I’ve got my ticket for the long way ’round The one with the prettiest of views It’s got mountains, it’s got rivers It’s got sights to give you shivers But it sure would be prettier with you
Refrain 2: When I’m gone, when I’m gone You’re gonna miss me when I’m gone You’re gonna miss me by my walk You’ll miss me by my talk, You’re gonna miss me when I’m gone.
3.: I’ve got my ticket for the long way ’round These feet weren’t built to stay too long And I’d go there on my own But you’ll miss me when you’re home It’s for you dear that I sing this song
Refrain 1: When I’m gone, when I’m gone You’re gonna miss me when I’m gone You’re gonna miss me by my hair You’re gonna miss me everywhere — oh You’re sure gonna miss me when I’m gone
Refrain 2: When I’m gone, when I’m gone You’re gonna miss me when I’m gone You’re gonna miss me by my walk You’ll miss me by my talk, You’re gonna miss me when I’m gone.
Als zweites gilt es den Becher-Stunt zu lernen. Anna Kendrick überliefert nicht, wie sie das innerhalb weniger Stunden unter dem Zeitdruck einer Filmproduktion mit einem Budget von 17 Millionen Dollar geschafft haben will, aber wir, die wir unter dem Privileg der selbstbestimmten Freizeiteinteilung stehen, können seit 2009 (Lulu and the Lampshades), spätestens aber 2012 (Pitch Perfect) auf haufenweise YouTube-Tutorials zum Cup Rhythm zugreifen. Nach einem verdaddelten Tag der Direktvergleiche darf ich verraten: Am hilfreichsten erklärt’s einem der Schweizer in einer deutschsprachigen Version:
Und ich hab seinen Merkvers sogar mitgeschrieben, damit Sie es nicht müssen:
1.:Klatsch klatsch schlag da-rauf klatsch nimm Cup —
2.:Klatsch nimm Cup in an-dre Hand.
Als drittes darf ich als Praxistipps weitergeben:
1.: Es heißt “Cup Song”. Das bedeutet: keine Gläser. Plastik ist vollständig okay, Keramik knallt zu scharf auf die Tischplatte. Gute Erfahrungen hab ich mit zwei ineinandergestellten großen Jogurtbechern (500 Gramm) gemacht: nicht zu labbrig, aber untergrundfreundlich, schön satter Sound. Für kleinere Patschehändchen eignen sich unschlagbar die Becher von Grafschafter Goldsaft (450 Gramm). Wohl dem, der noch einen von vor ein paar Jahren aufgehoben hat, da waren die aus Pappdeckel;
2.: es hat sehr wohl einen Sinn, mit einem umgedrehten Becher anzufangen (und aufzuhören); richtig herum funktioniert der Abschlag an der Handfläche nicht;
3.: und vor allem mit einem leeren, ihr Schlauberger;
4.: in YouTube haben auffallend viele Einspielungen die Kommentarfunktionen deaktiviert, vermutlich wegen der sich allzu leicht aufdrängenden Kalauer mit “Cups” und großen Angriffsflächen für kleinliches Gemäkel an der Taktfestigkeit. Sollten Sie zu so etwas neigen, teilen Sie Ihre eigenen Live-Mitschnitte nicht zu voreilig mit einer hämischen YouTube-Gemeinde;
5.: beim gleichzeitigen Singen des Liedtextes ist es die halbe Miete zu wissen, dass auf die Stelle “You’re gonna miss me when I’m” sieben Taktschläge verteilt sind und allein auf das “gone” noch einmal sieben. Leider hab ich nicht viel Ahnung von Notation, nehme aber an, dass es etwas mit Triolen zu tun hat. Deswegen gucken auch die fröhlichsten Musikanten während ihrer Performance so verkniffen konzentriert: Die haben alle ein bis zwei Minuten Dauerfeuer in sämtlichen Gehirnregionen auf einmal.
Als viertes die Profiversion in verschiedenen Zeitlupen zum Mitklopfen:
Am schönsten finde ich fünftens und letztens bis auf weiteres die Studioversion der komplett versammelten Lampshades mit allen drei Strophen aus: Cold Water, 2013. Die wurde vermutlich spurweise eingespielt und ist in dieser Souveränität und Brillanz live praktisch nicht durchzuhalten:
Ich melde mich wieder, wenn ich das wie so beeindruckend viele — ja, auch Kinder — auf YouTube vorzeigbar zu zweit geschafft hab. Nein, nicht mit Uschi.
Das unsägliche, um nicht zu sagen: in den postmodernen Versionen brunzdumme Donaulied hatte ich nicht mal in meiner aktiven Lagerfeuerzeit im Repertoire-Ordner stehen, weil das selbst mir zu flach war. Heute kann man eine Online-Petition namens Bierzeltsexismus Aktion gegen das Donaulied unterzeichnen, damit der Unfug nicht mehr öffentlich aufgeführt werden darf. Wenn es einen durchaus dazu drängt, kann man auch eine Online-Petition namens Rettet das Donaulied unterzeichnen, damit der Unfug aus lauter Tradition doch weiterhin öffentlich aufgeführt werden darf, aber den Link können Sie selber suchen.
Angeblich waren seit “vor 1828” Versionen mit bis zu 24 Strophen in Umlauf, gern aus der Sicht eines Mädchens, das ihren Geliebten sucht. Ursprünge sind begründbar aus einer ähnlich lautenden Singspiel-Arie aus dem Donauweibchen von Ferdinand Kauer 1790; mithin wäre es der Definition nach kein Volkslied, allenfalls ein verderbter Gassenhauer. Die volkstümlicher Weise leichtfertig gut geheißene, ja heldenhaft gesehene Vergewaltigung wurde erst nach 1945 in die Texte getragen, ein virulenter Bierzelthit wurde der Liedtypus aus männlicher Perspektive nach 1970. Eine gängige Einspielung von Mickie Krause verschleiert immerhin die die offene Vergewaltigung, die genannte Petition richtet sich gegen die gedankenlosesten, möglicherweise triggernden Versionen und wahrscheinlich aus rechtlicher Durchsetzbarkeit nur gegen die Aufführung “in Passauer Bierzelten und Kneipen”. Befürworter des traditionellen Sexismus machen geltend, der Schmarrn gehöre als Volkslied “einfach zur Bierzelt- und Kneipenstimmung” dazu.
Bedeutend wirksamer als Aufführungsvorschriften egal von welcher Seite empfinde ich die Version der Frauen-Formation die 7, die den Text nach Jahrhunderten wieder in eine weibliche Sichtweise rückt. Dass sie ausgerechnet am 4. Juni 2020 auf YouTube hochgeladen wurde, deutet auf ihre ideologische Stoßrichtung hin, was in Ordnung geht; dass dabei in der Überschrift flüchtiger Weise das “ich” ausgelassen wurde, deutet auf eine gewisse “weibliche” Verhuschtheit, was noch viel mehr in Ordnung kommen muss. Der Anfang dazu ist durch die Umdeutung und den neuen Text gemacht.
Erschütternd genug war der “Das Lied aus Sicht des Mädchens” online nicht aufzufinden, deshalb erscheint der Text unten, dem Video abgelauscht. Er kommt einem Volkslied erfreulich nahe und klingt glaubwürdig genug wie etwas, das so in Des Knaben Wunderhorn oder dem Deutschen Liederhort stehen könnte. Dabei wurde der Text für diese feministisch gedachte Gegenversion wesentlich komplexer als das vorgefundene Original gebaut: Die Strophen haben vier statt nur zwei Verse, die handlungstragenden Inhalt — also mehr als das berüchtigte “Ohoho-ho lalala” — vermitteln; dazu wurde ein Refrain eingeschaltet, der aus der Strophenmelodie ausbricht und inhaltlich auf einer übergeordneten Ebene spielt. Das hat objektiv sehr viel mehr Substanz als der Bierzeltkracher.
Beim Nachspielen behält die Melodie auch auf Moll heruntertransponiert die üblichen drei Gitarrengriffe, also nur unverzagt zugeklampft; das obligate Solo bietet sich auf Mundharmonika an, gern vom selben Aufführenden mit Bob-Dylan-Ständer. Das offizielle Cello-Solo aus dem Video, vermutlich erfunden und vorgetragen von Lena Kranjc, wird voraussichtlich wieder nicht zur Mutter aller Cello-Soli ausgerufen, sollte es aber.
Auf gegenwärtigem Stand hat die Petition von Corinna Schütz schon gewonnen. Das ist schön, aber für die Praxis gar nicht so erheblich: Keine Bierzeltunterhaltung, die eine gewisse Reststimmung aufrechtzuerhalten strebt, wird das Zeug je wieder spielen können. Das haben, hoch sollen sie leben, Corinna Schütz, Maria Voss und Lena Kranjc geschafft.
——— die 7:
Einst ging ich am Ufer der Donau entlang
Text: Maria Voss; Musik: Lena Kranjc, Maria Voss, 2020:
1.: Einst ging ich am Ufer der Donau entlang, ohoho-ho lalala. Der Fluss und sein Rauschen ein kraftvoller Klang, ohoho-ho lalala. Die Sonne so freundlich, das Gras satt und dicht, ||: ich legte mich hin, eilig, hatt’ ich es nicht. :||
2.: Ich schloss meine Augen und sanft schlief ich ein, ohoho-ho lalala. Versäumend und träumend, so muss Urlaub sein, ohoho-ho lalala. Ein Schatten jeoch störte kalt meinen Schlaf, ||: ich regte mich nicht, weil mich sein Blick traf. :||
Refrain: Lass die Gläser klingen, die Burschen singen, aus voller Brust klingt ein Lied. Lass die Mädchen sich wiegen, im Takt sich verbiegen, feuchtfröhlich tönet das Lied.
[Cello-Solo.]
3.: Er lächelte zynisch, erstarrt lag ich dort, ohoho-ho lalala. Er strich sich durchs Haar und dann war er fort, ohoho-ho lalala. Der Fluss rauscht vorbei, doch ich höre ihn nicht, es kreischt in mir, meine Seele zerbricht.
Refrain: Lass die Gläser klingen, die Burschen singen, aus voller Brust klingt ein Lied. Lass die Mädchen sich wiegen, im Takt sich verbiegen, feuchtfröhlich tönet das Lied.
Noch ein Wort an die Traditionalisten, die kein traditionelles Volkslied von einer weitertradierten Unsitte unterscheiden können: Bei den rüden, sexistischen Versionen der unbesonnenen 1980er Jahre konnte ich öfters einen kumpelhaften Anerkennungserfolg mit der letzten Strophe einheimsen:
Da hast du fünf Mark und nun scher dich hier raus, ohoho-ho lalala, und wasch dir die Klitsche mit Schmierseife aus, ohoho-ho lalala.
Normalerweise ist Musik selber eine Merkhilfe, bloß wie merkt man sich die Musik? Jetzt kann man sich natürlich jahrzehntelang in so genannte klassische Musik einhören und aus den Wikipedia-Artikeln das herauslesen, was einem zur Einordnung der Unterschiede weiterhilft. Man kann sich’s aber auch so merken:
Bach ist das, was er ist: Bach. Händel ist so wie Bach, bloß christlicher. Haydn ist so wie Händel, bloß jünger. Mozart ist so wie Haydn, sieht bloß besser aus. Beethoven ist so wie Mozart, bloß verspannter. Chopin ist so wie Beethoven, bloß nicht so verspannt. Tschaikowski ist so wie Chopin, bloß mit Orchester. Satie ist so wie Tschaikowski, bloß alberner. Ravel ist so wie Satie, bloß mit mehr Jazz. Gershwin ist wie Ravel, bloß mit noch mehr Jazz. Scott Joplin ist so wie Gershwin, bloß noch amerikanischer. Strawinsky ist so wie Scott Joplin, bloß atonal. Charles Ives ist wie Strawinsky, bloß derangierter. John Cage ist wie Charles Ives, bloß abzüglich der Musik.
Weil Bach nicht der Anfang aller Dinge ist, nicht mal der musikalischen, merkt man sich die Alte Musik parallel, bloß mit anderen Namen.
Soundtrack von dem Österreicher, der überhaupt gar nirgends reinpasst: Heinrich Ignaz Franz von Biber: die Rosenkranzsonaten von zwischen 1678 und 1687 — auf einer sechzehnmal verschieden verstimmten (“skordierten”) Geige und in sparsamer Instrumentierung, bloß noch mit zusätzlichem Continuo — nicht wie in dem Manga-Video angegeben auf Cembalo, sondern eher einer Truhenorgel oder was immer das sein soll, 1991:
Nichts Neues — außer dass es oft nicht einsam genug macht. Es gibt auch gute Nachrichten: Facebook geht schon ein paar Internet-Generationen lang den Weg von Myspace, und Spotify hat sich nie darauf eingelassen, eine “Community” zu bilden, die Musikverbraucher dazu verleitet, ansonsten gutartigen Speicherplatz mit Bewertungen oder gar Kommentaren zu verunreinigen.
Spotify ist ein Segen — nicht allein wegen der ersten drei Platten der Herren Zupfgeigenhansel von 1976, 1977 und 1978, die allesamt Volkslieder heißen und deren Erwerb vor zwei Generationen in den meisten Fällen zugunsten solcher Künstler zurückstehen musste, die mein Vater bis heute “Eintagsfliegen” nennt: Bob Dylan, Rolling Stones, Neil Young und so. Ein Segen ist Spotify natürlich auch wegen denen, und weil man seine vollständigen LPs von Pink Floyd nicht mehr wertmindernd aus den Hüllen schütteln und mit einem im Lauf der Jahrzehnte fragwürdig gewordenen Saphir abwetzen muss.
Und dann buddelt man in den spotifyischen Tiefen ein obskures Divertimento von Mozart in c-Moll in einer Mono-Einspielung von anno 1963 aus, und die Werbung nach dem zweiten Satz fragt mich, ob ich die heißen und Hits und coolen Beats “will”. So was schimpft sich Datenkrake.
Doch, ich hab durchaus was verbergen; da können Sie jederzeit meine Mutter fragen, deren kompletten Datensatz man ja heutzutage von jedem Jeansladen mit Onlineshop erfahren müsste — zum Beispiel hab ich eine Jalousie vor dem Fenster und veröffentliche keine Gedichte, die als Akrostichon meiner Passwörter gebaut sind. Trotzdem ist Spotify nicht zuletzt deswegen ein Segen, weil es mich erfolgreich darüber zu beruhigen versteht, dass es einen irgend einen Papp über mich weiß.
Dann noch als Anregung, die Playlisten auf Spotify in gedeihlicher Weise zu nutzen — Tipp für Fortgeschrittene: Die besten Sachen findet man im “Künstler*in-Radio” — das erste Lied von Iris DeMent: Our Town, 1986, aus: Infamous Angel, 1992, live 2007 im Strathgarry House zu Perthshire für die Transatlantic Sessions 3, mit Emmylou Harris als zweite Stimme, Jerry Douglas an der quergelegten Dobro, Molly Mason am bockwurstbespannten Schrank, vulgo Kontrabass, und Aly Bain an der Fiedel. Oder was haben Sie von mir erwartet? Hippe Neuentdckungen mit heißen und Hits und coolen Beats? Jetzt bitte mal.
Nix gegen Klampfenelfen. Den meisten kann man unbesehen zuhorchen, so richtig scheiße ist keine von denen. Aber, liebe Kinder, glaubt keinem Marketing-Text. Nicht mal, wenn er von einer Firma namens Schädelbonbon in Auftrag gegeben wurde:
Soccer Mommy, unsere Künstlerin zum Thema “RAD”, spielt für uns ‘Still Clean’, einen “gechillten aber irgendwie traurigen” Gitarrentrack im 90er-Jahre-Stil, in einem extra für sie nachgebauten 90er-Jahre-Schlafzimmer.
Setzen wir voraus, dass mit “RAD” nicht der Reichsarbeitsdienst gemeint ist, lässt sich zur Not ergoogeln, dass die Soccer Mommy entweder zum Thema Rapid Application Development, fürchterlich awesome oder in Diensten der Royal Academy of Dance singt; der Herkunft des Zitats nach aber vermutlich über drahtlose Kopfhörer (ausverkauft). — “Für uns”? Für wen genau? Für mich? Ach, hätt’s doch nicht gebraucht, das Mütterchen soll sich wegen mir bloß keinen Umstand machen — schon gar nicht, solange sie in ihrer musikalischen Auffassung einen wesentlichen Unterschied zwischen “gechillt” und “irgendwie traurig” macht.
Wenn eine etwas ratlos herumklampfende Nashvillerin des Jahrgangs 1997 Musik “im 90er-Jahre-Stil, in einem extra für sie nachgebauten 90er-Jahre-Schlafzimmer” macht — woran könnte ich wohl den 90er-Jahre-Stil erkennen, wenn er nicht im Teaser erwähnt stünde, sofern ich mich noch erinnern kann, dass die Musik der 90er (des 20. Jahrhunderts, mein ich) mit nicht viel anderem als Revivals der Jahrzehnte vorher beschäftigt war?
Und aus welchen Elementen baut man denn ein “90er-Jahre-Schlafzimmer” nach? In meiner Küche finde ich keine Prilblumen mehr, einen vom Vormieter übernommenen Hanuta-Aufkleber schon noch. Weder vor, in noch nach den 90ern hat mein Schlafzimmer ausgesehen wie der Parkplatz vom Schafhofer “Why Not”.
Und würde das jemandem auffallen, der sich nicht an Silvester 1999 auf 2000 erinnern kann? Ich zwar — nicht aus Altersgründen — auch nicht, aber solang ich mich für solche Fragen interessiere, kann ich nicht alt sein.
PS: Dem Material nach, das ich bis jetzt von der “Soccer Mommy” kenne, halte ich sie für von vornherein überschätzt, Nashville hin oder her.
Nach ungefähr 25 Jahren wieder eine Mundharmonika in Betrieb genommen: Hohner Blues Harp, zum ersten Mal im Leben eine in A-Dur.
Nach einem halben Jahr wieder die Gitarre gestimmt: zum ersten Mal im Leben auf Open D. Angenehm simpel mit 3 von 6 Saiten als D, leider als Begleitung zum A-Hobel erst bei Kapo im 5. Bund verwendbar.
Memo to myself: Open G — noch primitiver, und der Kapo reicht im 2. Bund. Auch mit 3 Saiten als D. Die Physik ist ein schwieriges Fach.
Offene G-Stimmungen im Vergleich: Beweisstück A: Joni Mitchell auf Hunter, live 1970:
Beweisstück B: Keith Richards auf Brown Sugar, live 1972:
Wie viele Zeitungsartikel trifft man im Laufe eines Lebens, die einen auf Jahrzehnte hinaus beeindrucken? Es läppert sich. An einen meiner persönlichen drei wurde ich gerade kürzlich erinnert, als Hedwig Müller, die Wirtin vom Kropfersrichter “Happy-Rock” (an der B 85 bei Sulzbach-Rosenberg, wer’s kennt), 92 (in Worten: zweiundneunzig) wurde:
Das sind die die Sachen, die Kultur ins Leben und Leben in die Kultur tragen, oder genauer: lebenswert machen. Und sie bestehen unabhängig von Lebensalter und Region:
Minutenlange Gitarrensoli, Ausdruckstanz, Mädchen, die Luftgeige spielen — im “Mobile” in Bad Salzdetfurth ist alles erlaubt, was in der Großstadt noch als uncool gilt. Und das ist gut so. Ein Abend in der Rock-Disco
Mittwoch ist Rockdisco-Tag. Um 20.30 Uhr wird ein solider Mainstream-Film (Flatliners) gezeigt und anschließend gerockt, so einfach ist das. Also fährt Andreas mit mir am Mittwochabend nach Bad Salzdetfurth ins Mobile. Gestern habe ich behauptet, dass uns eine Renaissance der harten Rockmusik und ihrer Gitarrenvirtuosen bevorsteht. Andreas, Musikexperte und langjähriger Gitarrist, schüttelte den Kopf und belehrte mich, dass der Hardrock kontinuierlich neben allen musikalischen Moden in einem Paralleluniversum zelebriert werde: “Das ganze Gerede von Clubculture und performativer Feier des Körpers ist doch Quatsch. Ich zeige dir, wo der Körper mit all seinen Schwächen wirklich gefeiert wird!”
Nur wenige Fahrzeuge sind auf der Landstraße unterwegs, dann tauchen links und rechts die Salzberge und Kalifabriken der Kurstadt auf. Das südniedersächsische Bad Salzdetfurth teilt mit Lüdenscheid den Ruhm, durch einen Komiker bekannt geworden zu sein. Dort war es Loriots “Herr Müller-Lüdenscheid”, hier Harald Schmidt, der in Schmidteinander regelmäßig fiktive Zuschauerbriefe von “Gabi aus Bad Salzdetfurth” verlas. Es gibt wirklich nicht viel in Bad S., außer Salinen und Rentnern im Sommer und seit über 30 Jahren das Mobile, eine “Hard Rock, Funk, Reggae, New Wave”-Discothek, die laut Eigenwerbung “Famous & Fantastic” ist. Wir parken auf dem hauseigenen Parkplatz mitten in einem Wohngebiet, wo man sich traditionell noch im Auto zur elfminütigen Live-Version von Stairway To Heaven eine Grastüte reinzieht.
“Voilà”, sagt Andreas, “willkommen im Uterus des Rock ‘n’ Roll!” Von innen erinnert das Mobile an die Scheune auf dem Cover von Neil Youngs Harvest. Links und rechts erheben sich Emporen mit alten Polstersesseln, und in der Mitte liegt die Tanzfläche, kurz: ein Raum, in dem in amerikanischen B-Movies Dorfversammlungen abgehalten werden, wenn eine Invasion der Außerirdischen droht. Auch hier versammelt sich eine Gemeinde, und was sie eint, ist die Liebe zur Gitarrenmusik alter Schule. Die Wände sind mit kultischen Motiven aus den siebziger Jahren, der großen Zeit der Supergruppen, geschmückt. Es gibt ein aufwändiges Dark Side Of The Moon-Fresko, und an der Decke hängt zwischen kokonartigen Lampions ein fliegender Stuhl des Yes-Designers Roger Dean. Und dann ist da noch eine Wandmalerei, ein Fensterblick auf die offene See, die rhythmisch von einem Scheinwerfer angestrahlt wird. Man spürt, dass dies hier ein magischer Ort ist, ein Teil vom Netzwerk des geheimen Lebens. Denn solche Etablissements existieren überall, heißen Point One, Exit, Farmer’s Inn, Rockfabrik oder Schlucklum und liegen in Dörfern wie Uetze oder Lucklum, doch sind sie außerhalb ihrer Klientel nicht bekannt. Anders als bei Techno handelt es sich um eine Subkultur ohne Lobby, das ist der wahre Untergrund: Für den Rockdisco-Besucher ist der ästhetische Code der Großstadt ungültig. Trotz der realen und medialen Vorherrschaft der Clubculture nimmt er sich das Recht, nach wie vor uncool tanzen zu gehen.
Die Liturgie ist dabei genau festgelegt, denn der DJ darf keine eigenen Platten mitbringen, sondern muss sich aus dem Repertoire bedienen, das alle Favoriten der Mobile-Stammgäste enthält. Nirgendwo sonst könne der DJ es sich erlauben, mit verschränkten Armen neben seiner Holzbude zu lehnen, während ein Musikstück läuft, sagt Andreas, der uns erst mal zwei Flaschen Einbecker Brauherrenpils holt. Verglichen mit dem Kopfhörer-Heftpflaster-Reinhör-Markier-Gewese des Techno-DJs, ist es schon extrem lässig, so im Westernerstil an der Saloontür zu lehnen und auf das einsame, weite Land der Tanzfläche zu blicken. Zu Mike Oldfields verspielten Gitarrensoli will und kann nun mal niemand tanzen, doch ein selbstbewusstes Lächeln steht im Gesicht des DJs. Er vertraut auf die Kracher, die er sich am Musikpult zurechtgelegt hat. Dann tritt er ins Innere der Holzbude, lässt eine Platte aus der Hülle gleiten und legt sie auf.
Schon springen die Aficionados von allen Seiten herbei und tanzen in Jeansjacken und Lederwesten zu langen Passagen von Aphrodite’s Childs Konzeptalbum 666 und anderen Liedern von ungeahnter Tanzbarkeit wie Tori Amos’ Cornflake Girl. Auf den Bänken und Amphitheaterstufen rund um die Tanzfläche sitzen dunkel gekleidete Gestalten mit angezogenen Beinen, hier und da glimmen selbst gedrehte Zigaretten. Man kann im Mobile sowohl ekstatische Lebenslust wie apathisches Abhängen beobachten und fragt sich, wieso Vergnügen und Langeweile so eng miteinander verknüpft sind. Liegt es daran, dass die Rockdisco-Nacht streng ritualisiert ist? Schließlich werden nur bekannte Lieder gespielt, die immergleichen aus dem langsam nur sich erweiternden Rockdisco-Kanon. Es fehlt der Reiz des Neuen, der sonst ein wesentlicher Bestandteil von Jugendkultur ist. Hier jubeln die Tanzenden, wenn ihr Lieblingslied kommt, und hüpfen dann auf und ab, als wollten sie den Boden nie wieder berühren.
Das Getränk zur Langeweile ist ein vorgeblicher Muntermacher: Kaffee. Den gibt es draußen an der Theke im Foyer, vor der eigentlichen Disco. Man verkauft selbst gebackene Pizza, und es läuft andere Musik, meistens AC/DC. Am Tresen stehen unscheinbare Typen in Jeans und Lederblousons, die einen Becher Kaffee nach dem anderen bestellen, den der VoKuHiLa-Wirt aus einer chromsilbernen Tanksäule abzapft. An Kicker und Flipper hängen ein paar junge Einheimische rum, die so aussehen, als hätten sie schon mal bei H & M eingekauft: die Jungs in Cargopants, die Mädchen in Flokati-Jacken. In Bad Salzdetfurth gibt es halt nichts anderes, wo man abends hingehen kann, auch deshalb landet man in der Rockdisco. Das war früher im Sauerland nicht anders: Jede Freitagnacht galt es, eine Mitfahrgelegenheit nach Oberbrügge ins Infinity zu finden. Man überzeugte den starken Mann an der Kasse, dass man schon 18 war, trank Flensburger, stand blöd rum und fragten den DJ, ob er “was von Living Colour” da habe.
Zurück auf die Tanzfläche: Hippiemädchen in Batikpullovern und Lederwesten tanzen wie Waldgeister am Tor zur Dämmerung, was ihnen zur Vollkommenheit noch fehlt, sind die Panflöten; ein junger Mann läuft auf der Stelle, er befindet sich, comichaft wild gestikulierend, auf der Road to Nowhere und wird so schnell keine Ausfahrt finden. Ein Enddreißiger in erdfarbenem Strickpulli tanzt schlangenhaft, als sei er schon oft in einem indischen Ashram gewesen, vielleicht zu oft. Aber das ist ja gerade das Sympathische, dass die körperlichen Unzulänglichkeiten hier keine Rolle spielen. Wenn einer kein Taktgefühl hat, dann springt er halt am höchsten, und es ist voll in Ordnung.
“Da drüben!”, unterbricht Andreas meine Vision. “Das Hippiemädchen spielt Luftgeige!” Tatsächlich: Barfuß tänzelt sie im weiten Batikhemd über das irische Moos und lässt ihre imaginäre Fidel erklingen. Wahnsinn. Sie zeigen einem hier, was man mit Popmusik machen kann, nämlich alles: Zu einem berserkerhaften Gitarrensolo haken sich zwei hagere Woodstock-Veteraninnen mit Zöpfen unter und rasen in einem Folkloretanz der Trance entgegen.
Spät in der Nacht spielt der DJ dann noch Lieder von Faith No More, den Smashing Pumpkins oder Depeche Mode. Durch die Veränderung weniger Parameter wie Ort, Zeit, Lautstärke und Reihenfolge können Songs ihre Bedeutung vollständig verändern. Zu Californication von den Red Hot Chili Peppers, das man morgens entspannt beim Zeitunglesen hört, wird hier wild abgerockt. Es ist nicht etwa Nostalgie, die die Menschen seit nunmehr drei Jahrzehnten ins Mobile lockt, sondern die außerzeitliche Übereinkunft einer exklusiven Gesellschaft, deren Erkennungszeichen das Gitarrenriff ist. So greift man auf die Musikgeschichte von den Rolling Stones (Satisfaction) bis zur Bloodhound Gang (The Bad Touch) zu, und so hat es auch Fat Boy Slim ins Mobile geschafft. Der Rockafeller Skank wäre schließlich der kleinste gemeinsame Nenner, wenn Clubber und Rocker eine ökumenische Party schmeißen müssten. Aber dazu wird es hier so schnell nicht kommen. Denn sollten sich die Guitarreros aus ihren Gräbern erheben, um einen Rachefeldzug gegen die Clubculture zu starten, dann wird das Mobile ihr Hauptquartier sein.
Playlist der angeführten Lieder:
Playlist typischer Bauerndiscolieder, die seit 2000 in die Repertoires vorgelassen wurden (kurz, aber von besonderer Hupfbarkeit):
Und weil gerade noch halbwegs Zeit für was Sommerliches ist, ein großer Filmmoment, der erst von 2017 stammt, bei dem man also staunt, dass er schon in der Qualität veryoutubt wurde, und der wohl bleiben wird: Harry Dean Stanton hat 89-jährig ein großes Solo mit Unterstützung der FamilieLynch erhalten, und wo immer Lucky auftaucht, soll man ihn durchlaufen lassen und mal 88 Minuten fein stille schweigen, damit man bemerkt, was aus der Schildkröte im Vorspann noch wird (nein, keine Suppe oder so, wir sind ja nicht bei Tarantinos).
Schon den halben Film wert ist, wie “Lucky” Stanton seinen Abgang als Geschenk an einen Zehnjährigen singt, der als einziger nicht zuhört. Der Text von Vicente Fernández erscheint hier in korrekter Versaufteilung, weil die bisher auffindbaren Versionen vermutlich voneinander abkopiert sind und alles durcheinanderwürfeln (offenbar muss ich das immer bei Liedern mit mexikanischem Bezug machen). Verständlich wird alles beim Google Translator:
——— Harry Dean Stanton:
Volver volver
aus: Lucky, 2017:
Este amor apasionado, anda todo alborotado por volver Voy camino a la locura y aunque todo me tortura se querer.
Nos dejamos hace tiempo pero me llego el momento de perder Tu tenias mucha razón, le hago caso al corazón y me muero por volver.
‘Y volver, volver, volver a tus brazos otra vez Llegare hasta donde estés Yo se perder, yo se perder, quiero volver, volver, volver.’
Nos dejamos hace tiempo pero me llego el momento de perder Tu tenias mucha razón, le hago caso al corazón y me muero por volver.
‘Y volver, volver, volver a tus brazos otra vez Llegare hasta donde estés Yo se perder, yo se perder, quiero volver, volver, volver.’
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