Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: November 2010

Fearful Symmetry

Das Schockierende ist doch, dass in jedem lieben Jahr ein ganzer von gerade mal zwölf Monaten verbraucht wird, um auf die restlichen elf zurückzublicken. Na gut, fangen wir schon mal an. Schockierend weiterhin: dass aller paar Jahrzehnte die Päpste meinen, über den korrekten Gebrauch von Lümmeltüten mitgackern zu müssen. Am schockierendsten: das Ausmaß, in dem der Tiger an sich über seine Verhältnisse gelebt hat, dass er eine eigene Krisenkonferenz braucht, und zwar nicht in einer Taverne am Fuße des Olymp, nicht in einem Pub am Glen O’Doodledeedaigh, nein: im alten Leningrad, weil er kein EU-Mitglied ist. Den Tiger in Hellabrunn trifft man nämlich nie. Im Dezember wär’s bestimmt günstig, weil da alle mit Zurückblicken beschäftigt sind. Eine gesegnete Adventszeit.

Wie den jungen starken Wolf, der dem Ruf der Wildnis folgt

Die Apachen erzählen sich von einem Mann, der eines Morgens beim Aufwachen einen Falken über sich fliegen sah, aufstand und ihm hinterherlief. Nach seinem Tod giftete seine Frau ihn in der Geisterwelt an, warum er denn damals nicht zurückgekommen sei. Wahrheitsgemäß antwortete er: “Na, der Falke ist immer weiter geflogen.”

Oder waren’s die Hopi? Gleichviel: In jedem Manne, vielleicht sogar in jedem Menschen wohnt der Drang, sein oder ihr Leben mit etwas anderem zuzubringen als er oder sie es gerade tut. Einem Falken hinterherzulaufen bedeutet, ein paar Millionen anderer Sachen zu unterlassen; Werbung zu treiben bedeutet, weder einem Falken hinterzulaufen noch die Olympiahalle zu rocken noch Jessica Alba beizuschlafen. Und das sind wenige Beispiele von Abermillionen.

Was den Menschen davon abhält? Es sind die ewig gleichen Dinge: Man hat doch jetzt schon was anderes angefangen, das man lieber nicht liegen lässt, die Frau gibt Widerworte, und Jessica Alba könnte unter Umständen ein ganz schön verwöhnter Zinken sein. Man bleibt also zu Hause, schaut vorüberziehenden Falken hinterher und bescheidet sich. Das ist immerhin nicht die dümmste von all den Millionen Möglichkeiten.

Man betrachte allein, was es alles zu bloggen gäbe: unsachgemäße Tiertransporte, Vorbereitungen von Angriffskriegen, die Auswahl der YouTube-Filme, die man noch anschauen darf, die Zuverlässigkeit der Kölner Ausgabe von Heinrich Böll, you name it. Was dagegen unternimmt man wirklich? Schreibt Bücher darüber, wie man seinen Facebook-Account kündigt, ja gar sein Internet abschafft. So sehen die Heldentaten der Gegenwart aus: wie Unterlassungen. Die Welt nach Web 2.0 gleicht dem Falken, der auf dem Singenden Draht ausruht.

Süddeutsche-Artikel Vroni hingeschoben. Zurückbekommen mit dem Bleistifteintrag darunter: “*zustimm*” Moritz hat sich darunter verewigt: “*lol*”. Recht hat er.

Pausenkasper: Tom Astor: Flieg junger Adler, 1990.

Женщина с 5 слонов

Светлана Михайловна Гайер, geborene Иванова, ist ja jetzt auch gestorben. Die Dame kam immer namentlich vorne in den russischen Büchern vor: Swetlana, das war bestimmt jemand, der „die Russen“ übersetzen sollte, außerdem heißen nur sehr schöne Frauen Swetlana.

Sie hat es zu einem dokumentarischen Kinofilm gebracht, gerade erst 2009, vielleicht hat jemand was geahnt: Die Frau mit den 5 Elefanten (und falls das etwas ausmacht: Sie war mal hübsch), und in ihrer bildlichen Erscheinung erinnert sie in ihrer Weisheit noch mehr an die andere, noch nicht so lange verstorbene Übersetzerpersönlichkeit, Erika Fuchs (ohne Kinofilm, dafür ist ihr Museum in Schwarzenbach an der Saale in Arbeit). Frau Geier ist nicht mit sinnigen Sentenzen und windigen Weisheiten so präsent ins kollektive Gedächtnis gedrungen – Russenromane, die ohne weiteres als „Elefanten“ durchgehen, sind was für einen langen Atem.

Heute ist einzige brauchbare Übersetzung der Märchensammlung von Afanassjew die von ihr; man stößt also oft auf sie, wenn man russische Märchen sucht. Das mag anders gewesen sein, als ein erheblicher Prozentsatz der Deutschen vierzig Jahre lang zum Russischlernen gezwungen wurde. Bei mir vergilbt immer noch ein Stoß russischer Märchen mit betont groben Holzschnitten, übersetzt von namenlosen Wortarbeitern volkseigener Kombinate, die Winkler-Ausgabe von Frau Dr. Geier ist sonniger. Von ihr wird die Unverschämtheit bleiben, mit der sie die Dostojewski-Romane umbenannt hat, dass es selbst – ich war dabei – gestandene Buchhändlerinnen zerlegt: „Ach, das heißt jetzt ‚Verbrechen und Strafe’.“

Ja, „Преступление и наказание“ heißt seit auch schon wieder 15 Jahren „Verbrechen und Strafe“. Weitere 15 Jahre geb ich uns, bis die jungen Lesefröschlein gar nicht mehr „Schuld und Sühne“ sagen. Bis jetzt hört man immer nur: „Öch joh, Rüss’sch, ds hobsch moh gölärnt, obrsch könn dös nüsch moh mäh läääsn.“

Sie wäre noch gebraucht worden.

Dokumentation, die man nicht einbetten darf, weil das sonst teuer wird: Die Frau mit den 5 Elefanten.

Diese Woche gelernt:

  • Ich bin zu alt, um noch Bücher von Leuten zu lesen, bei denen es nicht mal zu einer Gesamtausgabe bei Hanser gereicht hat.
  • Menschen unter 21 sind nicht sehr helle.
  • Katzen sitzen gern in Pappkartons.

Viel mehr ist da nicht.

Soundtrack: Spillsbury: Die Wahrheit
(“Schon gut — ja, ich weiß jetzt, was du meinst.
Na klar — war doch alles trotzdem gut.
Hau rein — und ich kenn ja dein Gesicht und find dich immer wieder.”),
aus: Raus, 2003.

Vernünftiges Marketing geht anders

 

Neulich erreichte mich eine typische Anfrage mit der Bitte um ein klares Preisangebot. Im cc waren zu sehen: noch zwei andere Textanbieter :-) Und schnell sollte es gehen. Es sei dringend.

Ich zurückgemailt, dass klares Preisangebot gerne, aber derzeit nicht, da keine klare Beschreibung der Aufgabe und kein klarer Auftragsumfang vorliegt.
Den bekam ich dann, aber sehr kurz und sehr, was soll ich sagen, wenig aussagekräftig. Es kam mir vor, wie wenn man nach Textmenge bezahlen wollte, 1 Wort = xx Cent. Man wollte jedoch: 1 neues Unternehmensprofil und neue Texte für die Website. Vielleicht auch nur ein schöner flotter Text für den index. Ah ja.

Telefonierte zurück, dass sie, wenn sie wirklich 1 neues Unternehmensprofil wollten, welches funktioniert, dass das in ihrer engen und abgegrasten Branche kein Zuckerschlecken sei und sie mit mind. 2000-3000 EUR rechnen sollten, da Recherche, Wettbewerbsbeobachtung, SWOT, Positionierungs-Ansätze, Charts dazu, Strategie- und Marketingüberlegungen dazukommen würden et al. Pause in der Leitung, aha, vermutlich war ihnen das zu teuer. Aber kaum aufgelegt, dachte ich mir, uups, jeder Konzepter, jede Unternehmensberatung würde jetzt über mich lachen, einen dermaßen günstigen Schnappen angeboten zu haben. Sie würden mind. 5000-10 000 berechnen. Ich ärgerte mich.
Aber denen waren 2000-3000 zu teuer, also was soll’s.

2 Tage später kam, dass sie sich jemand anders ausgesucht hätten. Da ich ja weiß, wer diese Kandidaten sind, konnte ich mir schwer vorstellen, dass da allzuviele drunter sind, die ein bisschen Ahnung haben, was es bedeutet, ein strategisches Unternehmensprofil für einen engen Markt zu erstellen, nämlich eine Heidenvorarbeit und nicht erfinderisches Schöntexten. Hallo, sind wir im Supermarkt? 1 mal Waschmittel bitte, aber bitte keine teueren Megaperls, die knacken immer so beim Essen? Hallo?

Wer immer da – noch – günstiger als ich Dumme angeboten hat, oder gar selber getextet hat auf die Schnelle: Ein Unternehmensprofil formulieren, welches funktioniert, ist nicht: Corporate-Schönschwatz abliefern oder ratzfatz, um auf Teufel komm raus Kunden zu kriegen, Billigpreisangebote hypen. Das ist der Anfang vom End’, wie man in Bayern zu sagen pflegt. Wie zum Teufel wollt ihr das hinkriegen, wenn es für den ROI wirklich etwas taugen soll? Wenn es, wie der Auftraggeber sogar selber formuliert, Konversion und Kunden bringen soll, also übersetzt: wirklich attraktive Alleinstellungsmerkmale haben soll, den Markt verstanden haben soll?

Die Website des Anfragers ist http://www.°°°.com/, mit veralteten, suchmaschinenunfreundlichen Frames (!), wobei sie – irritierend – sogar selber Suchmaschinenoptimierung anbieten (sic) und wirbt seit heute mit “Preiswerte Webseite schon ab 25 EUR“, aber hallo. Komma- und “Pläng”-Fehler darinnen ohne Ende. Vorgestern war noch ein anderer Text drauf. War’s das jetzt? Soll dieses Billigreißerangebot mit dem Geldwäschersatz “Effektive und effiziente Geldanlage” im Metatag Description ein attraktives Unternehmensprofil bewerben und wenn ja welches? Ich werde bei Gelegenheit wieder mal vorbeisurfen, versprochen. Gucken, was Kollegas für Umme so texten tun. Am Ende aber ist der heutige Text bereits der gelieferte, hüstel. Dann gehe ich mal fremdschämen.

Oder ist alles im Web eh nur a Gschmarri. (Könnt’ ja sein, in letzter Zeit drängt sich mir dieser Eindruck gehäuft auf.)

Dann hab ich nix gesagt.

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Update (07.08.2008):

Sie haben den Stecker gezogen. http://www.°°°.com/ ist nicht mehr aufrufbar.

 

UPDATE 2 (16.12.2011:

 

Gerade erreicht mich diese Mail deren Geschäftsführers

“Sehr geehrte Herr und Frau Gräbel, ich bitte Sie unverzüglich alle Ihre absichtlichen, meinem Geschäft ausdrücklich schadenden Texte über mein Unternehmen zu löschen sowie deren Löschung aus dem Google-Cash zu beantragen.

Folgender Text auf http://the-missinglink.blogs.com/logisches/200x/0x/xxx

https://blog.vroni-graebel.de/logisches/xxx

sowie alle anderen Texte von Ihnen bezüglich meines Unternehmens sollen sofort und spätestens bis am 22.12.2011 gelöscht werden.

Dass Sie völlig grundlos mein Unternehmen schlecht machen und widerrechtliche Werbung meines Unternehmens betreiben, hat folgende negative Auswirkungen auf mein Geschäft: http://www.°°°.com/topic.html

Ferner sollen Sie diesen Link auf dem °°°-forum, welches mein Unternehmen negativ darstellt, auch entfernen. Wenn meine Forderungen Ihrerseits nicht eingehalten werden, so werde ich rechtliche Schritte gegen Sie einleiten.

Mit freundlichen Grüßen,

X. Y. Geschäftsführer Fa. xxx-xxx

E-Mail: info@xxx.com Skype: xxxxx-xx

Tel./Fax: xxx / xxx xx xx Web: www.xxx.com ”

 

Mein Kommentar dazu:

Wie soll ich den Link im Forum bitte entfernen, geht nicht. Bin nicht der Webmaster dort. Kann ihn drum bitten, aber es liegt nicht in meiner Macht, dass er es auch durchführt.

Werde jedoch die Links hier zu Ihrem Unternehmen, Herr Y, wegtun. Das kann ich Ihnen vorschlagen. Den alten Artikel (mit dem funktionierenden Link) aus dem Google-Cache herausnehmen, kann ich Ihnen auch machen. Hinweis: Die Links entferne ich nur deswegen, weil ich keinerlei Lust auf einen Rechtsstreit habe.

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