History, Stephen said, is a nightmare from which I am trying to awake.
Zwoter Zwoter Zwanzigzwozwo: 100 Jahre Ulysses von James Joyce. Das sind die historischen Ereignisse, die wir brauchen. Wer mal bis zur Puffszene durchgehalten hat, weiß, dass sowas schon verstörend genug ist.
“Mr. Joyce, was haben Sie während des Ersten Weltkriegs gemacht?”
“Ich habe ‹Ulysses› geschrieben. Und was haben Sie gemacht?”
Als Soundtrack beliebt einem Spotify mit der Musik, die in Ulysees vorkommt, der Musik, die während dessen Lektüre zuträglich sei, und der Musik, die sich auf Werk und/oder Autor bezieht, auch ohne meine laienhaften Vorschläge den Bildschirm einzubranden; Frank T. Zumbach fürs Jahrbuch der Zürcher James-Joyce-Stiftung 2022 (Veröffentlichung anstehend) kommt auf etwas zwischen 350 und 400 Lieder, auf die über die 1014 Seiten (Wollschläger-Übertragung als Suhrkamp-Taschenbuch 1981) zumindest Bezug genommen wird. Wenn einem das avantgardistische Lesen zu blöd wird, kann man also tagelang Spotify vor sich hin leiern lassen und immer noch sagen, man habe sich eingehend mit Ulysses beschäftigt. Das Sozialprestige für solchen Ehrgeiz sollte seit 1922 stark nachgelassen haben – aber immer noch besser als Kriege anzetteln.
Drama film loosely based on James Joyce’s 1922 novel: Fred Haines & Joseph Strick: Ulysses, 1967, Dubliner Originalschauplätze, Oscar-Nominierung für adaptiertes Drehbuch:
Und jetzt, während dieser Eindruck in mir wuchs, kam schließlich das Grauen – Grauen in einem Maße, wie keine Worte es vemitteln können. Trotzdem behielt ich meinen Stolz, wenn nicht sogar Mut, und in Gedanken sprach ich zu mir: “Dies ist wohl Grauen, aber es ist nicht Furcht; solange ich mich nicht fürchte, kann mir nichts geschehen; meine Vernunft bestreitet die Existenz dieser Erscheinung, es ist eine Illusion – ich fürchte mich nicht.”
Als Multiple choice chronologisch zum Ausdrucken und Ankreuzen:
□ E. A. Poe, 1842
□ E. G. Bulwer-Lytton, 1856
□ H. P. Lovecraft, 1926
Googeln müsste nach meiner Stichprobe zwecklos sein, ich hab den Klotz noch papierförmig.
Wer richtig liegt, darf sich in der Konditorei seines*ihres Vertrauens eine Torte seiner*ihrer Wahl kaufen. Buttercreme! Marzipan optional, wenn dabei steht, wo es her ist! Der Einsendeschluss ist nach hinten offen.
Soundtrack des Grauens: Bridge City Sinners – Devil Like You, aus: Unholy Hymns, 2021:
Petersil und Suppenkraut gerebelt von Hela, Mautner, Ostmann im Regal neben den frischen Koriander, Blätterknoblauch, Portulak in Plastiktöpfen auf einem Tablett, in dem das Gießwasser unter den Klarsichtfolien schwimmt, und die türkischen Verkäufer haben keine Ahnung, wer oder was ein Liebstöckel ist, haben aber gelernt, dass “Wollen verarschen?” nicht im Repertoire der Kundenberatung vorkommt, Frau Aja hätte aber gelten lassen, was da ist, und mich meine Laubfrösche kochen lassen, wie es geht, und aus ihrem Buben ist damit auch noch was geworden.
Zutaten 12 Mangoldblätter, 2 (altbackene) Brötchen, 1 Zwiebel, 2 Knoblauchzehen, 2 EL Butter, 1 Bund Petersilie, 2 Eier, 2 Zweige Liebstöckel, 300 g Hackfleisch, Salz, Pfeffer, Pimentkörner, ½ l Gemüsebrühe
Die Mangoldblätter werden entstielt, gewaschen und mit kochendem Wasser überbrüht. Danach solten sie in eiskaltem Wasser abgeschreckt werden und gut abtropfen.
Für die Füllung wird die fein gewürfelte Zwiebel mit dem Knoblauch in Butter weich gedünstet — ohne sie zu bräunen. Die Brötchen in Wasser oder Milch einweichen und ausdrücken. Dazu gibt man die Eier, die gehackten Kräuter und das Fleisch. Alles sollte gut gewürzt und gründlich miteinander vermengt werden. Etwa ein Löffel dieser Masse wird auf ein Mangoldblatt gegeben und darin eingewickelt. Jetzt werden die “Laubfrösche” mit Mehl bestäubt, in der Pfanne kurz angebraten und dabei vorsichtig gewendet. Zum Schluss mit Brühe auffüllen und die Wickel etwa 20 Minuten darin garen lassen.
Eine Variante: Die Blätter mit einer Masse aus 2 Eiern, Semmelmehl und frischen Gartenkräutern füllen, mit Mehl bestäuben und anbraten. Dazu werden Bratwürste gereicht.
Soundtrack:Theodor Shitstorm im Garten von Pogel und Marion: Ratgeberlied aus: Sie werden dich lieben, 2018, mit der einzig richtigen Anweisung für Kochrezepte:
So weit meine Ratschläge, merk sie dir gut: Es ist wichtig, dass man das exakte Gegenteil tut.
Der Text ist raffiniert genug für die volle Lautstärke und das Video für den Vollbildmodus:
Gehört schon lange mal gesagt: Die Quintessenz des Antirassismus stammt von 1844, es spricht “der große Nikolas / Mit seinem großen Tintenfaß” in der Geschichte von den schwarzen Buben:
Was kann denn dieser Mohr dafür, Daß er so weiß nicht ist, wie ihr?
Ja, was? — Die Davidsterne in der Illustration dazu bestehen erst — oder schon — seit 1859. Das gesamte Korpus gilt heute als schwarzpädagogisch; Angehörige von anderen als deutschsprachigen Kulturen können es überhaupt nicht fassen, dass Minderjährige mit Handlungsverläufen, in denen die Amputation beider Daumen und Verbrennung bei lebendigem Leib als erzieherische Maßnahmen durchgehen, geängstigt werden. 1844 ff. war es offenbar notwendig, dass ein Psychiater, der sich aufs Ersinnen von Paarreimen und deren Illustration versteht, seine Geschichten so weit überspitzt, dass sie lange genug überleben, und sei es als abschreckendes Beispiel.
Mehr gibt es über Rassismus und seine Gegenseite nicht zu wissen. Mein Liebling war natürlich trotzdem immer Die Geschichte vom fliegenden Robert, und seit Hans Magnus Enzensberger weiß ich sogar, warum.
Der ganze Horror, FSK 6: Der Struwwelpeter, Deutschland 1955, mit Wulf Rittscher als Nikolas:
Soweit ich das überblicke, sind inzwischen die ganzen Blogs, in denen einer darüber berichtet, wie er Auf der Suche nach der verlorenen Zeit liest, aufgegeben bis gelöscht. Genau genommen handelten alle davon, wie einer es nicht liest. Fleischlich, nein: digital vorhanden sind noch:
Marcel Proust hätte schon wieder zwanzig Seiten darauf verwendet, ob einen Langzeitversuch zu einer Unterlassung aufzugeben eine sinnvolle Unternehmung ist oder nicht.
Soundtrack: Die Sonate, die es nicht gibt, von einem Komponisten, den es auch nicht gibt: La Sonate de Vinteuil, 1913, wiedergegeben in Le Temps retrouvé, 1999:
December 30th, 2020 to January 6th, 2021, version as performed as inaugural poem for Joseph R. Biden Jr. on January 20th, 2021, from: The Hill We Climb, Viking Books for Young Readers, September 2021:
When day comes we ask ourselves, where can we find light in this never-ending shade? The loss we carry, a sea we must wade We’ve braved the belly of the beast We’ve learned that quiet isn’t always peace And the norms and notions of what just is Isn’t always just-ice And yet the dawn is ours before we knew it Somehow we do it Somehow we’ve weathered and witnessed a nation that isn’t broken but simply unfinished We the successors of a country and a time Where a skinny Black girl descended from slaves and raised by a single mother can dream of becoming president only to find herself reciting for one And yes we are far from polished far from pristine but that doesn’t mean we are striving to form a union that is perfect We are striving to forge a union with purpose To compose a country committed to all cultures, colors, characters and conditions of man And so we lift our gazes not to what stands between us but what stands before us We close the divide because we know, to put our future first, we must first put our differences aside We lay down our arms so we can reach out our arms to one another We seek harm to none and harmony for all Let the globe, if nothing else, say this is true: That even as we grieved, we grew That even as we hurt, we hoped That even as we tired, we tried That we’ll forever be tied together, victorious Not because we will never again know defeat but because we will never again sow division Scripture tells us to envision that everyone shall sit under their own vine and fig tree And no one shall make them afraid If we’re to live up to our own time Then victory won’t lie in the blade But in all the bridges we’ve made That is the promised glade The hill we climb If only we dare It’s because being American is more than a pride we inherit, it’s the past we step into and how we repair it We’ve seen a force that would shatter our nation rather than share it Would destroy our country if it meant delaying democracy And this effort very nearly succeeded But while democracy can be periodically delayed it can never be permanently defeated In this truth in this faith we trust For while we have our eyes on the future history has its eyes on us This is the era of just redemption We feared at its inception We did not feel prepared to be the heirs of such a terrifying hour but within it we found the power to author a new chapter To offer hope and laughter to ourselves So while once we asked, how could we possibly prevail over catastrophe? Now we assert How could catastrophe possibly prevail over us? We will not march back to what was but move to what shall be A country that is bruised but whole, benevolent but bold, fierce and free We will not be turned around or interrupted by intimidation because we know our inaction and inertia will be the inheritance of the next generation Our blunders become their burdens But one thing is certain: If we merge mercy with might, and might with right, then love becomes our legacy and change our children’s birthright So let us leave behind a country better than the one we were left with Every breath from my bronze-pounded chest, we will raise this wounded world into a wondrous one We will rise from the gold-limbed hills of the west, we will rise from the windswept northeast where our forefathers first realized revolution We will rise from the lake-rimmed cities of the midwestern states, we will rise from the sunbaked south We will rebuild, reconcile and recover and every known nook of our nation and every corner called our country, our people diverse and beautiful will emerge, battered and beautiful When day comes we step out of the shade, aflame and unafraid The new dawn blooms as we free it For there is always light, if only we’re brave enough to see it If only we’re brave enough to be it
Soundtrack: Aretha Franklin: Think, from: Aretha Now, 1968, as performed in: The Blues Brothers, 1980:
Man kann es ja gar nicht einfach genug erklären. In diesen Tagen, als Der Donaldist 158 verschickt wurde, ist mir auch wieder eingefallen, was ich über BWL weiß. Alles auf einmal. Es passt auf zwei Bilder, dabei kommen die nicht mal im DD 158 vor.
Sie kommen vielmehr vor im Entenhausener Bericht Eine würzige Geschichte, i. e. Carl Barks: A Spicy Tale, 1962, übersetzt von Dr. Erika Fuchs für Micky Maus 28, 1963. Dagobert Duck sucht als Begleiter des Entwicklungshelfers Donald (der sich auf Spinatkochen und Bongotrommeln versteht), die knapp gewordenen Muskatnüsse bei den Muskateller-Indianern am Amazonas (die sich viel eher für die Fertigkeit des Geldverdienens interessieren), um sie nicht zuletzt für seinen eigenen Bedarf an Muskatnusstee direkt aus dem Urwald zu exportieren:
Der verdiente Donaldist Andreas Platthaus nimmt Dagoberts Auffassung von Vermögensbildung, die in der BWL Schatzbildung heißt, ernst — in: Die Kunst, Geld anzuhäufen, Jungle World, 6. November 2008:
Ein Großteil des Duckschen Geldes arbeitet nicht. Es genießt vielmehr den Ruhestand und dient vor allem sentimentalen Gefühlen seines Besitzers. So findet sich tief im Geldspeicher unter unzähligen anderen Münzen vergraben ein Fass mit der ersten Million Dagobert Ducks, die dieser »noch heute nicht ohne Rührung betrachten kann«. Dass auch der erste selbstverdiente Taler noch in seinem Besitz ist, dürfte sogar oberflächlichen Kennern Entenhausens bekannt sein. Man darf aber vermuten, dass frisch verdientes Geld von Dagobert Duck generell nicht wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt wird. Man rufe sich nur einen Satz in Erinnerung, den er beim Betrachten einer einzelnen Münze aus seinem Vermögen äußerte: »Oh, das Geldstück kenn’ ich. Das ist das, was ich damals auf der Weltausstellung 1907 nicht ausgegeben habe.«
Dieses Zitat führt ins Herz der politischen Ökonomie Entenhausens, die sowohl rätselhafte Phänomene wie die kurzfristige Bilanzschwebe als auch mittlerweile leicht nachvollziehbare wie die kreditabwürgende Unabhängigkeitstheorie kennt. Erfreulicherweise ist durch Barks und Fuchs ein Vorlesungszyklus überliefert, den Dagobert Duck als unfreiwilliger Entwicklungshelfer beim Stamm der südamerikanischen Muskateller-Indianer gehalten hat. Hören wir uns den Milliardär erst einmal an: »Zuerst muss man sich ein paar Taler sparen. Die tut man auf die Bank. Ersparnisse erfreuen das Herz des Bankdirektors. In seiner Freude legt er noch etwas dazu.« So erläutert Duck das Zinsphänomen. Es ist hier also weniger Geld, das Geld heckt, um mit Marx zu reden, als vielmehr eine Ökonomie des Wohlgefallens (man könnte auch sagen: eine Günstlingswirtschaft), die das Vermögenswachstum erst in Gang bringt. Banken fungieren dabei als grundgütige Gläubiger.
Das wirkt etwas weltfremd. Aber weiter in Ducks Vorlesung: »Mit dem geborgten Geld kauft ihr billige Waren ein und verkauft sie so teuer wie möglich.« Spätestens hier werden wir hellhörig, denn wir wissen ja, dass sich der Milliardär selbst nicht mehr verschuldet. Wir folgern daraus, dass kaum jemand so wenig berufen ist, uns den Kapitalismus zu erläutern, wie Dagobert Duck. Es gibt ein berühmtes Diktum aus seinem Munde: »Mir hat auch keiner gesagt, wie man Kapitalist wird.« Der Witz ist: Er ist es nie gewesen, denn Hortung, wie Duck sie betreibt, muss dem Kapitalismus wesensfremd bleiben. Er ist ja gerade angewiesen auf frei flottierende Geldströme, weil nur so Kapital akkumuliert werden kann.
Dagobert Duck wäre mithin gar kein Kapitalist? Platthaus braucht bedeutend länger als Duck, um seinen Standpunkt klar zu machen; normalerweise ein schlechtes Zeichen, aber Platthaus muss auch nicht in zwei Sprechblasen passen, und plötzlich gibt es einen ganz neuen Sinn, dass Dagobert andernorts, in populär gewordenen Fuchs-Zitaten eher als Plutokrat bezeichnet wird. Die Kuriosität, die den Bericht erst buchenswert macht, liegt inzwischen nicht mehr in der Grundgüte von Bankinhabern, sondern in der Grundannahme, Zinsen bedeuteten einen Zuwachs an Barmitteln.
Eine vergleichbar stringente Darstellung der Uneigennützigkeit erscheint in Entenhausen erst 1970, Dagobert kommt nicht im Bilde vor. Was immer das bedeutet.
Bilder: Walt Disney, Ehapa, Erika-Fuchs-Haus, D.O.N.A.L.D..
Keine Ahnung mehr, von wem mir das unterlaufen ist, aber offensichtlich war es am 12. November:
Wenn wir ganz und gar aufgehört haben, Kinder zu sein, dann sind wir schon tot.
Michael Ende, der heute 90 geworden wäre
Die etwas poröse Quellenangabe über den Spruch von Michael Ende atmet den Geist seiner unendlichen Geschichte von 1979, das Zitat selbst sollte wohl eher die frühere Momo von 1973 untermalen. Die unendliche Geschichte hat mich drei Jahre meines Lebens beschäftigt, indem ich Dialoge zwischen ihren Figuren fürs einschlägige Computerspiel vom Englischen ins Deutsche übersetzt hab, was auf Umwegen nötig geworden war; Momo war lange vor der Verfilmung mit Radost Bokel von 1986 mein erster Kontakt mit Herrn Endes Hervorbringungen: in der Form von Geh doch zu Momo aus der Reihe Lemmi und die Schmöker nämlich, Erstausstrahlung 1. Mai 1975, als es noch einen Monat bis zu Radost Bokels Geburt hin war. Die Momo aus der Lemmi-Folge war Léonie Thelen, die im Gegensatz zur Bokelin nicht im Playboy, sondern in der Glyptothek geendet ist.
Die Computerschmiede, in der ich “Bullshit” mit “Hühnerkacke” kulturell angenähert habe, worauf ich mir bis heute wunder was einbilde, gibt’s nicht mehr; siehe auch: Neuer Markt. Liegt wohl nicht so der Übersegen drauf, auf dem Kindersein nach Anleitungen von Michael Ende.
Soundtrack. Tocotronic: Michael Ende, Du hast mein Leben zerstört, aus: Nach der verlorenen Zeit, 1995:
“Ich bin zu dem Schluß gelangt”, ließ Wolfe sich vernehmen, “daß jeder heute lebende Mensch halb Idiot und halb Held ist. Nur Helden können in diesem verrückten Wirbel überleben, und nur Idioten wünschen sich das.”
“Nero Wolfe?” erinnert sich Vroni, “von dem Rex Stout, der mit schwarz-gelben Diogenes-Taschenbüchern aus den Siebzigern?”
“Demselben”, sag ich. “In Dolly Dolittle’s Crime Club und den Morde-Sammlungen von der weiland Hottinger.”
“Klingt doch gar nicht so mörderisch.”
“So wie die Grenze zwischen Gut und Böse ja auch nicht zwischen irgendwelchen künstlich definierten Zusammenrottungen verläuft, sondern durch jeden eigenverantwortlichen Menschen einzeln. Sogar zeitlich.”
“Wer von denen ist dann der Held und wer der Idiot?”
“Genau da trifft die individuelle auf die zeitliche Einteilung.”
Vroni zeigt sich besorgt bis entsetzt: “Bestellst du schon wieder Bücher, sag bloß?”
“Nein”, sag ich, “Möbel.”
“Wie oft noch: Wir brauchen nicht noch mehr Bücher. Wir brauchen Stauraum.”
“Deswegen ist ja das Stehpult gleich mit dabei. Das Buch ist praktisch bloß Dreingabe.”
“Um Gottes willen. Zeig.”
Zettels Traum (MIT LESEPULT !) – Buch gebraucht kaufen
MIT LESEPULT: Buche massiv, mit Zierleiste und eisernen Tragegriffen, extra gefertigt für “Zettels Traum” !! FOTOS sind vorhanden ! — Sehr gut erhalten, offensichtlich ungelesen, Schuber mit minimalen Lagerspuren: Faksimile-Wiedergabe (Frankfurt 1986, 4. Aufl.) des einseitig beschriebenen, 1334 Blätter umfassenden Manuskriptes des Werkes “Zettels Traum”, Folio (45 x 32 cm). Grüne OLwd. m. RSchild sowie Transparentumschlag (dieser mit 2 minimalen Läsuren, sonst sehr gut erhalten) mit farb. Deckelillustration “BaumMensch”, in bibliophilem HLn.-Schuber, eines von 1800 Ex., Druck nach der Erstausgabe von 1970. — Schneller versicherter Versand per DHL oder Hermes ! Versand ausserhalb Deutschlands auf Anfrage. (11480) – “Zettels Traum” umfasst 1334 mehrspaltig beschriebene Seiten, die in Form des Original-Typoskripts mit Randglossen und Handskizzen des Autors wiedergegeben sind. Der Titel verweist ironisch auf die 120.000 Notizzettel, auf denen Schmidt seine Einfälle zum Buch notiert hatte, und auf den Weber namens Zettel in Shakespeares “Ein Sommernachtstraum”. Der Roman ist ein Solitär in der Literatur des 20. Jahrhunderts, der seit der ersten Veröffentlichung 1970 großes Aufsehen erregte, wobei der Reichtum an Anspielungen bis heute nicht gänzlich ergründet werden konnte.
“Folio 45 auf 32 Zentimeter, das ist DIN A3, oder? Und davon 1334 Blätter?”
“Aber sowas von.”
“Willst du mal erleben, wie Zettels Traum 2019 gleich nochmal großes Aufsehen erregt?”
“Ist doch ohne Lieferkosten.”
“Wolfwolfwolf.”
Soundtrack: Arno Schmidt: Ultima Thule: aus: Zettel’s Traum, 1969, in: Mein Herz gehört dem Kopf, 2014:
Diese Woche gelernt: Die Bargfelder Ausgabe von Arno Schmidt ist seit seinem 105. Geburtstag um 14.00 Uhr endlich im Volltext durchsuchbar, und wenn man Krebs hat, soll man sorgfältig auf seine Eisen- und Kaliumwerte achten — nach aufsteigender Wichtigkeit oder absteigendem Gaudifaktor, je nach verbleibender Lebenszeit.
“Eigentlich”, sag ich, “eigentlich will ich mich gar nicht mit tagesaktuellen Ereignissen beschäftigen. Die haben noch nicht bewiesen, dass sie es wert sind, sich mit ihnen abzugeben.
“Wann denn auch?” sagt Vroni.
“Eben.”
“Mit was”, fragt sie vorsichtig, “würdest du dich denn gern beschäftigen — ‘eigentlich‘?”
“Och. King Lear zum Beispiel.”
“Dem vom Shakespeare? Dein Ernst jetzt.”
“Logisch. King Lear ist ungefähr von 1603, die Real-Life-Vorlage aus dem achten Jahrhundert — und zwar vor Christus — und die erste Literaturfassung von anno 1136. Die hat schon mal jemandem was gegeben.”
“Aber wem halt.”
“Naja, Shakespeare zum Beispiel …”
“Also, bevor du dich in meinem Bett mit Shakespeare zu vergleichen anfängst …”
“… red ich mich darauf hinaus, dass der sagenhafte König Lear drei heiratsfähige Töchter hat, einer schöner als die andere, und spinnt wie der besoffene Waldbär mit dem Zigarrenkistenbanjo.”
“So eifert jeder seinen Vorbildern nach, wie er kann.”
“Die Lebensweise des Waldbären ist eine der erstrebenswertesten.”
“Du weißt aber schon, wie King Lear ausgeht?”
“Schlimmer als Hamlet. Aber wenn ein fünfhundert Jahre alter Stoff für Shakespeare gut genug war, reicht für mich ein vierhundert Jahre alter allemal.”
“Wie gesagt, bevor du dich in meinem Bett mit Shakespeare zu vergleichen anfängst …”
“Wieso eigentlich nicht?”
“Eigentlich, eigentlich. Eigentlich will ich keinen stockschwulen Fremdgänger in meinem Bett.”
“Jawoll. Und eigentlich will ich 1800 verdienen.”
“1800 was? Euro?”
“Nein, heiratsfähige Töchter.”
“Hauptsache, es sind nicht deine Töchter, gell.”
“Und zwar 1800 netto.”
“Jawoll. Und vor lauter Verliebtheit bläst dir die zweitausendachthundertjährige Cordelia einen.”
“Jeden Tag.”
“Und sie schluckt sogar.”
“Vor allem stellt sie nicht in Frage, dass ich ab 2019 von keinen tagesaktuellen Ereignissen behelligt sein will.”
“Kann die überhaupt den redaktionellen vom Werbeteil unterscheiden? Die ist doch bestimmt nicht mal volljährig, oder?”
“Irgendwas zwischen 14 und 26. Jedenfalls keine zweitausendachthundert.”
“Pff. Hat noch nicht mal Haare unterm Arm.”
“Haben heute nicht mal mehr die volljährigen bis tief in die Wechseljahre.”
“Ach? So tagesaktuell sind wir dann doch informiert?”
“Was ich wissen muss, erfahr ich dann schon ab Ende November in den ganzen ungerufenen Jahresrückblicken.”
“Ächz. Na, lies schon deinen Dreieinhalbtausendseiter.”
“Na bitte, geht doch.”
Soundtrack: Brush Up Your Shakespeare, aus: Kiss Me Kate, 1953:
Stupidedia war schon immer eine Art Kamelopedia mit Abitur, übertroffen nur noch von der Uncyclopedia. Überraschend wirkt der Stupidedia-Artikel über Heinrich Heine, der einige diskutierwürdige, aber wenigstens diskussionswerte Parallelen aufgetan hat. Wir übernehmen die Übersicht von dort:
Auch den Sisyphos sah ich, von schrecklicher Mühe gefoltert, Einen schweren Marmor mit großer Gewalt fortheben. Angestemmt, arbeitet’ er stark mit Händen und Füßen, Ihn von der Au aufwälzend zum Berge. Doch glaubt’ er ihn jetzo Auf den Gipfel zu drehn: da mit einmal stürzte die Last um; Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor. Und von vorn arbeitet’ er, angestemmt, dass der Angstschweiß Seinen Gliedern entfloss, und Staub sein Antlitz umwölkte.
Da schau her, zu was für Themen wir auf einmal tagesaktuell werden können: Ab heute schmeißen die Münchner Kunsthalle und der Gasteig ein Faust-Festival. Ganz recht gehört: Faust, der von Goethe:
München steht 2018 fünf Monate lang im Zeichen von Goethes berühmtestem Drama. Vom 23. Februar bis 29. Juli 2018 präsentieren mehr als 200 Partner und Institutionen überall in der Stadt ihre Projekte zum Thema “Faust”.
Soweit die Eigenbeschreibung, mit weiteren Küchenhandtuchstickereien wie:
Fassen wir also endlich zusammen: Das Gedicht von Eugen Gomringer geht:
avenidas avenidas y flores flores flores y mujeres avenidas avenidas y mujeres avenidas y flores y mujeres y un admirador
Alleen Alleen und Blumen Blumen Blumen und Frauen Alleen Alleen und Frauen Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer
Auch wenn man für das absichtsvoll schlichte Spanisch mit dem kleinen Latinum auskommt, gibt die deutsche Übersetzung anzuführen besonders viel Sinn, weil Gomringer als bolivianisch-schweizerischer Dichter geführt wird, aber ab 1954 die Konkrete Poesie mitbegründet hat, die sich wesentlich im deutschen Sprachraum – ja, auch in anderssprachigen – äußerte. Avenidas fällt formal und historisch unter die Vorformen der Konkreten Poesie und vermittelt als solche
Es folgt mein alljährliches Geläster über die Frankfurter Buchmesse.
Longtemps je me suis couché de bonne heure.
Das französische Autobahnnetz ist so lang wie ein Satz von Marcel Proust, aber sehr viel langweiliger und obendrein gebührenpflichtig.
Catherine Meurisse, Süddeutsche Zeitung Nr. 233, Literatur-Teil, Dienstag, 10. Oktober 2017, Seite 1.
Man fasst es ja nicht, was in einem Jahr, in dem Frankreich Gastland auf der Herbstbuchmesse ist, ein dahinsiechender Literaturbetrieb noch aus einem 104 Jahre alten Buch rausholen kann: Die 1953er Übersetzung — zum 40-jährigen Erscheinen — von Eva Rechel-Mertens, die Generationen hypersensibler Sozialphobiker zu dem gemacht hat, was sie sind, hat endlich einen Anmerkungsteil — und ist bereinigt von angeblichen Übersetzungsfehlern, weil keinem mehr klar ist, dass eine “Person” vorwiegend weiblich, aber etwas anderes als ein “Mädel” ist — dabei war Dr. Rechel-Mertens Brandenburgerin und wusste wahrscheinlich selber nicht einmal, wann es “das Mensch” heißt.
Und die 2013er Übersetzung — zum 100-jährigen Erscheinen — von Bernd-Jürgen Fischer ist in einem stark zeitversetzten Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Rechelin ebenfalls nach vier Jahren fertig und schon als Taschenbuch-Gesamtklotz lieferbar — dafür mit noch mehr Anmerkungen und einem zusätzlichen Handbuch, das — wenn schon, dann richtig — gleich den dicksten von 8 Bänden abgibt. — Ein 104-jähriges Buch wohlgemerkt, in dem es 5000 (jawoll: fünftausend) Seiten lang hauptsächlich darum geht, dass vor einem Menschenalter ein kleiner Bub mal einen Keks in Tee getunkt hat. In Lindenblütentee!
Im Direktvergleich hat Fischer den sprichwörtlich gewordenen ersten Satz “Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen” dem Buben gelassen, dafür “schloss” er jetzt die Augen, statt dass sie ihm, übrigens gleich im ersten Absatz, “zufielen”, weil das wegen fermer wörtlich richtiger sein soll, obwohl es um den Schlaf und nicht seinen großen Bruder geht. Solche Skandale häufen sich auf den folgenden 4999 Seiten.
Weil es Buchmesse heißen und deshalb immer um harte Kosten-Nutzen-Rechnungen gehen muss: Der ICE von München nach Frankfurt ist länger als ein Satz von Marcel Proust, aber seit dem Unwesen mit den Schallschutzwänden sehr viel langweiliger und praktisch nicht unter 89,90 zu haben, die anderen Versionen kosten 125,90 und brauchen länger — und zwar einfache Fahrt. Pro Sitz-, wenn nicht gar Stehplatz. Das macht zu zweit 503,60, falls Sie jemals wieder nach München wollen. Ach ja: plus vier ICE-Zuschläge, gell? — Den Rechel-Mertens-Proust gibt’s momentan ab 42,48 und in jeder — wirklich jeder — Stadtbücherei dauerhaft umsonst. Von dem haben Sie länger als sechs Stunden was, und Sie dürfen sich dazu hinlegen, ohne dass ein Großraumwaggon voller rasierwassergetränkter Rollkoffermännchen blöd herschaut.
Und Weihnachten ist auch gleich wieder, genau deswegen ist ja Buchmesse. Für mich bitte einmal die revidierte Rechel-Mertens: Suhrkamp 49,95 statt Reclam 148.
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