Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Monat: Juni 2016

Hier bin ich Mensch hier kauf ich ein

Beim dm haben sie die hübschesten Kassiererinnen, wo immer sie die auch her haben.

Es fällt schwer, sich bei der Hübschesten anzustellen, darum nimmt man am besten die längste Schlange. Da ist es auch schon egal, dass vor mir eins der weltweit verbreiteten Business-Rollkoffermännchen ansteht. Doch, wirklich, man glaubt immer, es gibt nur das eine, das man ständig beobachten kann, aber wenn man sein Auge für Details geschult hat, ist das tatsächlich jedesmal ein anderes.

Das Exemplar vor mir hat bei dm anscheinend zur Konkurrenzbeobachtung allerlei Flaschen eingekauft, die möglichst viel Platz in einem Einkaufswagen und nachher in einer Einkaufstasche einnehmen: Badeschaum, Spülmittel, Allzweckreiniger. Die — falls noch nicht erwähnt: junge, blonde und vor allem hübsche — Kassiererin zieht mit versonnener Professionalität ein attraktives dm-Angebot nach dem anderen über ihren Scanner und lächelt stillvergnügt bei der Arbeit. Das durch die Eingangstür strömende Sonnenlicht spielt verliebt mit dem dünnen Flaumrand um ihre Wangen. Das Leben ist schön.

Nach der letzten Familien-Sparflasche Weichspüler nennt die Kassiererin freundlich den Preis und wartet. Das Rollkoffermännchen packt unbeirrt Produkte in seinen Rollkoffer.

“Wenn Sie erst bezahlen und dann einpacken”, sagt die Kassiererin, als sei es die beste Spielidee des ganzen Kindergeburtstags, “kann ich schon den nächsten Kunden drannehmen.” Damit bringt sie mich ins Spiel. Das wird böse enden. Bis vor fünf Sekunden hätte noch Rennen geholfen, seitdem kann man nur noch verlieren.

“Ich packe aber erst ein und bezahle dann”, ranzt das Männchen. Sie zuckt die Schultern, verkneift sich das auf der Hand liegende “Auch gut, Rindviech” und beschwichtigt stattdessen: “War ja nur ein Vorschlag.”

“Ihre Vorschläge können Sie sich sparen. Sie werden bestimmt nicht für Ihre Vorschläge bezahlt.” Die Kassiererin lächelt.

“Ich lass mir doch von Ihnen keine Vorschriften machen”, erklärt sich das Männchen genauer. Die Kassiererin lächelt immer noch, als sie nach längerem Zuschauen, das ihr viel Zeit zum Überlegen gelassen hat, sagt: “Und ich lass mich nicht von Kunden anpflaumen.”

“Wo nehmen die in dem Saftladen nur das Dienstleistungsmaterial her”, mault das Männchen, während es doch noch einen Hunderter vor der Kassiererin fallen lässt. Genau das, was ich mich auch bei jedem Besuch frage, darum ist jetzt meine Stunde. Außerdem bin ich sonst wieder tagelang blockiert.

Es muss aber sitzen. Es darf keine Einmischung sein, es darf nicht paternalistisch sein, und ich will nicht dafür als erster auf Maul kriegen. Gar nicht so einfach, aber das lebenslange Studium sämtlicher Geisteswissenschaften einschließlich Beziehungsführung und Menschenkenntnis darf auch nicht für die Katz gewesen sein.

“Was brauchst denn du Grattler die junge Lady jetzt gar so saudumm anreden? Die hat grad versucht, gleich zwei Kunden auf einmal zu helfen”, sag ich zu dem Männchen, “erst dir und dann mir. Das ist das glatte Gegenteil von einem Saftladen.”

“Was mischen Sie sich hier ein”, ranzt es, ohne mich anzuschauen. “Haben Sie was mit der oder sind Sie bloß blutsverwandt oder beides?”

“So”, sag ich, “jetzt langt’s”, und einmal mehr macht es sich bezahlt, große Teile seiner Jugend damit verbracht zu haben, vor dem Spiegel wie Clint Eastwood zu gucken. “Jetzt schleichst dich.”

“Ach so” sagt er, fortfahrend, nach seinen Einkäufen eine Handvoll Wechselgeld zu verstauen, “das sieht diesem Saftladen ja ähnlich, dass die Zwangsgestörten hier das Hausrecht ausüben.”

“Du hast mich schon verstanden”, sag ich. Der Trick hat funktioniert, wenn der Gegner ganz selbstverständlich daran glaubt, dass man Gewalt anwenden wird.

Immerhin schaut er mich jetzt an. “Loser”, sagt er und zieht ab.

Ich bin dran. Taschentücher, Lakritzbonbons, Glasreiniger, das kann ich fliegend im Stoffbeutel verstauen, noch während die — übrigens durchaus hübsche — Kassiererin kassiert, und zahle passend.

Loser hat der zu mir gesagt. Das höre ich öfter, offenbar war ich also doch zu paternalistisch. Um meinen Respekt vor ihrer Arbeit zu äußern, sage ich zur Kassiererin: “Also, ich würd jederzeit gern Vorschläge von Ihnen annehmen.”

“Leck mich, Arschloch”, zischt sie.

Schon eine tolle Rasse, die Rollkoffermännchen. Gewinnen einfach immer.

Soundtrack: Die Ärzte: Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist; es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt, aus: Geräusch, 2003.

Toiletten und Bäder oder so ähnlich

Darya Sennikova, Also sprach Zarathustra, 7. April 2016Was man sich als eigennutzender Wohnungseigentümer alles sagen lassen muss. Erst pünktlich zu Weihnachten die nebenbei zugeflüsterte Anweisung im Auftrag der Eigentumsverwaltung, dass binnen einer Woche das Kellerabteil geräumt sein müsse, unser Problem, wohin, und zurückgeräumt ist bis heute nicht — und diese Woche: Badeverbot. Nicht an der einen fiesen Stromschnelle in der Isar, sondern daheim. Auf unserem Grund und Boden.

Post vom Verwalter, farbliche Hervorhebung aus dem Original übernommen:

Sehr geehrte Bewohnerinnen,
sehr geehrte Bewohner,

in der kommenden Woche zwischen dem 20.06.2016 und dem 24.06.2016 werden an den Entwässerungsrohren noch weitere Sanierungsarbeiten ausgeführt.

Die Toiletten und Bäder können währenddessen genutzt werden.

Allerdings werden Sie gebeten, in der Zeit tagsüber die Nutzung der Abwasserleitungen auf unbedingt notwendige Ereignisse einzuschränken, bzw. auf Vollbäder oder ähnliches zu verzichten.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Mit freundlichen Grüßen

[Riesenschörkel]

Sollte also jemand bei unseren unbedingt notwendigen zwischenmenschlichen Begegnungen im Laufe der nächsten Woche einen strengen Geruch oder ähnliches an uns wahrnehmen, weiß er wenigstens, woran es liegt. An uns nämlich nicht. Ich sag’s bloß vorher.

Mal beiseite gelassen, welches unbedingt notwendige Ereignis denn einem Vollbad “ähnlich” sehen soll (Katzenwäsche?): Unsere Ausrede ist, dass wir uns solche First-World-Problems aus Notwehr aufgehalst haben, um nicht vor dem Third-World-Problem der Münchner Wohnungsmieten zu stehen. Welche Ausrede hat der Verwalter?

Lieber nicht fragen. Am Ende gibt er noch Antwort.

Buidl: Darya Sennikova, 7. April 2016:

You can read a thousand clever books, but didn’t understand the main thing, or you can read one and discover a whole world. What is your favorite? My is “Thus Spake Zarathustra”.

Soundtrack: Walter Moers: Adolf (Ich hock’ in meinem Bonker), 2005:

BonusBadewannenBusenBuidl: Kad Café, 21. Mai 2015
(ist das eigentlich die frühe Zooey Deschanel…?).

Kad Café, 21. Mai 2015

The Good, the Bad, the Ugly, and the Flauschi

Update zu Glück und Geld:

Gut, dass einen gerade noch so das Google-Doodle vorwarnt, dass die nächste Zeit wieder irgendsoein Herrenfußball-Schmarrn gefeiert wird, da kann man guten Gewissens non solum das Fernsehgeschehen, sed etiam die Innenstadt meiden und alte Filme gucken.

Für meinen Begriff ist ja Il buono, il brutto, il cattivo, besser bekannt als The Good, the Bad and the Ugly, der auf Deutsch aus kulturhistorisch nicht nachvollziehbaren Gründen nur Zwei glorreiche Halunken zählt, immer noch “der neue” unter den Leone-Eastwood-Spaghettis, weil er der jüngste Teil der Dollar-Trilogie ist. In der Handlung liegt er aber vor den zwei älteren und ist dabei immer noch älter als ich: Ein halbes Jahrhundert wird der pünktich kurz vor Weihnachten.

Man weiß von Vater-Sohn-Gespannen, die den einträchtig eine Zeitlang täglich angeschaut haben — was insofern besonders generationenverbindend ist, als das Ding in der künstlerisch vorgesehenen Fassung 178 Minuten dauert. Man hat also innerhalb der Familie ziemlich viel zum pausenlosen Durchgrinsen, bis Eli Wallach am Schluss Clint Eastwood endlich “Der Blitz soll dich beim Scheißen treffen!” hinterherbrüllt.

Kaufen muss man ihn nicht, weil er gut genug ist, dass sich irgendwo auf Welt immer jemand findet, der ihn ungekürzt auf YouTube pumpt. Bis ungefähr vorgestern hat den Job eine Version mit arabischen Untertiteln gemacht, momentan ist es die mit den vietnamesischen. Die stören nicht weiter, geredet wird sowieso nicht viel. Und die Qualität ist auch nicht mieser als die VHS-Kassetten aus den Achtzigern, wenn man sie mit seinem Vater erst mal einen Monat lang täglich komplett durchgeschaut hat.

Was hat man vor dem Zeiten des Internets — angeblich gibt’s Amazon ja erst seit 1994, YouTube sogar erst seit 2005 — obskure Versandhändler damit bemüht, einem die ungekürzte Fassung mit den vollen drei Stunden aufzutreiben, und es soll bloß keiner glauben, dass die besonders schnell oder billig gearbeitet hätten. In der Kinofassung für Deutschland haben nämlich ein paar bestimmte Großaufnahmen gefehlt, in der Fernsehfassung gar der halbe Showdown auf dem Friedhof, der eigentlich den Film erst ausmacht. Wo sind die Dinger eigentlich heute alle, seit die heimischen Regalmeter für DVDs gebraucht wurden, an die sich zur Not noch jemand erinnert, weil Spaghettiwestern meistens erst ab 16 sind?

Arabien wusste noch von den ganzen 178 Minuten, Vietnam hat jetzt 174. Wer seinen komparatistischen Ehrgeiz darein setzen will, kann ja mal nachschauen, wo heute die restlichen vier abgeblieben sind.

Das ist sowieso das, was den Menschen vom Vieh unterscheidet: Er kann Western etwas abgewinnen und entdeckt auch nach dem hundertelfzigsten Mal noch neue Details.

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