Weißt’, was ich manchmal denke? Es müsste immer Musik da sein. Bei allem, was du machst. Und wenn’s so richtig scheiße is, dann is wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo’s am allerschönsten is, müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment.
Frank Giering als Floyd in Absolute Giganten, 1999.
Noch 2009 musste man nicht lange überlegen, um die Piraten zu wählen, da genügte das Herz am richtigen Fleck. Inzwischen sind sie in mancher Hinsicht wie die CSU geworden: Ob man denen heute noch seine kostbare Wählerstimme verschenken würde, wird man sich ein paarmal überlegen, wenn man den falschen Job hat. Schließlich kann man auch nicht das Kapital wählen, solange man selber arbeiten muss.
Hab ich das richtig verstanden, wie war die Hauptforderung der Piraten? Alles geistige Eigentum soll abgeschafft werden, im Ernst? Ist das eine Art Kommunismus zwonull oder das Gegenteil oder irgendwas Drittes?
Auf dem Stand von 2009 wie von 2012 versteh ich jeden, der Geld sparen will, zum Beispiel dann, wenn er sich Musik anschafft. Die Musik dann von geeigneten Stellen des Internets herunterzusaugen kann da durchaus eine Lösung sein, da vermeidet man einen Haufen Plastikmüll, den man mit den CDs immer mitkaufen musste.
Und das muss, wenn ich die pirateske Argumentation recht verstehe, alles gratis sein, weil geistiges Eigentum die Freiheit einschränkt? Wessen Freiheit? Die Freiheit wovon und wozu? Die Freiheit des YouTube-Kommentierers von Gegenleistungen und zu … keine Ahnung … zum Kommentieren auf YouTube halt, lol, ggg?
Die Tätigkeiten der Musiker, Schreibenden und aller Sparten der visuellen Gestaltung sollen demnach ausschließlich als Hobby existieren. Außer, wenn einer ein Radio reparieren kann, der darf noch schmutziges, unfrei machendes Geld dafür berechnen. Mal sehen, wie lange er das den Piraten noch vermitteln kann. Bis das Radio von Frau Weisband kaputt geht bestimmt.
Das Gute an der Idee ist vielleicht ihre Konsequenz: Je mehr das Musikhören theoretisch vereinfacht wird, desto illegaler wird es praktisch. Dann doch lieber gleich die Geldkomponente rausnehmen, das mindert den Streitwert. Und um nur noch Musik vorzufinden, die von ehemaligen Kunstschaffenden auf Hartz IV in ihren letzten nüchternen Momenten hergestellt wurde, muss man wirklich süchtig auf das Zeug sein.
Jeder, der ein bissel auf dem Kamm blasen und auf dem Telefon Geräusche speichern kann, ist ab sofort Musiker. Die ganze Welt wird ein einziges Myspace: Alle dürfen Musik machen und keinen muss es interessieren; jedenfalls die Teile der Welt mit Handyempfang. Und die alten Beatles-Platten gibt’s endlich geschenkt. Und ledergebundene Eichendorff-Gesamtausgaben. Und das verschwommene Geknipse von Gerhard Richter. Und Webdesign erst! Schon klasse. Und der CSU wie den Piraten verweigere ich Neidhammel mich sowieso nur, weil ich dann endlich was Gescheites lernen müsste. Radios reparieren hab ich schon immer bewundert.
Leid wird’s mir außer um Musikschaffende noch um Musikhörende tun: Nicht so sehr, weil sie, grenzenlos vom geistigen Eigentum befreit, das Gesäusel gnadenlos hübscher hoher Töchter anhören können, die nicht so auf eigenen Gelderwerb angewiesen sind; vielmehr weil im Shuffle-Mode kein Mensch mehr merkt, von wem er gerade die Ohrstöpsel vollgesungen kriegt. Das kann ein Verlust sein: Es liegt ein Bewusstseinsunterschied darin, ob John Lennon auf Two Minutes Silence toujours den Mund hält oder ein von John Cage angewiesenes Orchester auf 4’33”. Meeresrauschen klingt ja auch zum Verwechseln wie Autobahn, hat aber mehr Fans, wenn man ihnen sagt, dass es Meeresrauschen ist. Und die CSU … Na, Sie können folgen. Alles wie auf Myspace: Weil’s wurscht ist.
Geistiges Eigentum: Sind Leer-Cassetten der Tod der Schallplatte? in: Bravo, August 1977
via Cliphead. Audiovisuelle Fundstücke, 12. April 2010.
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