Ein größerer Kollege von uns, der ebenfalls immer freitags bloggt, wenngleich im Print, berichtet in dieser Woche von einer röhrenförmigen Preserve Box oder Preservation Box oder so ähnlich, die käuflich zu erwerben und dazu gedacht ist, Gegenstände für die Ewigkeit einzudosen. Ein materielles Vermächtnis, vergleichbar einer persönlichen Voyager Golden Record, mit Zeug befüllt.
Eschatologisch gesehen eine gute Idee. Das geht über die typische Frage hinaus, die einem immer gestellt wird, wenn es auf einer Feier zu langweilig zum Bleiben und zu lustig für Apfelschorle wird: Welches Buch würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?
Ja, blöde Frage, das Buch natürlich, das auch in meine Preservation Box muss. Nein, keine blöde Frage, weil mein dickstes Buch gerade mal dreieinhalbtausend Seiten hat, und wer sagt mir denn, dass mich jemals einer abholen will? Außerdem hab ich die Frage zu oft gehört, um mir noch die Schlaubergerei zu verkneifen: ein Kindle mit Download-Flatrate, ein Pflanzenführer mit gegenübergestellten essbaren und giftigen Kräutern, und für hinterher noch mein Sparbuch.
Und überhaupt: Zählt die Recherche du temps perdu als ein Buch oder als sieben (der dreibändige Kompromiss war meines Wissens eine Idee der Büchergilde Gutenberg)? Wie ist es mit Gesamtausgaben? Der Insel-Goethe für die nicht ganz so fleißige Hausfrau kommt mit sechs Bänden aus, die Sophienausgabe braucht geschlagene einhundertdreiundvierzig; zählt mein Jean Paul dann als eins oder zehn?
Wie persönlich sollte man werden, wenn man Sachen wirklich sehr lange aufheben will? Feiern die dann ihre Obsoleszenz ohne mich? Etwas Persönlicheres als mein Personalausweis, den man immer wieder brauchen kann, auch wenn man ziemlich alt aussieht — ja gerade wenn man ziemlich alt aussieht — will mir nicht einfallen. Und will ich wirklich einer Nachwelt imponieren, die ich ja gar nicht kenne?
Will ich wirklich — nur mal als ganz hypothetisches Beispiel — will ich wirklich die Briefe meiner einstmaligen Freundin und heutigen Frau wiederlesen, die sie mir in einer Art selbst gebastelter Pralinenschachtel aus vergoldeter Wellpappe für ein Höllenporto schickte (“Mein geliebter W.! Vermisst Du vielleicht Dein weißes Hemd? Möglich, dass Du es auf den beigelegten Bildern erkennst. Wie gefällt Dir diese FRAU im MÄNNERhemd?? Willst Du es wiederhaben? Hol’s Dir doch! Ich freu mich auf unser gemeinsames Wochenende! Deine Dich liebende Barfuß-V.”), während ich damit beschäftigt bin, E-Mailbeschimpfungen aus sehr viel jüngerer Vergangenheit zu verdrängen (“Lieber W., ich würde mich freuen, wenn du deine Hemden ab sofort rechtzeitig in die Wäsche geben könntest. Danke. MfG, V.”)?
Es geht nicht darum, seine Spur in der Welt zu hinterlassen; das ist eine Idee für dreißigjährige Spielkinder. Es geht darum, wenigstens seinen eigenen Dreck aufzuräumen. Aber zum Verschenken geht so ein Preservadings schon klar.
Bild: Prinzessin Wilhelmina Sophie Marie Luise von Oranien-Nassau (1824—1897), die mit der Sophienausgabe in der Public Domain.
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