Bewirtschaftet von Vroni und Wolf

Kategorie: München (Seite 4 von 5)

Servicewüste Indischer Ozean

Bei uns bedeutet “Wiesn-Endspurt”, uns möglichst schnell und weit von der Theresienwiese zu entfernen. Im Gebiet zwischen Westend und Sendlinger Tor haben die Träger der abendländischen nämlich zugleich mit ihrem Hendl-Hut das Recht erworben, nichtkostümierten Passanten ins Gesicht zu rülpsen. Sind ja selber schuld, die Spaßbremsen.

Ebendieser Erwerb wurde unlängst durch die Insolvenz der Reederei Hanjin erschwert. Das ist die wasserbasierte Spedition, die das Zeug aus China über Hamburg nach München importieren soll und zurzeit wahrscheinlich in einem schlimmen Piratennest (wäre Singapur schlimm genug?) festhängt. Und welcher Pirat, welcher Zöllner und welcher Strandgutjäger nach Insolvenzmassen wäre nicht scharf auf so einen original urbayerischen Hendl-Hut.

Wie man hört, sind die Kultur- und Hutträger untröstlich und kaufen die Reste der Edition 2016 auf, wo sie ihrer nur habhaft werden können. Gut für die Wiesn 2017, wenn das Zeug als Vintage-Rarität in die Bauchläden kommt.

Nicht ganz so gut für das anschließende Oktoberfest für Touris mit Abi, die Frankfurter Buchmesse: Die insolvente Reederei Hanjin transportiert nämlich außer so hochstehendem Kulturgut auch die Neuerscheinungen des Bücherherbstes einschließlich Weihnachtsgeschäft. Und jetzt, so wörtlich die FAZ, dümpelt das Herbstprogramm im Ozean. Das sind die Sachen, die einen in die heimische Produktion treiben. Oder ins E-Book.

Schlechte Zeiten für Hendl-Hüte und Houellebecq-Heftchen.

bild.de

Buidl: dpa Picture-Allianz: Geht nicht mehr lang. Hutverkäuferin Julia Dietl hat einen Hendl-Hut auf dem Kopf, via Wolfgang Ranft: Reederei pleite. Hendl-Hut-Krise auf der Wiesn, München Bild.de, 25. September 2016.

Meide das Oktoberfest

Endlich hat man eine Ahnung davon, warum jeden September das Oktoberfest ausbrechen muss: Da scheinen die Chinesen Schulferien zu haben.

Natürlich nicht alle gleichzeitig, es gibt ja nicht nur Chinesen. Das geistige Lexikon des Halbwissens, das uns allen innewohnt, kennt auch noch Indochinesen, Philippinen, Japaner, Koreaner, Nordkoreaner, Südvietnamesen, Vietnamesen, Laosser, Hongkonger, Mandarinen, Maharanis, Kantonesen, Uiguren, Kirgisen, Nepalesen, Tibetaner, Taiwanesen, Thailänder, Mailänder, Malayen, Tamilen, Bengalen, Bangladeschis, Kambodschaner, Siamesen, Singapurer, Seidenstraßen, Seitenstraßen, Birmesen, Burmesen, Hindi, Hindus, Ganges, Singhalesen, Sikhs, Parias, Pandas, Papayas, Koriander, Yetis, Mongos und Fidschis. Oder so ähnlich.

Alle konnte man in den vergangenen Wochen auf dem Marienplatz treffen — außer den Nordkoreanern, die man exklusiv in Nordkorea treffen kann — bis sie auf die Theresienwiese gelassen werden. Wenn man nicht gerade Chinese ist, so ist der Marienplatz zu meiden (das war der Touristentipp des Jahres). Ich war nur da, weil am 6. September 2016 vor 230 Jahren im Huthaus Breiter, Kaufingerstraße 23–26, tatsächlich mal Goethe übernachtet hat und ich mal gucken wollte, ob die Frauenkirche immer noch so ein stinklangweiliger Backsteinhaufen ist wie vor 15 Jahren.

In Andacht versunken betrachte ich die einwandfrei geweißelten Wände der Kirche, da redet aus Hüfthöhe eine quengelige Stimme zu mir: “Toilet? Toilet?”

Es ist ein Chinese, soviel Menschenkenntnis gewinnt man schon in einem Studentenjob als Nachtportier im Hotel. Nur echte Chinesen haben diesen dauerhaft entsetzten Blick, auf halber Strecke zwischen Verblüffung und Verzweiflung, wo um Buddhas willen und unter was für steindummen, kreuzhässlichen und böswilligen Langnasen sie ihr ungnädiges Schicksal da ausgesetzt hat. Hinter Samarkand wird’s halt immer recht exotisch für die.

“Toilet?” frage ich zu dem ratlosen Gast in München Premium-Wahrzeichen Nummer 1 hinunter, “it’s not even Oktoberfest yet.”

“No matter”, sagt er, “no time. Toilet?”

Die umliegenden Gaststätten sehen es nicht gerne, wenn die Touristen immer nur zum Pinkeln reinkommen und dann den Kloschüsseln mit Unverstand und Vandalismus begegnen, weil in ihrer Heimat das Klo ein Loch im Boden ist. Wenn das aber so eilig ist, denke ich — und weise mit ausgestrecktem Arm auf den Beichtstuhl.

Der Chinese trippelt zm Beichtstuhl und öffnet die linke Tür. “This toilet?” fragt er.

“Other toilet”, sag ich, “middlere door.”

Er schlüpft in die mittlere Tür. Nach Sekunden schaut er noch verzweifelter heraus: “Hooo! Door not close!”

“Of course not”, sag ich, “it’s catholic.”

Das scheint ihn zu beruhigen. Diesmal bleibt die Tür länger geschlossen.

In Andacht versunken überlege ich, ob es Kirchenlieder gibt, die zugleich aufs Oktoberfest passen. Bei Luther müsste einiges zu holen sein, aber die sind bestimmt alle evangelisch.

Nach fünf Minuten steht der Chinese wieder neben mir, den Gipfel der Verzweiflung ins Gesicht gemalt: “Hooo! Toilet no paper!”

Wortlos und mit ausgestrecktem Arm weise ich aufs Weihwasserbecken.

Langsam scheint ihm etwas zu dämmern. “Yúchun, choulòu, èyì cháng bízi”, sagt er.

“Shùn Mìníhei píjiu jié”, sag ich.

Soundtrack: Coconami: Isarmärchen, live 2011:

Morgenblic

——— Wolfram von Eschenbach: Den morgenblic bî wahtaeres sange erkôs, ca. 1210, letzte Strophe:

Der trûric man nam urloup balde alsus:
ir liehten vel, diu slehten,
kômen nâher, swie der tac erschein.
weindiu ougen — süezer vrouwen kus!
sus kunden sî dô vlehten
ir munde, ir bruste, ir arme, ir blankiu bein.
Swelch schiltaer entwurfe daz,
geselleclîche als si lâgen, des waere ouch dem
genuoc.ir beider liebe doch vil sorgen
truoc, si pflâgen minne ân allen haz.

——— Übersetzung von Peter Wapnewski für Des Minnesangs Frühling, 1935:

Der betrübte Mann verabschiedete sich entschlossen,
und zwar so: Ihre hellen und glatten Körper
kamen zueinander, obwohl der Tag herankam.
Weinende Augen, um so süßer der Kuss der Herrin!
So konnten sie sich ineinander verflechten mit
Mund, Brust, Armen und bloßen Beinen:
Wenn ein Maler das darstellen wollte,
wie sie vereinigt dalagen, das wäre zu schwierig für
ihn. Ihre Liebe war zwar von Sorgen beschwert,
dennoch liebten sie sich ohne jede Einschränkung.

——— Delirium in: Neil Gaiman: The Sandman: Brief Lives, 1994:

I like in-betweens.

Das Beste vom Tag ist ja, wenn er noch nicht richtig anfangen will. Das Achtel des Tages, zu dem unsere teutschen Vorfahren zur Gattung des Tageliedes anhuben, und das bei unseren anglophonen Zeitgenossen tiny wee hours heißt. Zwischen 4 und 7 Uhr früh wach sein, egal ob noch oder schon, das muss man sich verdienen.

Irgendwas wird sich Gustav Gsaenger bei seinem Neubau ab 1953 schon gedacht haben, dass er seine Matthäuskirche so nah an die Bushaltestelle Sendlinger-Tor-Platz gebaut hat; fragen kann man ihn (1900–1989) leider nicht mehr.

“Es ist sechse in der Früh”, wie Ringsgwandl sagt, die Ersten müssen zur Arbeit, die letzten kommen von der Nachtschicht, und von denen wieder manche von einer, auf der sie Geld verdienen, die anderen, auf der sie welches ausgeben. Zwei solche stehen zwischen der Bushaltestelle und dem freiliegenden Treppenaufgang zum Turm der Matthäuskirche und finden noch nicht heim.

Heinz Theuerkauf, St. Matthäus, 17. April 2012, FlickrIhr Abschiedskuss zieht sich schon seit dem letzten Bus hin, der mir vor der Nase weggefahren ist und um diese Uhrzeit noch zwanzigminütlich verkehrt. Offenbar können sie sich nicht entscheiden, ob sie zu ihm oder zu ihr sollen. Nach einem verstohlenen Rundblick schleichen sie sich auf die Treppe zum Turm, ohne ihren Kuss so lange zu unterbrechen, dass sie einen neuen anfangen müssten. Langsam sammeln sich Fahrgäste für den nächsten Bus und schauen zu. Um diese Zeit soll man sich über gar nichts wundern.

Die zwei sind jung. Kaum volljährig, wahrscheinlich warten alle vier Eltern schon seit gestern Abend, 22 Uhr auf sie. Der Junge setzt sich auf eine Treppenstufe in halber Höhe, das Mädchen setzt sich ihm breitbeinig frontal gegenüber auf den Schoß und ruckelt sich zurecht. Zügig umhalst und umschlungen: So lässt sich gut weiterküssen. Der nächste Bus hat wohl Verspätung.

“Um die Zeit kommt der Bus eh, wann er will”, spricht mich ein Seehundsbart im Jeansanzug neben mir an, eine frische Zigarette im Mund. “Die zwei da drüben machen’s richtig.”

Recht hat er. Das Mädchen trägt Parka mit Pelzrand unten und an der Kapuze, darüber langes Blondhaar, und rutscht mit dem Hintern immer näher an den Jungen, bis es nicht mehr geht. Die Hände hat er inzwischen wohl unter ihrer Bluse, oder was junge Mädchen immer unter ihren Parkas tragen. Jetzt flüstern sie sich etwas in die Ohren. Einverstanden: Sie schwingt ihr Bein von seinem Schoß, sie stehen auf, nebeneinander auf die Treppe.

Als nächstes lösen beide ihren Gürtel und knöpfen sich die Hosen auf. Weil man Hosen nicht über die Schuhe ausziehen kann, nimmt zuerst das Mädchen die Hand des Jungen, damit sie nicht die Stufen hinunterkullert, und zieht sich mit der anderen einen Schuh nach dem anderen von den Füßen und stellt das Paar sorgfältig neben sich. Putzige kleine Mädchenturnschuhe. Jetzt er. Seine enormen Hiphopperstiefel schafft er kaum einhändig. Jetzt wieder sie: Ein Griff links, ein Griff rechts, und sie hat ihre Söckchen in der Hand und stopft sie in eins ihrer Turnschühchen. Dann wieder er: Ein Griff links, ein Griff rechts, die Socken in den Schuhen versenkt, und sie tapsen barfuß auf den Steinstufen umher.

Leider müssen sie kurz die Hände voneinander lassen, um sich die Hosen auszuziehen. Sie stellt sich vor ihn, damit wir nicht zuviel von ihnen lernen können. Von hier aus erkennt man nur: respektable Größe, weil er noch jung ist, immerhin freistehend und lang genug für eine Aufwärtsbiegung. Sie lässt ihre Mädchenjeans sorgfältig über ihr Turnschuharrangement hinfließen. Er breitet seine Cargohosen oben drauf. Dann die Hauptsache: ein duftig winziger, geblümter Mädchenschlüpfer schwebt auf den Haufen. Er schmeißt seine Unterhose drüber. Wer immer auf dem Sendlinger-Tor-Platz es wissen will, erfährt jetzt: Das Mädchen ist im Schritt rasiert — oder ist die wirklich so jung?

Kurze, fröhliche Mädchenbeinchen neben stachligen Jungsstelzen. Sie wenden sich wieder einander zu, umfangen einander in einer fließenden Bewegung und sinken dahin auf die Steinstufen. Der Seehundsbart raucht wahrscheinlich schon die übernächste, ein paar Meter steht offenmündig eine Frau und schüttelt sehr langsam den Kopf.

Der Junge nimmt seinen Platz auf der Treppenstufe wieder ein, sie stellt den linken Barfuß neben ihn, schwingt das rechte Knie noch breitbeiniger als vorhin über ihn und senkt sich ganz langsam über seinen Schoß. Bei der Turnübung blitzt ihr milchweißer, doppelt runder Mädchenhintern unterm Parka hervor. Sie muss sich öfter hinsetzen. Noch einmal. Und nochmal, diesmal näher. Und jetzt aber richtig. Und wieder. Und dabei immer schön küssen.

“Und ich hab geglaubt, ich wär schon aufgewacht”, sagt der Seehundsbart fassungslos.

Der Junge hat lange, spillerige Zehen und knochige Knie, mit denen er ihr durch Öffnen und Schließen biem häufigen Hinsetzen hilft, die Hände hat er mal in ihren Haaren, mal an ihrem Hintern, meistens aber unter ihrem Parka. Sie hat eine Hand um ihn geschlungen, die andere in ihrem Schritt, und nimmt mit dem Hintern immer geläufiger eine geübte Wellenbewegung auf.

Nur ganz kurz gibt der untere Pelzrand ab und zu den typischen Pornoblick frei: Ständer in Aktion zwischen Mädchenhinterbacken; sie bleckt wie zum Spott die Fußsohle am knienden Bein in Richtung ihrer Zuschauer. Ihre Zehe Nummer 2 ist länger als die große, erkenne ich von unten: eigentlich viel zu lange und schmale Füße, irgendwie zu erwachsen für so ein Mausi. Ich würde ja gern auch ihre Gesichter beobachten, aber die haben sie zusammengeklebt.

“Sieht gar nicht mal so unbequem aus, wie sie’s machen”, sag ich zu dem Seehundsbart.

“Kein Wunder”, sagt er, “morgen probier ich das auch mal mit so einer jungen Hübschen.”

Von hinten fährt der Bus ein. Der Fahrer stellt den Motor ab, lässt die Türen aufzischen, steigt aus, kramt in drei Jackentaschen nach Zigaretten, angelt eine heraus, schürt sie sich an und erfasst ungerührt die Situation auf der Kirchturmtreppe.

“Ja verreck”, brummelt er und raucht. Die eingetroffenen drei Fahrgäste steigen in den Bus, alle auf die Fensterseite zur Kirche hin.

Dann fasst der Busfahrer einen Entschluss. Er geht auf die Treppe mit den Turteltäubchen zu, stellt sich beamtig auf und fängt an, gedämpft in die Morgenluft zu schimpfen. Ich meine ungefähr zu verstehen: “Wenn ihr zwei Hallodri net sofort eiern nackerten Arsch in die Hosen nei verstauts, dann raucht’s aber da. I werd eich glei helfen von wegn da umanandervegln am Montagfrüh in der Kirch.”

Sie dreht ihm ihr zweifellos hitzig kirschenrotes Gesicht zu und sagt: “Wieso, Herr Oberförster? Erregen wir wohl Ihr öffentliches Ärgernis?” Dem Jungen, solang er alle Hände voller Brust hat, fällt nur ein: “Ist doch evangelisch, die Kirche.”

Nicht schlecht für ihr Alter. Das wollte sie schon immer mal sagen, die machen das also öfter. Der Busfahrer hat während seiner Amtshandlung fertiggeraucht, stampft vor den zweien seine Kippe aus und strebt wieder auf seinen Bus zu, den Fahrplan einhalten. “Ihr habts mi scho verstanden.”

Auf einmal sitzt ein rotes Eichkatzel mit einem hellbraunen Büschel Nistmaterial im Maul unter der Treppe und späht auf das ungewohnte Treiben hinauf. “Ui jegerl, ui jegerl, ui jegerl”, höre ich es keckern, womit es auf den nahen Baum mit den Eichhörnchenkobel hinaufwieselt, “ist denn schon wieder Paarungszeit?” Akkurat festlegen will ich mich da aber nicht.

Natürlich haben die zwei nicht aufgehört, sondern vielmehr zu einem Endspurt angesetzt: Das Mädchen hoppelt beneidenswert hüftgelenkig auf ihr Ziel zu, und weil schon alles egal ist, stöhnt sie jetzt sogar. Durch die sich schließenden Türen hören wir eine Art Löwenbrüllen von der Kirche her, das war der Junge. Er hat den Kopf ins Genick gekippt, und sie hält sich mit dem Fuß hinter seinem Hals eingehakt. Dazu hat sie sich auf seinem Schoß so weit zurückgebogen, dass man ihr Gesicht voll erkennt. Ihre Haare baumeln über seine Füße, ihre Beine lagern auf seinen Schultern und pumpen vor und zurück. Der Busfahrer lässt den Motor an. Die Bluse — tatsächlich ein Hemd Größe S mit Knöpfen — ist dem Mädchen weitgehend über die Brüste gerutscht, er schiebt sie ihr beidhändig noch höher. Sie hat die Augen zu und den Mund weit offen. Beider Gesichter sind hektisch rot, und unsereins macht am Montagfrüh nicht mal seine zehn Liegestützen am Fenster. Der Bus fährt ab.

Hinter uns kommen schon die ersten an die Haltestelle, die unseren Bus verpasst haben. “Da hat sie jetzt zwei rote und zwei weiße Backen”, sag ich zum Seehundsbart.

“Nächster Halt Maistraße”, sagt der Busfahrer.

Mir passiert das eh andauernd, dass die Leute feste vor mir rumbumsen, egal ob im Nachbarschlafsack nach dem Feiern, im Zeitschriftenarchiv von der Stabi, Buchstabe O bis Q, oder bei gleißendem Sonnenschein hinterm Wittelsbacherbrunnen; ich weiß auch nicht, was die da alle dran finden. Den Spannervorwurf muss ich deshalb von mir weisen, bevor er erhoben wird.

Bild: Heinz Theuerkauf: St. Matthäus, 17. April 2012,
gut sichtbar der Treppenaufgang zum Kirchturm;
Soundtrack: Ringsgwandl: Sechse in der Früh, aus: Vogelwild, 1992:

Lalala

Guerilla heißt ja, dass alle dürfen, ob sie können oder nicht.

Guerillapoesie Instagram

Ich bin nichts und doch soviel denn ich kann sein was immer ich will!

16. April 2016, keine Ahnung mehr, wo, riecht aber nach Schwabing. Hohenzollernstraße, wetten?

Graffiti Unterführung

Eine Seele ohne Licht. Wie ein Tag ohne Nacht. Macht, keine Kraft. Der Funke entfacht. Der Schatten daneben. (Traurig, gell.)

17. März 2014, verspinnwebte Unterführung im strukturschwachen Niemandsland zwischen Leutstettener Moos und der A 95, wahrscheinlich sogar unter der letzteren.

Raiffeisenbank Isar-Loisachtal für den Prälatengarten Kloster Schäftlarn

Da wo das Geld zuhause ist,
man auch das Schenken nicht vergißt!

1. September 2015 von der Raiffeisenbank Isar-Loisachtal für den Prälatengarten Kloster Schäftlarn. Wenigstens die kennt man.

Hier bin ich Mensch hier kauf ich ein

Beim dm haben sie die hübschesten Kassiererinnen, wo immer sie die auch her haben.

Es fällt schwer, sich bei der Hübschesten anzustellen, darum nimmt man am besten die längste Schlange. Da ist es auch schon egal, dass vor mir eins der weltweit verbreiteten Business-Rollkoffermännchen ansteht. Doch, wirklich, man glaubt immer, es gibt nur das eine, das man ständig beobachten kann, aber wenn man sein Auge für Details geschult hat, ist das tatsächlich jedesmal ein anderes.

Das Exemplar vor mir hat bei dm anscheinend zur Konkurrenzbeobachtung allerlei Flaschen eingekauft, die möglichst viel Platz in einem Einkaufswagen und nachher in einer Einkaufstasche einnehmen: Badeschaum, Spülmittel, Allzweckreiniger. Die — falls noch nicht erwähnt: junge, blonde und vor allem hübsche — Kassiererin zieht mit versonnener Professionalität ein attraktives dm-Angebot nach dem anderen über ihren Scanner und lächelt stillvergnügt bei der Arbeit. Das durch die Eingangstür strömende Sonnenlicht spielt verliebt mit dem dünnen Flaumrand um ihre Wangen. Das Leben ist schön.

Nach der letzten Familien-Sparflasche Weichspüler nennt die Kassiererin freundlich den Preis und wartet. Das Rollkoffermännchen packt unbeirrt Produkte in seinen Rollkoffer.

“Wenn Sie erst bezahlen und dann einpacken”, sagt die Kassiererin, als sei es die beste Spielidee des ganzen Kindergeburtstags, “kann ich schon den nächsten Kunden drannehmen.” Damit bringt sie mich ins Spiel. Das wird böse enden. Bis vor fünf Sekunden hätte noch Rennen geholfen, seitdem kann man nur noch verlieren.

“Ich packe aber erst ein und bezahle dann”, ranzt das Männchen. Sie zuckt die Schultern, verkneift sich das auf der Hand liegende “Auch gut, Rindviech” und beschwichtigt stattdessen: “War ja nur ein Vorschlag.”

“Ihre Vorschläge können Sie sich sparen. Sie werden bestimmt nicht für Ihre Vorschläge bezahlt.” Die Kassiererin lächelt.

“Ich lass mir doch von Ihnen keine Vorschriften machen”, erklärt sich das Männchen genauer. Die Kassiererin lächelt immer noch, als sie nach längerem Zuschauen, das ihr viel Zeit zum Überlegen gelassen hat, sagt: “Und ich lass mich nicht von Kunden anpflaumen.”

“Wo nehmen die in dem Saftladen nur das Dienstleistungsmaterial her”, mault das Männchen, während es doch noch einen Hunderter vor der Kassiererin fallen lässt. Genau das, was ich mich auch bei jedem Besuch frage, darum ist jetzt meine Stunde. Außerdem bin ich sonst wieder tagelang blockiert.

Es muss aber sitzen. Es darf keine Einmischung sein, es darf nicht paternalistisch sein, und ich will nicht dafür als erster auf Maul kriegen. Gar nicht so einfach, aber das lebenslange Studium sämtlicher Geisteswissenschaften einschließlich Beziehungsführung und Menschenkenntnis darf auch nicht für die Katz gewesen sein.

“Was brauchst denn du Grattler die junge Lady jetzt gar so saudumm anreden? Die hat grad versucht, gleich zwei Kunden auf einmal zu helfen”, sag ich zu dem Männchen, “erst dir und dann mir. Das ist das glatte Gegenteil von einem Saftladen.”

“Was mischen Sie sich hier ein”, ranzt es, ohne mich anzuschauen. “Haben Sie was mit der oder sind Sie bloß blutsverwandt oder beides?”

“So”, sag ich, “jetzt langt’s”, und einmal mehr macht es sich bezahlt, große Teile seiner Jugend damit verbracht zu haben, vor dem Spiegel wie Clint Eastwood zu gucken. “Jetzt schleichst dich.”

“Ach so” sagt er, fortfahrend, nach seinen Einkäufen eine Handvoll Wechselgeld zu verstauen, “das sieht diesem Saftladen ja ähnlich, dass die Zwangsgestörten hier das Hausrecht ausüben.”

“Du hast mich schon verstanden”, sag ich. Der Trick hat funktioniert, wenn der Gegner ganz selbstverständlich daran glaubt, dass man Gewalt anwenden wird.

Immerhin schaut er mich jetzt an. “Loser”, sagt er und zieht ab.

Ich bin dran. Taschentücher, Lakritzbonbons, Glasreiniger, das kann ich fliegend im Stoffbeutel verstauen, noch während die — übrigens durchaus hübsche — Kassiererin kassiert, und zahle passend.

Loser hat der zu mir gesagt. Das höre ich öfter, offenbar war ich also doch zu paternalistisch. Um meinen Respekt vor ihrer Arbeit zu äußern, sage ich zur Kassiererin: “Also, ich würd jederzeit gern Vorschläge von Ihnen annehmen.”

“Leck mich, Arschloch”, zischt sie.

Schon eine tolle Rasse, die Rollkoffermännchen. Gewinnen einfach immer.

Soundtrack: Die Ärzte: Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist; es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt, aus: Geräusch, 2003.

Toiletten und Bäder oder so ähnlich

Darya Sennikova, Also sprach Zarathustra, 7. April 2016Was man sich als eigennutzender Wohnungseigentümer alles sagen lassen muss. Erst pünktlich zu Weihnachten die nebenbei zugeflüsterte Anweisung im Auftrag der Eigentumsverwaltung, dass binnen einer Woche das Kellerabteil geräumt sein müsse, unser Problem, wohin, und zurückgeräumt ist bis heute nicht — und diese Woche: Badeverbot. Nicht an der einen fiesen Stromschnelle in der Isar, sondern daheim. Auf unserem Grund und Boden.

Post vom Verwalter, farbliche Hervorhebung aus dem Original übernommen:

Sehr geehrte Bewohnerinnen,
sehr geehrte Bewohner,

in der kommenden Woche zwischen dem 20.06.2016 und dem 24.06.2016 werden an den Entwässerungsrohren noch weitere Sanierungsarbeiten ausgeführt.

Die Toiletten und Bäder können währenddessen genutzt werden.

Allerdings werden Sie gebeten, in der Zeit tagsüber die Nutzung der Abwasserleitungen auf unbedingt notwendige Ereignisse einzuschränken, bzw. auf Vollbäder oder ähnliches zu verzichten.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Mit freundlichen Grüßen

[Riesenschörkel]

Sollte also jemand bei unseren unbedingt notwendigen zwischenmenschlichen Begegnungen im Laufe der nächsten Woche einen strengen Geruch oder ähnliches an uns wahrnehmen, weiß er wenigstens, woran es liegt. An uns nämlich nicht. Ich sag’s bloß vorher.

Mal beiseite gelassen, welches unbedingt notwendige Ereignis denn einem Vollbad “ähnlich” sehen soll (Katzenwäsche?): Unsere Ausrede ist, dass wir uns solche First-World-Problems aus Notwehr aufgehalst haben, um nicht vor dem Third-World-Problem der Münchner Wohnungsmieten zu stehen. Welche Ausrede hat der Verwalter?

Lieber nicht fragen. Am Ende gibt er noch Antwort.

Buidl: Darya Sennikova, 7. April 2016:

You can read a thousand clever books, but didn’t understand the main thing, or you can read one and discover a whole world. What is your favorite? My is “Thus Spake Zarathustra”.

Soundtrack: Walter Moers: Adolf (Ich hock’ in meinem Bonker), 2005:

BonusBadewannenBusenBuidl: Kad Café, 21. Mai 2015
(ist das eigentlich die frühe Zooey Deschanel…?).

Kad Café, 21. Mai 2015

Das Herz eines Boxers

Update zu Familiärer Hardcore:

Tired of being fat and ugly, just be ugly, Boxschule KnochWenn bloß alle solche Werbung machen wollten wie manche, die ganz was anderes gelernt haben, aber halt ihr Ding sagen wollen wie alle anderen anständigen Leute auch.

Eine der zahllosen Definitionen von Anstand ist ja, nicht mehr zu versprechen, als man halten kann. Irgendwie, was selbst gelernte Werber nie garantieren können, kriegt die Boxschule Knoch (Boxen für alle: ab 16 Jahren bis Urgestein) es hin, dass ich mir zum flockigen Spruch sogar die Firma gemerkt hab. Und endlich mal nicht solche Sissy-Kampfkünste wie Capoeira und Tai Chi.

Zum ersten Mal im Leben hab ich erwogen, Boxen zu lernen, die Gegend (Flößergasse 8, der 1. Stock in einem Mittersendlinger Rückgebäude) sieht recht authentisch danach aus, als ob man da ein paar Boxstunden gebrauchen könnte — aber nicht sehr lange. Das Konzept ist nämlich gar nicht so schlecht, wie ich schulsportgebranntes Kind jeder Sportschule automatisch unterstellt hätte:

„ Float like a butterfly, sting like a bee “
(Drew Bundini Brown)

Die Boxschule Knoch bietet Dir ein hochquallifiziertes Boxtraining…von der Pike über den Breitensport bis zum Leistungsträger.

Du selbst entscheidest, Deinen Ansprüchen und Deiner Verfassung entsprechend, über Deine persönliche Trainingsintensität.

Wichtig: Das Duell im Ring (bedingtes, begleitetes oder freies Sparring) ist FREIWILLIG !, und stellt nur einen Teil des komplexen Trainingsinhaltes dar.

Für dieses hochwertige, vielseitige Trainingsprogramm stehe ich mit meinem Namen, und wünsche Euch vor allem viel, viel Spaß.

Euer Rainer Knoch

Wenn ich jetzt in dem Laden nachfrage, ob und wie das 1993er Album Krieg & Spiele von den Abstürzenden Brieftauben, auf dem das Lied Fett & häßlich drauf ist, mit deren 1994er Single Das Herz eines Boxers, die gar nirgends drauf ist, und beide mit dem Geschäftskonzept und der Außenkommunikation der Boxschule Knoch zusammenhängen, handle ich mir dann einen rechten Schwinger ein?

Überdachtes München

Kaum liegen die Trümmer des Elendsjahrgangs 2015 hinter einem, freut man sich endlich auf seine überdachten Städte — und prompt hat sich längst herausgestellt, dass einem das Klima auch ohne ein paar Tonnen Plexiglas überm Kopf zusammengebrochen ist. Freut man sich auf seine fliegenden Autos, stellt sich bei jeder Ansammlung von Kohlköpfen heraus, dass der Hubschrauber schon von spätestens 1490 stammt. Freut man sich darauf, dass die Autos wenigstens von selber fahren und man nicht andauernd überall mit hinmuss, will keiner mehr eins haben. Freut man sich auf seinen Bedienroboter, stellt sich heraus, dass der gar nicht für mich arbeiten gehen kann und wahrscheinlich trotzdem mehr frisst als zwei biologisch-analoge Kater zusammen. Freut man sich auf die Besiedlung des Mondes, stellt sich heraus … siehe “überdachte Städte” — wobei man gerade München dringend viel gründlicher überdenken sollte.

Besonders leichtsinnig — oder sagt man lieber: leichtherzig, das klingt optimistischer, und das soll man doch immer — hat sich die Münchner Polizei verhalten: Bei ihren Neujahrsgrüßen am Silvesterabend haben sie sich noch gezeigt, wie sie eine nicht näher identifizierte Tschador-Braut an der Isar dingfest gemacht haben, die bis weit nach Mitternacht nicht zurückzunehmende Warnung vor einem Terroranschlag seitens sieben namentlich bekannten Irakern vom IS sollte aber schon am Mittag reingekommen sein — “vom amerikanischen Geheimdienst“.

Eigentlich ist schon wurschtegal, wie scheiße die Welt noch wird; an Silvester wird einem garantiert doch wieder reingedrückt, dass wir wenigstens viel gelernt und wie wir dabei gerockt haben.

Soundtrack: Veronica Falls: Waiting For Something To Happen,
Slumberland Records 2013.

Zahnpasta ist kein Nudelpampf

Die neuen Katerjungs (wir berichteten) machen sich. Residieren schon souverän auf ihrem Bett und kratzen und beißen, wenn jemand drin liegt.

Und glänzen, weil sie sich exklusiv vom Viktualienmarkt ernähren (das Katzenfutter führt der Schmitz im Online-Sortiment nicht mal auf, so exklusiv ist der). Und neigen deshalb wie alle gut gefütterten vorpubertären Jungs zu Mundgeruch.

Angeblich gibt es tatsächlich Zahncreme für Katzen, jedenfalls hat Vroni mich mit dem Auftrag nicht am 1. April losgeschickt. Nein, haben sie nicht, und der Dehner gegenüber auch nicht. Dafür gibt’s gleich neben dem Dehner einen bombastisch bestückten Bumsladen: die ORION Erotik Fachgeschäfte GmbH & Co KG.

Soll ich nächstes Mal, wenn ich wieder für die Katz unterwegs bin, jemandem was mitbringen? Sowas wie Halloween-Gleitcreme mit Kürbis und Chili? Wer einmal eine Verkäuferin nach Katzenzahncreme gefragt hat, kann ab sofort alles.

Wannst aufd Wiesn, sagt er, wuist kemma, sagt er

Vielleicht ist ja doch nicht alles schlecht an der Wiesn. Der Kollege und München-Nachbar Ralf hat den so heroischen wie selbstlosen Versuch unternommen, dem Oktoberfest einige schöne Seiten abzugewinnen. Dazu musste er auch früh genug aufstehen.

Was der Bub zu nachtschlafender Zeit am Sonntagvormittag von der Aufstellung zum Umzug der Trachten und Schützenvereine mitgebracht hat, hab ich in professionellen Reportagen schon langweiliger gesehen.

Was ich ihm dauernd sag: Ralfster, sag ich, du kannst Leut. Du scheust dich nicht, welche anzureden, und wenn du’s schon candid machen musst, können sie’s sogar hinterher merken und sich noch freuen, weil kein Mensch entwürdigt wird. Das ist aufmerksam hingeschaut und sauber erwischt; wenn Arte Fotoserien bringen würde, dann solche.

Seine eigene Wertschätzung für die unentwegten Trachtenvereinsmeier, die versuchen, dem Oktoberfest eine schöne Seite zu verleihen, drückt er aus:

Boarische Trachten, Böhmer Trachten, Woidler, Wischauer, polnische Girlies, Bruckmühler Burschen, Deandl aus Kolbermoor. Die stellen sich für den Trachtenumzug zum ersten Sonntag des Oktoberfests auf. Kaum irgendwo findet einer so viel Habits und Aufmachungen. Nicht in Italien, nicht auf dem Balkan noch auf Bali. Manchmal ist München einmalig!

81 Bilder macht er uns zugänglich, der Ralf. Und wer weiß, wie viele er als Ausschuss betrachtet. Ich bringe beispielhaft 1, weil sonst der Beitrag wieder eine Ewigkeit lädt, aber die anderen 80 sind auch nicht grauslicher. Fragen, ob ich das darf, werd ich erst wieder hinterher, aber normalerweise ist der da nicht so. Außerdem kann er ja mit Leut.

Trachten und Schützenzug Oktoberfest 2015, 20. September 2015

Bargeldlos durch die Nacht

Auf dem 181. Oktoberfest, das war das anno 2014, wurden 7,7 Millionen Maß Bier verkauft. Nach Rechnung des kritischen Oktoberfestverbrauchers wurden demnach ungefähr 3,85 Millionen Litern Bier ausgeschenkt.

Von diesen nicht mal vier Millionen läuft eine geschätzte Million über Biermarken, und von Freibier wird man ja nicht besoffen — vor allem dann nicht, wenn auch noch ein halbes Hendl dabei ist. Die restlichen drei Millionen vertrocknen nach kurzem Körperkontakt mit Amerikanern, die bis soeben gedacht haben, “Bud” wäre ein Bier, auf den Geh- und Bahnsteigen im Umkreis von fünf Kilometern um die Theresienwiese.

“2014 hat also gar niemand auf der Wiesn besoffen sein können“, deduziere ich Vroni.

“Dann ist ja gut”, versucht sie sich nicht an meine damalige Heimkehr zu erinnern. Dabei reden wir gar nicht mal von 2014, es muss so gegen 2001 gewesen sein. Ich war jung und verbrauchte das Geld.

“Was machen wir heuer?” frage ich weiter, vorausschauend, in die Zukunft, zu neuen Taten, wie immer.

“Wieso? Was sollen wir heuer machen? Machen wir nicht dauernd irgendwas?”

“Das ist mein Spruch. Was machen wir heuer mit der Wiesn?”

“Die Frage ist: Was macht die Wiesn mit dir?”

“Sollten wir denn nicht irgendwas um die Wiesn machen?”

“Hm … Einen möglichst großen Bogen?”

In den meisten Fällen gibt es Sinn, wenn wir einfach machen, was sie sagt.

¡La ciudad unida jamás será vencida!

Update zum Anarchistischen Glaubensbekenntnis:

Werden wir gefährlich, Thalkirchener Straße

Die Stadt in der wir leben befindet sich in einem permanenten Zustand der Modernisierung bzw. Umstrukturierung. Es wird saniert, aufgewertet, abgerissen und teure Neubauten werden errichtet.

Wir sollen die Veränderungen in unserer Umgebung als passive Zuschauer wahrnehmen (also hinnehmen), um den gewinnbringenden Projekten der Zukunft nicht gefährlich zu werden, sondern sie als beschlossen und unabwendbar zu akzeptieren. Doch genau wir sind es, die die Folgen dieser Vorgänge zu spüren bekommen, sei es in Form von unbezahlbaren Mieten, die immer mehr Leute aus der Stadt verdrängen, da sie nicht mehr in der Lage sind, diese zu bezahlen oder in Form von der Ausweitung repressiver Strukturen, die dafür sorgen, dass alles, was dem reibungslosen Fortschreiten dieser Prozesse gefährlich werden könnte aus dem Weg geschafft wird. Durch einen technologischen Überwachungsapparat, erhöhte Polizeipräsenz und private Security-Firmen wird der Reichtum und das Eigentum der Einen geschützt, während die Anderen durch die Androhung von Strafe im Zaum gehalten werden. Die Politik versucht uns mit leeren Versprechungen für ihre Vorhaben zu vereinnahmen und jeden Konflikt im Keim zu ersticken. Lassen wir uns nicht blenden! Solange wir die für vorgesehene Rolle des folgsamen und unterwürfigen demokratischen Bürgers nicht endlich hinter uns lassen, werden wir weiterhin dem Bild des passiven Zuschauers gerecht, der sein Leben in die Hände anderer legt und sich deren Entscheidungen fügt.

Doch was, wenn wir das Leben wieder an uns reißen und anfangen, selbst Entscheidungen zu treffen?

Wenn wir eigenständig denken und die Konsequenz aus unserem Denken das direkte Handeln ist, sind wir in der Lage, fernab des politischen Spektakels auf unsere Realität und somit auch unmittelbar auf unsere Umgebung einzuwirken.

Wenn das Leben in dieser Stadt für viele unmöglich wird, ist das kein Schicksal sondern das Ergebnis der kapitalistischen Gleichung, bei der unterm Strich der Profit zählt.

Wer von der Umstrukturierung und Aufwertung der Stadt profitiert und sich somit für diese verantwortlich macht, liegt auf der Hand. Vom Vermieter und Architekten, über die Immobilienfirma, Makler und Baufirmen bis zur Stadtverwaltung und Politik, befinden sich die, die unseren Lebensraum als handelbare Ware betrachten überall um uns herum und sind somit auch überall angreifbar.

Machen wir ein für alle Mal klar, was wir von ihnen halten. Mit eigenen Ideen, Worten und Taten!

Ich referier das bloß. So ein Deutsch und so eine Logik in der Argumentation pflegen also diejenigen, mit denen man eigentlich zur Not ganz gern ein paar Überschneidungen in der Meinung hätte. Als erklärte Münchner Einwohner sind es vermutlich Deutsche, auch wenn sie das Wort “München” sorgsam umgehen, aber vielleicht verwenden sie ja für anderen Städte den gleichen Text; das politische Spektakel tobt ja überall. Wer braucht schon Argumente, wenn er eine Meinung haben kann.

Unser Versuch seit Jahren ist, unsere eigene Wohnung aufzuwerten. “Wer von der Umstrukturierung und Aufwertung der Stadt profitiert und sich somit für diese verantwortlich macht, liegt auf der Hand”: nicht etwa “Vermieter und Architekten, über die Immobilienfirma, Makler und Baufirmen bis zur Stadtverwaltung und Politik” (cit. a. a. O.), sondern ausschließlich wir selber. Wenn jetzt das Sondereigentum unseres Kelleranteils zum Wohle der Eigentümergemeinschaft wenn schon nicht komplett enteignet, so doch verkleinert und in seiner Nutzbarkeit eingeschränkt wird, so ist das demokratisch hinzunehmen, weil wir schließlich alle Opfer bringen müssen: Wo soll die Hausgemeinschaft nach einer Sanierung des Abwassersystems mit komplizierter neuer Rohrverlegung denn sonst hinscheißen, wenn nicht mitten durch unseren Keller, am Regal mit den Einweckgläsern vorbei, vorausgesetzt, dass die hinterher noch reinpassen? Dem hab ich keine anderslautenden Vorschläge entgegenzusetzen, weil ich dazu wie immer das Falsche studiert hab. Sollte in einer folgenden Eigentümerversammlung, sei sie ordentlich oder außerordentlich, beschlossen werden, dass ich in meinem Wohnzimmer, weil wir grade so schön dabei sind, auf Kosten des Bücherregals ein Klärbecken einzurichten habe, könnte eventuell sogar ich überlegen, mal gefährlich zu werden; man kann ja durch nichts so verstören wie durch korrekte Kommasetzung. Meine Befürchtung ist allein, dass niemand sie bemerken wird.

Bild mit Zitat: am Tröpferlbad in der Thalkirchener Straße selber gemacht, keine Rechte vorbehalten, aber bitte mit Quellenangabe. Bitte Vorsicht mit dem Text, auch wenn er von jungen, betont gemeinschaftlich orientierten Antifa-Recken stammt: Enteignet werden ist unlustig. Venceremos.

Soundtrack: Roxette: Dangerous aus: Look Sharp!, 1989.

Wir werden das genau verfolgen.

Drei Mühlen, bayerisches Wirtshaus, Neueröffnung

Endlich wieder eine zünftige Hauskneipe. Zuerst hat sie Zur wilden Sau geheißen, das konnte sich jeder merken. Dann Mundart, da haben die Leute schon um ein Eck denken müssen, wenn man ihnen den Weg erklärt hat. Dann Ennstaler Stub’n, das hat keiner mehr gekannt, das Ennstal nicht, und ich hab mich für den Apostroph geniert. Seit 29. heißt es Drei Mühlen, das geht jetzt wieder, weil das Viertel auch so heißt, weil die Leute schon anfangen, sich fürs Glockenbachviertel zu genieren, weil das nächste große Ding das Westend wird, wenn es nicht das Dreimühlenviertel wird, was aber bloß ein Thema werden kann, wenn der Texmex am Eck zumacht, weil der sich nämlich komischerweise hält. Drei Mühlen jedenfalls, und Hauptsache, die Halbe kostet nicht über drei fuchzig.

Drei Mühlen, bayerisches Wirtshaus, Neueröffnung

Buidln: Drei Mühlen, bayerisches Wirtshaus, Stand 18. Mai 2015.
Keine Rechte vorbehalten, aber bitte mit Quellenangabe.

Die Hölle, das sind immer die gleichen

In der Gegend, wo Münchens letzte paar ernstzunehmenden Antiquariate die letzten Erbmassen Altpapiers verhökern, macht eine unschlagbar treffende Wandverzierung auch noch ein Drittel Göttliche Komödie überflüssig:

München, Maxvorstadt, Türkenstraße, Die Hölle macht keinen Spaß

Das ist natürlich der Teil Inferno auf den Punkt gebracht. Bei der Location und der Typographie hätte sich sogar noch Gustave Doré seinen großmächtigen Zyklus von Illustrationen sparen können.

Wenn der Meister seinen 750. Geburtstag hinter sich hat, sucht man endlich nach einer anständigen Dante-Ausgabe, und dann das. Kein Wunder, dass es die Antiquariate so dahinrafft.

Bild: Hauseinfahrt Türkenstraße, selbergemacht und gemeinfrei gegeben, 25. Juni 2015.

Anarchistisches Glaubensbekenntnis

Das Plakat mit dem Text von 1910 hängt zur Stunde noch einige Meter neben dem Kafe Marat, das keinesfalls zu verwechseln ist mit dem Tröpferlbad im gleichen Gebäude; nur inzwischen etwas abgewanzter. Von den zwei Läden will wahrscheinlich bloß keiner “in die rechte Tür” sagen müssen, wenn er neue Proselyten rekrutiert hat. Seine Inhalte mache ich mir vorsichtshalber nicht zu eigen, solange ich es nur korrekturgelesen, aber nicht verstanden hab. Schon gar nicht öffentlich.

Bei den Schweizer Genossen, die das im März 2013 aus dem Italienischen übersetzt haben sollen, fehlt zweimal eine sinnverändernde Wortgruppe, falls es sie interessiert — aber es kommt drauf an, ob von dem Text auf dem Plakat oder dem Text online als maßgeblich ausgegangen wird. Ich sag’s bloß. Venceremos.

Plakat Kafe Marat, La Rivolta, Aufruhr, Ich, 1910, März 2013

La Rivolta, anarchistische Zeitung:

Ich

Pistoia, Italien, 12. Februar 1910,
übersetzt von Aufruhr, Nummer 5, März 2013:

Ich habe einen Verstand, einen Charakter, der mich von meinen Mitmenschen unterscheidet, und ich habe eine Würde, die sich weder verkaufen noch beugen will. Ich habe eine Menge zu verstreuende Energien, zu entwickelnde Gedanken und zu begehende Handlungen. Ich suche nach der Erfüllung von mir selbst, nach der vollständigen Entfaltung meiner Individualität, und in dieser Entfaltung fühle ich mich glücklich. Ich suche nach dem Wohl der anderen oder verachte es, je nachdem, ob ich in ihrem Wohlstand mein Glück oder mein Unglück finde.

Ich will. Ich will materiell frei sein, um sagen und tun zu können, wonach mir ist, ohne dass mir irgendeine Autorität irgendetwas aufzwingt. Ich nehme Kritik oder Ratschläge von anderen an, nachdem ich über sie nachgedacht, sie für gut befunden und verstanden habe; den brutalen Befehl aber verachte ich und weise ich zurück.

Ich spüre in mir selbst die moralische Unmöglichkeit, zu gehorchen. Da ich ein Gehirn habe, das denkt, will ich tun, was ich für richtig halte, und nicht, was meinen Unterdrückern zugutekommt. Ich habe es nicht nötig, dass mich irgendjemand führt und mich beschützt: Man sagt mir, das Individuum könne sich nicht selbst führen, doch wenn ich meine Handlungen nicht regeln kann, dann können noch viel weniger die Regierenden die Handlungen von anderen führen.

Da ich also in der heutigen Gesellschaft nicht frei bin, kämpfe ich mit allen meinen Kräften, um alle Schranken zu zerstören. Ich kämpfe nicht weil ich auf einen weit entfernten Wohlstand hoffe, nicht nur, weil ich Glauben an die Zukunft habe. Ich lebe in der Gegenwart. Selbst wenn ich wüsste, dass ich niemals frei sein werde, würde ich genauso revoltieren, denn ich spüre den Drang gegen jegliche Tyrannei zu revoltieren.

Ich habe keinen Glauben, ich habe keine Dogmen, ich habe keine Sorgen einer Partei oder einer Schule. Ich glaube weder an Gott, noch an das himmlische Paradies oder an das irdische, das die Gesellschaftler vor den Augen anderer wie im Traum aufblitzen lassen.

Ich suche nicht danach, mich mit meinen Mitmenschen für den Ruhm zu vereinigen, einem Verband anzugehören, und unter einem Banner Unterschlupf zu finden. Ich schließe mich zusammen für ein bestimmtes Ziel, und wenn dieses erreicht ist, ergreife ich wieder meine Freiheit.

Ich hasse die konstituierten Formen, weil sie im Widerspruch zum Fortschritt stehen, der beständig alles verändert.

Ich will nicht wissen, es kümmert mich nicht, was die künftige Gesellschaft sein wird. Ich glaube nicht an jene, die im Namen des Volkes, der Menschheit und anderer ungreifbaren und formlosen, kollektiven Körperschaften sprechen, denn man kann das Zusammengesetzte nicht kennen, ohne die einfachen Einzelnen – jeden für jeden – zu kennen – was unmöglich ist. Darum glaube ich nicht an die Abgeordneten, an die Widerstandskomitees, an die Kongresse und alle Parlamentarismen. Nur ich alleine kann mich selbst repräsentieren.

Ich will keine Bestrafungen, ich will keine Gesetzbücher, Formalismen, Stempel und dergleichen. Die moralischen Gefühle drängen sich nicht auf, wenn sie nicht existieren, und wenn sie existieren, ist es nicht nötig sie aufzudrängen. Ich rebelliere gegen die Mode, ich glaube nicht an die Phrasen, an das Recht, an die Moral, an die Justiz. Im übrigen formt sie sich ein jeder für den eigenen Gebrauch und Verzehr.

Ich glaube nur an die Stärke und den Kampf, der das Individuum vorantreibt, nicht, um die Schwachen zu zertrampeln und die Starken zu vergöttern, sondern um sich selbst immer mehr zu erhöhen und zu verbessern. Ich glaube an das Leben, an die Energie. Heute kämpfe ich mit Gewalt, weil ich gegen mich die Gewalt habe; morgen kämpfe ich mit dem Denken, weil ich gegen mich das Denken habe.

Mein Ziel ist es mich zu vervollkommnen; mein Mittel ist der Kampf, mein Verlangen ist die Freiheit.

Mich beschimpfen die Frommen und nennen mich hochmütig, unmoralisch, etc. Ich lache über sie: Für meine Handlungen bin ich nur vor meinem Bewusstsein verantwortlich. Ich bin Atheist, ich bin Rebell, ich bin Anarchist, ich bin frei. Ich bin “Ich”.

Plakat: Kafe Marat München, Thalkirchnerstraße 102,
nach Fernweh. Anarchistische Straßenzeitung, März 2013.

Nächster Halt Völuspa

Man nennt mich einen Narren. Wird Gott, wenn er mich einst zu sich ruft, mich ebenso nennen?

Ludwig römisch Zwo

Auf den Spuren König Ludwig II.

Welche Bauten ließ Märchenprinz König Ludwig II. errichten? Wo hielt er sich in München am liebsten auf? Und wo findet man auch heute noch Denkmäler, die an den Regenten erinnern? Auf der Tour König Ludwig II. in München entdecken geht es kreuz und quer durch die Isarmetropole. Vom Hofgarten, wo der kleine Ludwig spielte, führt die Tour bis zu seiner letzten Ruhestätte in St. Michael. Dazwischen liegen Museen, Schlösser, Parkanlagen, Friedhöfe und Denkmäler — Orte in München, die auch heute noch im Glanz des Monarchen erstrahlen. Alles was man dafür braucht ist ein gültiges MVG Ticket. Wann es wohin geht, entscheidet jeder selbst.

König-Ludwig-Denkmal Bogenhausen, Maximiliansanlagen… und wann er wo welches Satzzeichen unterbringt, offenbar auch, o liberalitas Bavarica. Die MVG, die sich ansonsten eher bitten lässt, einen überhaupt irgendwo hinzutragen, gestaltet gelegentlich sogar Stadttouren, die man mit Hilfe seiner selbst bewältigen kann. Unter seinen MVG Freizeittipps schlägt er einen neuen König-Ludwig-Weg vor, der sich allein deswegen nicht durchsetzen wird, weil man ihn nicht hintereinander weg abklappern kann. Im zugehörigen Folder, der gerne zurzeit mal gratis ausliegt, kann man die notorischen Ludwigsorte so trickreich verbinden, wie man will, es ergibt weder eine Linie noch einen Rundkurs. Macht aber nix, ist ja für Leute aus dem MVG-Bereich, die können öfter los.

Was die Tour verschweigt: In München gibt es aktuell gerade mal zwei Denkmäler für König Ludwig II., den Märchenkönig, den Kini, den erfolgreichsten Touristenakquisiteur für Gesamtbayern noch vor seinem Namensvetter Ganghofer. Eins steht auf dem schon länger eingeführten König-Ludwig-Weg über der Isar (Blick verbaut) zwischen Bogenhausen und den Maximiliansanlagen, vom anderen ist nur noch der Kopf übrig, aber sie arbeiten schon wieder dran.

Was einem angesichts des Tourenfolders erst richtig auffällt: Die Schönheitengalerie von König Ludwig Römisch Eins, erst unlängst an dieser Stelle angenehm aufgefallen, verstand unter Schönheit noch die Schönheit von Frauen. Die Schönheitengalerie von seinem fraglichen Enkel Römisch Zwei, ebenfalls in Schloss Nymphenburg im Marstallmuseum nebendran, versteht darunter die Schönheit seiner eigenen Lieblingspferde.

Besonders gruselig daran: Der märchenkönigliche Leibapfelschimmel hieß Völuspa. Das bedeutet: Weissagung der Seherin. Der Prachtgaul wurde vom beauftragten Maler Friedrich Wilhelm Pfeiffer am Würmsee, heute: Starnberger See in der Nähe von Schloss Berg dargestellt. Das ist dort, wo Ludwig II. am Pfingstsonntag 1886 erschossen wurde, aber nix Genaues weiß man nie.

Der Vorteil ist: Wenn man nur die Münchner Ludwig-II.-Denkmäler mitnehmen will, hat man eine schön thematisch vollständige Stadtbesichtigung unternommen, zu der man sich mit dem MVG ziemlich eindeutig von A nach B auf den Weg machen kann. Oder andersrum.

Willhalm Veronika, Ein Denkmal für König Ludwig II., Stadtportal München 2009

Buidln: Selbergemacht, März 2014;
Willhalm Veronika: Ein Denkmal für König Ludwig II., 2009.
Soundtrack: Bally Prell: Isarmärchen, ca. 1953.

Neue Pinakothek von hinten

Nein, nicht was Sie denken.

Mein Spezl, der hier nicht genannt sein will, hat immer gesagt: “Manche Madeln sieht man lieber von hinten als wie von vorn.” Mein anderer Spezl, der hier nicht genannt sein will, hat immer gesagt: “Manche Madeln hat man lieber vor als wie hinter sich.”

Kann man sich’s wieder aussuchen. Mich nennt WordPress automatisch, da kann ich gleich sagen: Manche Madeln sehen von hinten besser aus als wie manche Bilder in der Neuen Pinakothek von vorn.

Wer mir die Bilder auf den Bildern korrekt benennen kann, gewinnt eine Ausgabe Der west-östliche Diwan von dem Herrn auf dem untersten Bild, rechts im Bild, von 1935. Das Bild kennen Sie. Ist ja auch gar kein Madel. Typisch. Fehlen bloß noch die ersten drei.

Aus dem Buch wurden Hakenkreuz und Eichenlaub wahrscheinlich ab 1945 schon sorgfältig rausgeschnippelt, Sie können es also unbesorgt ins Haus lassen. Antworten bitte bis nächste Woche um diese Zeit, Freitag, den 17. April 2015, in den Kommentar. Nicht dass ich die Schwarte noch ein paarmal abstauben muss.

Neue Pinakothek

Neue Pinakothek

Neue Pinakothek

Neue Pinakothek

Die Bilder wurden von mir mit einer alten, technisch unzureichenden Kamera zu ausschließlich privaten Zwecken erstellt und unbeholfen gephotoshoppt und entsprechen nicht den beruflichen Standards, die ich andernorts habe. Wer durch seine bildliche Darstellung seine Persönlichkeitsrechte verunglimpft sieht, soll sich bitte ebenfalls melden und wird daraufhin sofort entfernt.

Nymphenburg von hinten

Bei “Nymphenburg” denkt man ja immer automatisch ans Schloss. Selbst wenn einer in München wohnt, ist der Versailles-Aufguss so prominent, dass man gern vergisst, dass so ein bayerischer König nicht gleich einen ganzen Stadtteil bewohnt haben wird.

Maria-Ward-Straße, Nymphenburg

Im Schloss selber ist eigentlich nur die Schönheitengalerie relevant, eine Art begehbares Fotoalbum von der Stärke eines alten Analogfilms: 36 Bilder. Außenrum gibt’s verdammt viel Park, sogar ziemlich schönen, und dann noch die gar nicht mal so ärmliche Stadt, die so einen König am Leben und Laufen hält.

Maria-Ward-Straße, Nymphenburg

Durch die Schloss Nymphenburger Periphierie gibt’s keine Führungen für die Japaner; schade eigentlich. Selbst mein eigenes Leben hört sich gleich interessanter an, wenn ich erzähl, dass ich in Wirklichkeit in dem Spalt unter der Sofalehne wohn. Das Leben bietet nichts Wesentliches, was man von dort aus nicht so gut wie irgendwo anders tun könnte (wenn man Zugang zu einem Klo hat), und ich bin noch nicht mal mit Regierungsaufgaben molestiert, eher im Gegenteil.

Maria-Ward-Straße, Nymphenburg

Dafür grenzt mein Sofa nicht an den Botanischen Garten.

Maria-Ward-Straße, Nymphenburg

Self-deinstalling beta version with a lousy RAM, and the image resolution is a joke

An Robinson’s Bar steht außen weiß auf Schwarz:

Alcohol is the liquid version of Photoshop.

Das sieht man durchs Busfenster, Linien 52 und 62. Seitdem rätsle ich, warum da niemand drunterschreibt:

Only without a memory function.

Weil ich, der ich niemanden zu Straftaten wie Gewalt gegen Sachen anstiften würde, den einzigen weißen Edding der Stadt rumtrocknen hab?

Die Banalität des Bösen

Mein Vater wird heuer 80 und hat seit ein paar Wochen einen Herzschrittmacher, die Katze des Hauses ist mit einer Form der Leukämie inkommodiert, die man leider nicht so einfach zu genau den hunderttausend Teuxeln zurückwünschen kann, von denen sie herkommt, im Treppenhaus hängt ein Zettel von der Hausverwaltung, dass wir die Lärmbelästigung entschuldigen sollen, wenn sie “demnächst” die Kastanie im Hinterhof fällen, und in einer deutschen Industriestadt, die einst ein Zentrum der Aufklärung war, halten mündige Erwachsene egal ob harmlose oder tödliche Krankheiten für die Prüfung einer abergläubisch definierten Naturkraft, gegen die man nichts unternehmen darf.

Im Lenbachhaus lernt man derzeit (noch bis 3. Mai 2015) in der Ausstellung über die Künstlerfreundschaft von August Macke und Franz Marc, was Kunst mit Krieg, Tod und Verderben zu tun hat: viel zuviel. Rechnen wir mit: Die ausgestellte Künstlerfreundschaft endete am 26. September 1914 mit dem Ableben von August Macke bei Perthes-lès-Hurlus in der Champagne, Franz Marc folgte am 4. März 1916 in Braquis bei Verdun. Ohne mich mit beider Biographie genauer zu beschäftigen, glaube ich nicht, dass sie dort den Masern erlegen sind, sondern, wie es immer so liebenswert verschüchtert heißt: im Felde der Ehre gefallen. Für uns ist das durchschnittlich hundert Jahre her, was man sich bildlich gar nicht anders denn als raffeliges Schwarzweißfoto vorstellen kann — für die zwei betroffenen Künstler von zarten 27 und 36 Lenzen war daheim die Ölfarbe auf den letzten Werken, deren Farbenräusche im Lenbachhaus richtig toll zur Geltung kommen sollen, noch gar nicht richtig trocken. Die hätten einen anderen Job gehabt.

Mir war der Blaue Reiter immer reichlich wurscht: quietschibunte Pferdchen und Kühchen, anatomisch fragwürdige Portraits überkandidelter Weibspersonen und Urlaubslandschaften in einer Art Plaka-Farben — austauschbares, beliebiges Zeug, ganz nett als Verzierung für Bürokaffeetassen, nicht abgrundscheiße, nur eben nichts, woran ich je Geld und Kunstverstand gewendet hätte. Aber wenn keiner mehr einsieht, was der erste mit dem zweiten Absatz zu tun hat, sind Macke & Marc (und die paar anderen Millionen) umsonst gestorben.

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